Was die Konsequenz einer Spaltung der Unionsparteien wäre, hat eine Umfrage der letzten Woche gezeigt: Wenn die CDU in Bayern mit der CSU und diese in ganz Deutschland mit der CDU konkurrieren würde, erhielten beide ungefähr gleich viel Zustimmung von Wählern und Wählerinnen. Die gemeldeten Zahlen, 18 Prozent für die CSU, 22 für die CDU, dürften zwar zu hoch sein, weil nur nach diesen Parteien gefragt wurde, als ob nicht noch andere mitspielten. Doch die genauen Zahlen sind ohnehin uninteressant; interessant ist der Umstand, dass wir mit einem ganz neuen Parteiensystem konfrontiert würden.
Man stelle sich vor: CDU, CSU, SPD, AfD je ungefähr 15 Prozent; Linke, Grüne, FDP je zehn Prozent plus. Dass der Fall eintritt, ist nach dem zugespitzten Streit der letzten Wochen nicht mehr unwahrscheinlich. Sicher, er muss nicht eintreten. Vielleicht warten die „Schwesterparteien“ den Ausgang der Bayernwahl ab, und wenn die CSU sie deutlich verliert, ist alles Schnee von gestern. Die CDU jedenfalls wäre gut beraten, sich bis dahin in Geduld zu üben. Denn dass wenigstens einem Teil der bisherigen CSU-Wähler die Seehofer’schen Sommerspiele auf die Nerven fallen und er dann lieber einmal aus Protest die SPD oder die Grünen wählt, kann nicht ausbleiben. Wie es andererseits fraglich ist, ob die „Erneuerung“ der CSU potenzielle AfD-Wähler und Wählerinnen überzeugt und zurückholt. Denn denen ist bekannt, dass der Rechtsschwenk der CSU von der Existenz der AfD bewirkt wurde. Warum sollten sie auf das Druckmittel verzichten?
Trotzdem kann es zur Spaltung kommen, denn der Graben in der Union ist tief geworden und lässt sich vielleicht nicht mehr überbrücken. Ein kurzer Rückblick auf die jüngste Geschichte der Union kann das unterstreichen. Es ist bisher oft angenommen worden, Angela Merkel habe als Kanzlerin eine partielle Sozialdemokratisierung der Union bewirkt, um der CDU/CSU eine dauerhafte Mehrheit der Wähler und Wählerinnen zu verschaffen. Wenn das also ein bewusster Entschluss wäre, könnte er auch rückgängig gemacht werden. Man bräuchte bloß Merkel zu stürzen, was Seehofer ja gerade versucht, alles wäre wieder beim Alten und die Union könnte zu einer Politik à la Helmut Kohl zurückkehren.
CSUlein und CDUchen
Aber wahrscheinlich sind Merkels Entschlüsse nur eine Oberfläche. Vorher hat ja schon Gerhard Schröder, der Sozialdemokrat, umgekehrt dasselbe versucht und ist gescheitert. Als er mit seiner Agenda-Politik die SPD „christdemokratisierte“, ist die Partei, statt hegemonial zu werden, auseinandergefallen. In beiden Fällen dürfte dasselbe passiert sein: Nach der weltpolitischen Wende von 1990 konnten sich SPD und Union nicht mehr am internationalen Ost-West-Konflikt orientieren. Nachdem es diese Stütze ihrer Entschlusskraft nicht mehr gab, hatten sie nur noch sich selbst und orientierten sich aneinander, das heißt, glichen sich einander an.
Kapitalparteien waren beide schon immer, allerdings vor 1990 in sehr verschiedener Auslegung. Danach hieß Kapitalpartei sein, für die „Globalisierung“ einstehen. Und das tun sie beide. Globalisierung heißt ungehinderter Kapitalfluss, soll aber nicht ungehinderter Strom von Menschen, Flüchtlingen, Arbeitern und Arbeiterinnen heißen. An diesem Widerspruch zerbrechen sie. Wahrscheinlich muss auch die Union daran zerbrechen, die ja zwei Wurzeln hat, den Konservatismus, dem es stets nur um „Ordnung“ ging, und das Christentum der Kirchen, die sich heute auf die Seite der Flüchtlinge stellen.
Fragen wir also, was geschieht, wenn aus der Union zwei gleich starke Kleinparteien werden. Es gibt dann drei mögliche Perspektiven auf ein neu entstehendes Parteiensystem. Die erste ist das, was sich im gegenwärtigen Moment aufdrängt: Man ist für Merkel oder für Seehofer; danach stünden CDU, SPD, Grüne und Linke gegen CSU, AfD und FDP. Man sieht allerdings auf den ersten Blick, dass die linke Seite dieses Systems keinen Bestand haben und wohl nicht einmal entstehen könnte, weil sie in sich selbst alles trägt, was bisher rechts und links hieß. Diese Seite würde zwar, wenn es sie geben könnte, hier und heute eine Wahl gewinnen, doch nur die andere Seite hätte überhaupt einen Zusammenhalt und wäre deshalb stärker.
In einer zweiten Perspektive stünde sich gegenüber, was bisher rechts und links hieß, also AfD, CDU, CSU und FDP auf der einen, SPD, Grüne und Linkspartei auf der anderen Seite. Dieser Fall würde auf der rechten Seite Merkels Sturz voraussetzen, denn anders käme dort kein Zusammenschluss zustande. Ob sich CDU und CSU dann überhaupt trennen, wäre egal. Aber ist es wahrscheinlich, dass die CDU unter Seehofers Ansturm klein beigibt? Auf der linken Seite würde es voraussetzen, dass die SPD sich erneuert, also unter Schröders Agenda-Politik einen Schlussstrich zieht, und auch das ist wenig wahrscheinlich.
In der dritten Perspektive würde der politische Gegensatz bestimmend werden, der den gegenwärtigen Konflikten wirklich zugrunde liegt. Man muss sagen, auch dafür spricht gegenwärtig nichts. Aber es wäre wünschenswert. Was wäre die Alternative zwischen „weiter so“ und einem Politikwechsel? Dass der herrschenden globalistischen Politik eine internationalistische in dem Sinn, den das Wort zur Zeit der klassischen Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung hatte, entgegenträte. Globalistisch ist kapitalistisch. Es nivelliert die Welt in allem, was dem Kapital nützt, verursacht Flüchtlingsströme, will nur nützliche Fachkräfte in die Wohlstandsländer lassen und grenzt alle anderen aus. Internationalistisch heißt antikapitalistisch. Hier wird gesehen, dass die Flüchtlinge derselben Arbeiter- und Arbeiterinnenklasse angehören wie man selber im Wohlstandsland. Man beachte, in internationalistisch ist national enthalten, anders als in globalistisch. Das wäre also nationale Politik, der freilich an den anderen Nationen, dem Herkunftsort der Flüchtlinge, genauso viel läge wie an der eigenen. Man würde die anderen Nationen bis dahin stärken, dass niemand mehr flüchten muss. Solange das innenpolitisch nicht erreicht ist, griffe man die Urheber des Elends an und wäre mit den Flüchtlingen solidarisch.
Tatsachen als Bündnispartner
Für eine solche Politik könnten Linke und Grüne stehen, doch wird sie von beiden noch verfehlt. Die Grünen wollen „kosmopolitisch“ sein. Das ist die Perspektive eines wohlhabenden Mittelstands. Man braucht heute nur Studienrat zu sein, um in der ganzen Welt teure Hotels aufsuchen zu können. Mit der Zustimmung zur kapitalistischen Globalisierung verträgt sich das gut. Doch auch die Linken haben Probleme. Während der Kipping-Flügel der Linkspartei dazu tendiert, die Sprache der Grünen zu sprechen, spricht der Wagenknecht-Flügel zu einseitig die Arbeiterklasse der eigenen Nation an: von Versuchen, sie zur Solidarität mit den zuströmenden Klassengenossen und -genossinnen aus anderen Ländern zu bewegen, hat man noch zu wenig gehört.
Wenn Grüne und Linke dazulernten, könnten sie die richtige Frontlinie ziehen. Zunächst aus der Minderheit heraus, aber sie wären mit den Tatsachen verbündet und würden deshalb mit der Zeit stärker. In dieser Zeit würden sie auch Kompromisse eingehen, nicht nur untereinander, sondern auch mit anderen Parteien. Es wäre ein langer Weg – der einzige wohl, der noch möglich ist.
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