Die Kirche eint Linke, FDP und Grüne

Gesetzesentwurf Wegen einer Erbschaft aus napoleonischer Zeit empfangen die christlichen Kirchen in Deutschland Staatsleistungen in Millionenhöhe. Das soll sich nun ändern
Ausgabe 13/2020
Der Klingelbeutel nennt sich heute Staatsleistung
Der Klingelbeutel nennt sich heute Staatsleistung

Foto: Chromorange/Imago Images

Wie langweilig wirkt ein Gesetzentwurf, von dessen Materie die meisten noch nie etwas gehört haben dürften, sodass man sie erst umständlich erklären muss. „Zur Ablösung der Staatsleistungen“ würde das Gesetz führen, so sagt es der Titel. An wen? Die christlichen Kirchen. Dabei geht es weder um die Kirchensteuer noch um die öffentliche Förderung sozialer Einrichtungen, wie zum Beispiel der kirchlichen Krankenhäuser, sondern lediglich um eine Erbschaft vor allem des „Reichsdeputationshauptschlusses“ 1803, die längst jede Rechtfertigung verloren hat. Infolge ihrer Niederlage gegen Napoleon hatten die deutschen Fürstentümer Ländereien an Frankreich abtreten müssen; sie glichen den Schaden aus, indem sie den kirchlichen Grundbesitz enteigneten und katholische Herrschaftsrechte einkassierten. Zur Entschädigung erhalten die Kirchen Jahr für Jahr hohe Beiträge – 550 Millionen Euro zurzeit – für ihren Personal- und Sachbedarf, zum Beispiel die Besoldung der Geistlichen und den Unterhalt ihrer Gebäude.

Schon die Weimarer Reichsverfassung von 1919 sah die Ablösung dieser Leistungen vor, aber noch in jüngster Zeit scheiterten alle Versuche, sie endlich einmal zu vollziehen. Die Linkspartei hatte 2012 einen Gesetzentwurf vorgelegt – aber vergeblich. Dabei hätte der Vollzug überhaupt keine dramatischen Folgen.

Im Erzbistum Köln zum Beispiel liegt der Anteil der Staatsleistungen an allen Einnahmen bei 0,33 Prozent. Im Osten liegt er höher, 15 Prozent in Magdeburg, 20 in Mitteldeutschland, doch eine innerkirchliche Umverteilung könnte das ausgleichen. Wie auch immer, die Unionsparteien und die SPD als ihr Koalitionspartner sahen und sehen „keinen Handlungsbedarf“. Was man an der Sache interessant finden kann, ist in der Tat einzig und allein die Haltung der Parteien zu einer Materie, die für sich genommen nur absurd ist. Zum jetzigen Gesetzentwurf, der in der nächsten Sitzungswoche des Bundestags diskutiert werden könnte, haben sich Linke, Grüne und FDP zusammengefunden. Dieses Bündnis, das man sonst ungewöhnlich finden würde, ist es nicht in Religionsfragen. Egal ob aus marxistischer Tradition der Linkspartei oder liberaler der FDP, für beide ist die „Ablösung der Staatsleistungen“ nur ein erster Schritt, da sie auch die Abschaffung der Kirchensteuer befürworten. Weil sie nicht einsehen, weshalb ein Staat, der säkular zu sein behauptet, sich zwischen die Kirchen und ihre Mitglieder schieben darf, um deren Beitragszahlung zu organisieren.

Am interessantesten ist die Rolle der Grünen in diesem Bündnis. Sie haben durchgesetzt, dass die Kirchen mit einer letzten Zahlung von zehn Milliarden Euro abgefunden werden; die Linke allein hätte weniger hergegeben, doch wenn man die größte Rechtssicherheit will, muss man sich an einer Vorschrift orientieren, die das 18,6-Fache der jährlichen Leistung fordert. Noch vorsichtiger sind sie in der Abschaffung der Kirchensteuer, die sie ebenfalls befürworten. Ihr Beschluss von 2016 begnügt sich mit der Empfehlung an die Bundesländer, die Kirchen selbst könnten die Beiträge einziehen. Aus ihrem Verhalten spricht zweierlei, erstens, dass sie eine linke Partei sind. Manche stellen sie wie ein passives Metall dar, das mal vom SPD-, mal vom CDU-Magneten stärker angezogen wird: Das ist eine Verkennung. Zweitens, warum sind sie so vorsichtig? Die Linkspartei braucht es nicht zu sein! Doch wenn man das Kanzleramt anstrebt, geht es nicht anders.

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden