Wenige Tage nach dem Volksentscheid gegen Olympische Spiele in Bayern stellt sich heraus: Nicht nur sein Ausgang ist sensationell, die Reaktion der Politik darauf ist es nicht minder. Man hätte doch erwarten können, dass die übliche Bürgerbeschimpfung wieder losgeht. Wie sich Politiker in den siebziger Jahren darin gefielen, Atomkraftgegner als Modernisierungsversager zu beschimpfen, wie es heute noch gängig ist, Ökologen als Gegner der Technik hinzustellen, hat man in letzter Zeit auch lesen können, Bürger seien immer dagegen, wenn es um Großprojekte und Großveranstaltungen gehe. Das Muster der Polemik war immer gleich: Man ignorierte, dass Atomkraftgegner anders modern sein wollten, Ökologen für eine andere Technik plädieren und Bürger für Großes nicht um der Größe willen zu gewinnen sind, sondern wenn es sinnvoll ist.
Diesmal blieb die Bürgerbeschimpfung den Politikern im Halse stecken. Sie haben wohl eingesehen, dass sie da eine Schlacht von etwas größerer Bedeutung verloren haben. Zu selbstbewusst waren ihnen die Wähler entgegengetreten, als dass es noch ratsam gewesen wäre, sie wie kleine Kinder zu behandeln, denen man zuredet, damit sie vernünftig werden. Als Erster hat Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, der geübte Populist, die Kehrtwende vollzogen. Es müsse noch mehr Volksentscheide geben, lässt er verlauten, auch wenn das die Schwesterpartei CDU anders sieht. In den Koalitionsverhandlungen wird es jedenfalls ein Thema sein. Die SPD hatte schon im Wahlkampf gefordert, es müsse auch bundesweit Volksentscheide geben können. Die großen Zeitungen und das offiziöse Fernsehen unterstützen den neuen Weg. Aber Vorsicht. Wenn man näher hinschaut, bahnt sich doch nur ein taktischer Rückzug an – zu Stellungen, von denen man glaubt, sie leichter halten zu können.
Das fängt damit an, wie der Sieg der Olympiagegner dargestellt wird. Man reduziert ihn auf einen Punkt: Die Bürger haben sich gegen das IOC gewehrt. Dem widerspricht keine Partei. Das Verhalten des IOC ist auch wirklich skandalös. Seine Monopolstellung ausnutzend, bereichert es sich schamlos, indem es Steuerbefreiung für sich in Anspruch nimmt und den Großteil der Gewinne, die bei Spielen erzielt werden, sich überschreiben lässt, während Verluste von den Ausrichtern getragen werden müssen. Solche Knebelverträge haben die Olympiagegner ins Bewusstsein von Bürgern gerückt, die ohnehin sensibilisiert waren. Viele fragen sich ja längst, warum Winterspiele nach Sotschi vergeben worden sind, wo Berge versetzt werden müssen, damit die Spiele überhaupt möglich sind, oder warum eine Fußball-WM im Winter stattfinden soll, nur damit sie vom Wüstenstaat Qatar gekauft werden kann. Denn wie das IOC verhält sich die FIFA. Wie in Bayern gegen Olympische Spiele, so wird in Brasilien gegen die nächste Fußball-WM protestiert.
Sogar im Bund soll esVolksentscheide geben
Die öffentliche Darstellung geht aber darüber hinaus, indem sie betont, dass IOC und FIFA nicht nur selbst diktatorisch handeln, sondern Spiele auch zunehmend an undemokratische Staaten vergäben. Solche Großveranstaltungen könnten vielleicht nur noch von Diktaturen geschultert werden, lesen wir jetzt. Dabei fällt unter den Tisch, dass große Dinge auch hierzulande eher diktatorisch gehandhabt werden und sich eben dagegen der Protest der Bürger richtet. In Bayern ist jetzt einmal eine große Sache zur Abstimmung gestellt worden. Doch in der Regel entscheidet der Staat allein. Bei der Frage zum Beispiel, wie die Energiewende aussehen und umgesetzt werden soll, tun alle so, als gäbe es zur Beantwortung durch den Staat nur eine Alternative: die durch den Markt. Davon, dass die Gesellschaft durch Wahlen entscheiden könnte, ist nicht die Rede. Und hier wie auch sonst stößt man immerzu auf eine aus Diktaturen vertraute Kommunikationstechnik: Wenn die Bürger anders wollen, gibt man nicht etwa klein bei, sondern stellt fest, dass sie noch nicht verstanden haben, und nimmt sich vor, sie geduldig zu überzeugen.
Das hält die Bundesrepublik in großen Dingen ökonomischer Planung überhaupt nicht anders, sie macht es nur geschickter, nämlich undurchsichtiger. Ein ganzer Forschungszweig, die Akzeptanzforschung, befasst sich mit der politischen Kunst der Bürgerüberredung. Meist wird empfohlen, die Bürger sollten früh informiert und vor allem auch einbezogen werden, dadurch etwa, dass man sie an Gewinnen beteiligt, die bei einem Projekt vielleicht anfallen. Das Projekt selber, seine Generierung durch den Staat wird von der Forschung nicht in Frage gestellt. Dazu ist sie nicht da. Wenn es dann einmal vorkommt, dass man eine große Sache den Bürgern zur Entscheidung vorlegt, dann weil man ihrer Zustimmung sicher zu sein glaubt. So war es jetzt in Bayern, und entsprechend enttäuscht reagierten die Politiker, die den Volksentscheid angeregt hatten – bis auf Seehofer, wie gesagt. Diejenigen aber, die dem Volk jetzt entgegenkommen, haben sich ihr Angebot wohlweislich überlegt. Sogar auf Bundesebene soll es künftig vielleicht Volksentscheide geben. Doch in welchen Fällen? Wenn es um Europa geht: um den EU-Beitritt der Türkei, die Brüsseler Kompetenzen, finanzielle Hilfe für andere Staaten. (Auch das IOC ist überwiegend Ausland!) Auch sollen Gesetze, die schon beschlossen wurden, unter erschwerten Umständen nachträglich gekippt werden können. Das ist kein Weg zur Bürgerdemokratie, sondern eine Rückzugslinie.
Bürgerdemokratie hieße, dass die Bürger über die Richtlinien der Politik entscheiden, und nicht, dass man sie früh informiert, nachträglich einbezieht oder ihnen nur ausgewählte Fragen vorlegt – solche, von denen man glaubt, sie seien unstrittig. So haben bayerische Politiker geglaubt, ihr Olympiaprojekt sei hinreichend ökologisch durchdacht und werde deshalb auf Zustimmung stoßen. Was die Politiker glauben, die über den Beitritt der Türkei abstimmen lassen wollen – aber nicht darüber, ob es wirklich, mitten in der angeblichen Energiewende, eine Kohlerenaissance geben soll –, kann man sich auch ausrechnen. Da ist es nun aber interessant zu sehen, weshalb die Olympiagegner in Bayern gesiegt haben. Eben nicht nur wegen des IOC. Sie hatten fünf Kritikpunkte, die IOC-Machenschaften waren nur einer davon. Weil sie ihren Protest glänzend symbolisch codiert hatten – mit fünf Kritikpunkten in fünf olympischen Ringen –, hat die Presse gar keinen Grund, nur auf dem einen Punkt herumzureiten. War denn die IOC-Kritik der wichtigste Punkt? Er war jedenfalls nicht der allgemeinste.
Die allgemeinste Kritik hatte sich gegen den Wachstumswahn gerichtet. Das war entscheidend, denn dem Argument der Politiker, sie schlügen ökologische Spiele vor, wurde ein allgemeineres ökologisches Argument entgegengehalten. Die Politiker hatten ja auch behauptet, die Spiele würden der Weiterentwicklung Bayerns dienen. Da fragen die Gegner zurück, warum sich Bayern denn noch weiterentwickeln solle. Oder wenn schon Weiterentwicklung, warum in diese Richtung und keine andere. Dass Bayern nun ausgerechnet Olympia brauche, sahen sie nicht ein. Und nun warfen sie die Frage der Richtlinien ihrerseits auf. Ausdrücklich, auch wenn das jetzt in den Zeitungen nicht vorkommt. Man hatte den Bürgern eine Frage zur Abstimmung gestellt, von der man glaubte, es sei ja bloß eine Einzelfrage.
Die Gegner haben das Allgemeine darin den Bürgern bewusst gemacht. Welche Richtung wollen wir, haben sie gefragt, und damit die Frage vom Kopf auf die Füße gestellt. Schon beim Streit um Stuttgart 21 war das versucht worden, doch mit weniger Erfolg. Die Frage, ob ein Umbau des Bahnsystems nicht anders aussehen müsse – mehr Güterverkehr statt noch schnellere Fahrtzeiten –, ging bald unter. Jetzt in Bayern ist ganz deutlich geworden, worum es geht: um die Richtlinienkompetenz.
Die Kanzlerin inszeniert sich als politische Fachkraft
„Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik“, lesen wir im Artikel 65 des Grundgesetzes. Wir sollen wohl glauben, uns Wählern sei die Richtlinienkompetenz damit abgesprochen. Die Bundeskanzlerin verhält sich jedenfalls so, als stehe nur ihr diese Kompetenz zu. Sie inszeniert sich als Fachkraft, der man desto mehr vertraut, je stiller, ja je unauffälliger sie arbeitet. Darin besteht ihre Technik zu entpolitisieren. Aber so ist es nicht gemeint! Gemeint ist nur, dass innerhalb der Regierung der Kanzler bestimmt statt der Minister. Natürlich wird dadurch der Bundestag nicht von der Bestimmung der Richtlinien ausgeschlossen, und er seinerseits ist gewählt worden, und zur Wahl haben sich Parteien mit Wahlprogrammen gestellt. Hier sollten die Bürger Gelegenheit haben, die beste Weiche zu stellen – sie als Erste.
Aber hier fangen die Probleme an. Die Parteien setzen oft nicht um, wofür sie gewählt wurden. Sie stellen sich auch schon von vornherein als Parteien dar, die man wählen soll, nicht weil sie in eine bestimmte Richtung gehen werden, sondern weil sie für den oder jenen Wert stehen. Die Bürger stimmen dann einem Wert zu statt einer Wirklichkeit. Verwirklicht wird etwas anderes. Das lassen sie sich immer weniger gefallen. Sie holen sich zurück, was ihnen gehört.
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