Die Höhle der Söhne Abrahams

Musikfestival In der Berliner Maerzmusik 2013 ging es um Schlagwerke, Dramen und arabische Musik. Das Musikdrama The Cave diente der palästinensisch-israelischen Völkerverständigung

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In der diesjährigen MaerzMusik lagen die Schwerpunkte weit auseinander – Schlagwerk, Drama, arabische Musik. Doch blieben Interferenzen nicht aus, und sie waren das Spannendste. Die Rolle des Schlagzeugs in Kompositionen der letzten hundert Jahre ist ein Thema, das Fragen aufwirft. Warum wurde es um so viel wichtiger als in der Zeit davor? An die Antworten einiger Pioniere erinnerte das Programmheft: Wer wie John Cage „das Geräusch emanzipieren“ will, kann neues Schlagzeug mit außerorchestralem Klang erfinden, wer wie Pierre Boulez hochkomplexe („serielle“) Musik komponiert, kann balinesische Instrumente einsetzen, um mit ungewohnten Kontrastfarben die Durchsichtigkeit des musikalischen Verlaufs zu steigern. Zu hören war eine frühe Komposition von Helmut Lachenmann, Air von 1967/68, die beide Wege verband und überbot: ein Stück, das nur aus knappen, mal quer übers Podium aufblitzenden, mal sich zusammenballenden Geräuschereignissen besteht, die alle „ausgesucht“ erscheinen – seien sie an der Violine oder am Pfannendeckel erzeugt – und von denen jedes seinen errechneten Kairos hat.

Das Schlagzeug kann heute mit verschiedensten Aufgaben betraut werden. Man kann es wie Beat Furrer, bei dem exquisit klingende Geräusche nur hier und da einmal eingeworfen sind, zur bloßen Abrundung einsetzen (Xenos III, 2012), aber auch wie Anthony Pateras eine Studie über gläserne Klänge schreiben (Hypnagogics, 2005). Das Motiv, irgendein Neuland des Klangs zu suchen, scheint vorzuwiegen. Und gerade damit bewegt man sich auf eine Haltung zu, die von arabischer Musik immer schon eingenommen wurde. In deren Tradition der Schleifen und Girlanden, die unter Verwendung von Vierteltönen gesungen und auf uns ungewohnten Instrumenten gespielt werden, scheint nämlich seit jeher ein Wille zu liegen, wie er jetzt auch die europäischen Geräuschsucher beseelt, sich nicht auf gefügte Gestalten des Tages festlegen zu lassen. And the days are not full enough: In dem titelgebenden Gedicht von Ezra Pound, das Karim Haddad seinem Stück für Kontrabass solo zugrunde legt (2012), ist es ausgedrückt.

Heute sind arabische Komponisten bestrebt, Brücken zur europäischen Musik zu schlagen, und was dabei herauskommt, lässt auch diese in anderem Licht erscheinen. Wenn die Partitur von Brahim Kerkours Alif (2007) eine elektroakustische Klangvorlage auf klassische Instrumente abbildet, demonstriert Kerkour, dass arabische Musik den Hintergrund der modernsten Klänge Europas braucht, um europäischen Ohren verständlich zu sein.

Der Höhepunkt des Festivals war ein Drama: The Cave (1993) von Steve Reich und Beryl Korot, eine mit Videos und minimal music aufbereitete Sammlung von Antworten interviewter Palästinenser, Israelis und US-Amerikaner auf die Frage, was ihnen zu den Namen Abrahams und seiner Familie, Isaak und Sarah, Hagar und Ismael einfalle. Über Isaak geht die hebräische Ahnenreihe bis David, bis Jesus von Nazareth, während sich von Hagar und Ismael die muslimischen Araber herleiten. Das Werk ist ein Akt der Völkerverständigung, denn es ruft allen Beteiligten in Erinnerung, dass der Palästinakonflikt schon in der Thora symbolisch präfiguriert ist. Schon dort verträgt er sich nicht damit, dass derselbe Vater die Söhne gezeugt hat, die für den Streit stehen. Denn gemeinsam wird Abraham von Isaak und Ismael begraben (Genesis 25, Vers 9) in „the cave“, einer Höhle auf dem Stadtgebiet von Hebron.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe 13 vom 27.3.2012.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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