Die Ideologie wirkt weiter

Den Haag Die Islamisten zerstören das kulturelle Erbe der Menschheit. Sie sind nicht die Einzigen
Ausgabe 34/2016
Die letzten Reste des Sidi-Mahmoud-Mausoleum in Timbuktu
Die letzten Reste des Sidi-Mahmoud-Mausoleum in Timbuktu

Foto: Eric FeferbergAFP/Getty Images

Dieser Wochen muss sich erstmals ein Islamist vor dem Internationalen Gerichtshof wegen der Zerstörung von Kulturgütern verantworten. Drei dschihadistische Milizen besetzten im Juni 2015 die malische Wüstenstadt Timbuktu, die im 15. und 16. Jahrhundert zu den kulturellen Zentren der islamischen Welt gehörte. Bevor sie wieder vertrieben wurden, zerstörten sie neun Mausoleen aus jener Zeit. Der Angeklagte Ahmad al-Faki al-Mahdi rief dazu auf und hat sich auch selbst beteiligt. Wir Europäer wissen von Timbuktu weniger als von Palmyra, der syrischen Wüstenstadt am Rand des antiken Römischen Reiches; die dortigen Verheerungen sind noch ungesühnt.

Die gezielte Zerstörung von Kulturgütern ist ein Kriegsverbrechen, so steht es im Statut des Gerichtshofs. Wie die Chefanklägerin Fatou Bensouda sagt, fallen Angriffe auf religiöse und historische Gebäude „in die Kategorie jener Verbrechen, die die Wurzeln eines Volkes zerstören“, da sie zu dessen Identität gehören. Das Verbrechen ist jedoch noch größer, denn Orte wie Timbuktu und Palmyra gehören zum Weltkulturerbe. Wer sie zerstört, stellt die Identität der Menschheit in Frage. Dies aber ist gerade das Ziel der Zerstörer. Sie lassen den geschichtlichen Menschen nicht gelten; alles, was sie sich nicht selbst zurechtgelegt haben, soll vernichtet und durch ihr eigenes Welt- und Menschenbild ersetzt werden. Da nützt es nicht viel, einen Einzelnen anzuklagen, denn die Ideologie wirkt weiter. Sie wäre auch dann nicht unwirksam, wenn die malischen Milizen und der IS besiegt würden, denn ihre Quelle ist der von Saudi-Arabien propagierte Wahhabismus.

Den Wahhabismus kann man von innen und von außen begreifen. Von innen ist er eine Art islamischer Frühprotestantismus. Alles, was die ursprünglich reine Lehre zu überdecken scheint, wird angeprangert. Ein Verbot von Mausoleen ist zwar im Koran gar nicht enthalten, doch der Überlieferung nach soll sich Mohammed dagegen ausgesprochen haben, über dem Grab eines frommen Mannes eine Gebetsstätte mit Bildern anzubringen. Die Verallgemeinerungswut der malischen Milizen ging dann über Gräber und Bilder noch weit hinaus: „Wir wollen“, hatte ihr Sprecher verkündet, „dass die Menschen an Allah glauben und nicht an ein Symbol.“

Letztlich ging es darum, dass ein Glaube an Gräber zwar nicht bestand, aber entstehen könnte. Denn das gehört zur wahhabitischen Lehre, dass auch jede Versuchung ausgemerzt werden muss. Deshalb war es in Saudi-Arabien zeit-weilig verboten, Musik zu hören. Schon die Taliban, dann der IS und andere Milizen haben das Verbot erneuert. Dass Musik wegen ihrer Symbolik gefährlich ist, erkannten aber schon die totalitären Systeme im 20. Jahrhundert. Womit wir beim Blick von außen sind.

Was immer sich Dschihadisten zurechtlegen, machen sie nicht auch den Eindruck von Opfern unserer eigenen Kultur? Das Prinzip „Vernichtung und Ersatz“ ist nicht spezifisch für den Wah-habismus. Früher als er hat der Kapitalismus sich ausgebreitet, der auch alles niedermacht, was ihm nicht entspricht. Der Unterschied ist nur, dass es anonym geschieht. Macht der Kapitalismus vor kulturellen Wurzeln der Menschheit Halt? Dann dürfte er die Natur nicht zerstören, die nicht wild ist, sondern vom Menschen in Jahrtausenden umgestaltet wurde. Die Meere dürften nicht mit Schleppnetzen leergefischt werden. Man wagt kaum ein Beispiel zu geben, weil es so viele gibt. Was nützt es, den Wahhabismus anzuklagen? Wir sind selbst ebenfalls nicht unschuldig.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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