Das Symbolische des Vorgangs springt in die Augen: Ab Montag wird der S-Bahn-Verkehr in Berlin zwischen Ostbahnhof und Zoologischem Garten für zweieinhalb Wochen komplett eingestellt. Das sind nun gerade die ehemaligen Zentralbahnhöfe von Ostberlin und Westberlin. Kommentatoren schreiben, die ganze Innenstadt sei betroffen, aber kann von "einer Innenstadt" überhaupt noch die Rede sein, wenn die Stadtteile derart wieder getrennt werden? Nein, von "Trennung" zu sprechen, ist zum Glück eine völlig haltlose Übertreibung. Die Stadt ist längst zusammengewachsen. Nur der Stau auf den Autostraßen wird jetzt wieder zunehmen.
Als alter Berliner ist man trotzdem betroffen vom Wegschauen der Verantwortlichen und von der Wurstigkeit, mit der man gerade dieses Verkehrsnetz an die Wand fuhr. Denn es ist schon so, die Geschichte der Berliner S-Bahn ist die Geschichte der Stadtteilung und ihrer Überwindung. 1961, als die Berliner Mauer gebaut wurde, stand die S-Bahn noch unter DDR-Verwaltung; sie hörte nicht nur auf, Ost und West zu verbinden, sondern wurde nun von den Westberlinern boykottiert. Nach der deutschen Vereinigung stand sie wie Phönix aus der Asche wieder auf. Der "Ring" wurde wieder geschlossen, und die Endstationen in den Vorstädten, die so wundervolle Namen wie "Königs Wusterhausen" trugen, hörten auf, nostalgische Kindheitserinnerungen zu sein, sie wurden wieder wahr. Auch diese Strecken in die Vorstädte werden von den jetzt angekündigten Ausfällen teilweise betroffen sein. Da kann man vor einem Remake der alten Trennung schon sprechen.
Über die Wurstigkeit der Verantwortlichen würde man lieber schweigen, weil sie so peinlich ist: Die Deutsche Bahn in ihrem Streben zur Vollprivatisierung, zur Börse, erlegte sich ein Sparprogramm auf, das vielleicht etwas zu drastisch ausfiel. Der Betriebsrat wirft der Konzernleitung vor, die S-Bahn mit unverantwortlichen Gewinnvorgaben regelrecht "totgespart" zu haben. Es gibt Engpässe bei den technischen Prüfgeräten, beim Personal. Eine Pannenserie erst an ICE- und Güterwagen-Achsen, dann an Berliner S-Bahn-Rädern legt davon Zeugnis ab. Hinsichtlich der S-Bahn forderte das Eisenbahnbundesamt am 1. Mai 2009 zusätzliche Sicherheitsprüfungen, die von den Verantwortlichen auch zugesagt, jedoch nicht im geforderten Umfang durchgeführt wurden. Dies stellte das Bahnamt bei Kontrollen am 29. Juni fest. Ab dem Folgetag wurden alle nicht fristgerecht geprüften Züge aus dem Verkehr gezogen, und am 2. Juli wurde die Geschäftsführung der S-Bahn vom Aufsichtsrat entlassen. Gestern nun hat das Bahnamt Anlass gesehen, die Prüfauflagen noch weiter zu verschärfen. Davon ist die Einstellung des Innenstadt-Verkehrs die Folge. Ein vorläufiges Resümee könnte lauten: Schlimmer ist es auch totalverstaatlichten Bahnen nie ergangen.
Als die S-Bahn noch von der DDR betrieben wurde, ärgerte man sich als Westberliner über die höllenschwarzen Glaswände des Bahnhofs Zoo, auf deren Reinigung die Ostberliner verzichteten. Das war damals auch eine Methode, Kosten zu sparen. Man freute sich, als das Glas später gereinigt wurde. Das schien auch symbolisch zu sein, eine Art Glasnost sozusagen. Aber heute möchte man hinzufügen: Es ist nicht alles Gold, was glänzt, und nicht alles durchsichtig, was nur sauber gemacht wurde.
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