Die Pkw-Maut und die Mythen der Autokultur

Seehofer Die Finanzierung der automobilen Infrastuktur über Steuergelder ist der eigentliche Skandal
In Frankreich Standard: Die Autobahnmaut
In Frankreich Standard: Die Autobahnmaut

Foto: AFP/ Getty Images

Weil Deutsche im Ausland Pkw-Maut zahlen, sollen Ausländer in Deutschland es auch tun, sagt Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer. Er weiß natürlich, dass eine Maut nur für Ausländer mit EU-Recht nicht verträglich ist. Die Bürger verschiedener EU-Staaten sind füreinander nicht „Ausländer“ im alten Wortsinn. Wollte man seine Worte auf die Goldwaage legen, wäre er der krasseste Antieuropäer. Doch wegen der bayrischen Folklore regt sich niemand ernstlich auf. Seehofer weiß bestimmt, wie eine europäisch übergreifende Mautregelung wirklich zustande käme. Denn um eine einheitliche Lkw-Maut zu erreichen, verhandeln verschiedene Staaten seit langem. Das wäre das Vorbild. Aber geht es überhaupt um Europa?

Es geht viel eher ums Autofahren als solches. Dass eine Pkw-Maut nach der Bundestagswahl in Deutschland eingeführt wird, und natürlich für In- und „Ausländer“ gleichermaßen, ist nicht unwahrscheinlich. Zwar hat die Bundeskanzlerin solche Pläne immer bestritten, weil sie bei Autofahrern unpopulär sind, doch gerade jetzt, wo es auf Seehofers Vorstoß zu reagieren gilt, legt sich Angela Merkel lieber nicht fest. Klar ist nur, dass der Straßenbau ganz oben auf der Agenda steht. Eine Regierungssprecherin bezeichnete ihn als „Schwerpunkt in der kommenden Legislaturperiode“. Zur Finanzierung ließ das Bundesverkehrsministerium verlauten, auch eine stärkere Finanzierung durch die Nutzer werde in „mehreren Varianten“ geprüft.

Das ist der eigentliche Skandal. Bereits in den letzten zwanzig Jahren wurde das deutsche Autobahnnetz um ein Viertel erweitert. Schon fünf Prozent der deutschen Fläche sind durch Autostraßen versiegelt. Obwohl es umweltfreundlichere Alternativen gäbe (Ausbau des Schienennetzes), geht der Neu- und Ausbau von Straßen für Autos pausenlos weiter. Die Kosten werden bisher von der ganzen Gesellschaft getragen, obwohl sie niemals gefragt wurde, ob sie die Autokultur überhaupt billigt. Die meisten tun es noch, aber doch nicht alle. Selbst unter denen, die noch unkritisch sind, gibt es viele, die von Autos nur Nachteile und keinerlei Vorteile haben: Ältere und Ärmere, die an den Folgen des Verkehrs wie Lärm, Gefährlichkeit, Luftverpestung leiden, ohne an ihm teilnehmen zu können. Die Regierung glaubt sich aber schon deshalb zur Finanzierung aus Steuermitteln berechtigt, weil die Autoindustrie angeblich das ökonomische Rückgrat unserer Gesellschaft ist. Das ist ein Mythos, wie Bernhard Knieriem gezeigt hat (Essen im Tank, Wien 2013).

Jeder 7. Arbeitsplatz in Deutschland, so wird immerzu wiederholt, hänge vom Pkw ab. Ist uns das jemals vorgerechnet worden? Der Wirtschaftsforscher Michael Rothgang vom Rheinisch-Westfälischen Institut kommt zu dem Schluss, dass allenfalls jeder 14. Erwerbstätige in der Autoindustrie beschäftigt ist. Da sind dann aber die Dienstleistungen mitgezählt, deren Energie anderswohin gelenkt werden könnte. Nimmt man allein diejenigen, die direkt Autos oder Autoteile herstellen, hängt nur jeder 50. Arbeitsplatz davon ab. Wie man es auch rechnet: „andere, umweltfreundlichere Branchen“, so Knieriem, „wie Windenergie, Fahrradindustrie und damit verbundene Dienstleistungen sowie der Fahrrad- und Wandertourismus bringen zusammengenommen schon jetzt mehr Menschen in Lohn und Brot, haben aber offensichtlich keine so gute Lobby“.

Eine Pkw-Maut sollte tatsächlich erhoben werden. Und teuer müsste sie sein. Denn im Gegenzug wäre der Teil der Steuerzahler, der nicht mitspielen will oder kann, von der Finanzierung der Autowelt zu befreien.

Diser Artikel erschien im Freitag Nr. 33 vom 15. August 2013 unter dem Titel Die Pkw-Maut und die Mythen der automobilen Kultur

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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