Die Supermacht ruft die Bundeswehr

Innenpolitik in der Weltkrise Steuerungsversuche der Koalition, der Regierung und ihrer Kritiker

Am Ende der vorigen Woche sah es so aus, als werde der Unmut in der Koalition über den afghanischen Krieg für die Regierung bedrohlich. Beide Parteisprecher der Grünen bezweifelten offen den Sinn einer Fortsetzung der Bombenstrategie. Eine entsprechende Erklärung hatten zehn von 16 grünen Landesverbänden unterzeichnet. Außenminister Fischer bekam sogar in Hessen, seinem Heimatverband, nur eine Art von Unterstützung, die eher einer Distanzierung ähnelte. Doch auch in der SPD lehnten sich nicht mehr nur Hinterbänkler auf. Die Entwicklungshilfeministerin, der Bundestagspräsident, der Juso-Bundesvorsitzende, der saarländische Landesvorsitzende, sie alle gingen auf Distanz. Das geschah vor dem Hintergrund, dass in einer vom Spiegel veröffentlichten Umfrage 57 Prozent der Befragten sich für eine "Aussetzung" der Bombardierung und nur 33 Prozent dagegen aussprachen. Selbst Unionsanhänger votieren mit 51 zu 38, Anhänger der Grünen aber mit 90 zu zehn Prozent.

Man kann in diesen Voten eine Spätfolge der unglaubwürdigen Kriegspropaganda während der Bombardierung Jugoslawiens sehen. Damals hielten sich alle Beteiligten, darunter auch die Medien, in der Kritik weit mehr zurück als heute. Heute hätte die bös verharmlosende Phrase von den "Kollateralschäden" keine Chance auf Gehör. Sie wird gar nicht erst geäußert. Und doch kommt es jetzt zum massiven Protest. Es ist eine bemerkenswerte Entwicklung, wenn man bedenkt, dass der Krieg gegen das Terrorregime der Taleban sich viel plausibler rechtfertigen ließ als damals der Krieg gegen Milos?evic´.

So wurde der Krieg in Afghanistan zunächst auch ohne Hintergedanken unterstützt: von der deutschen Regierungskoalition, von der NATO, der UNO, den meisten islamischen Staaten. Ein neuartiger Verteidigungskrieg der USA und ihrer Verbündeten gegen den Terrorismus sollte es sein; das hatte vielen eingeleuchtet, zumal auch immer wieder erklärt wurde, der Westen wolle in Reaktion auf die Anschläge des 11. September auf eine gerechtere Weltordnung hinwirken.

Nach fünf Wochen Krieg sehen die Menschen aber, es werden wieder nur Bomben abgeworfen, und wie in Serbien lassen die USA den Bodenkrieg von zweifelhaften Verbündeten erledigen, damals der UÇK, heute der Nordallianz, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Die Perspektivlosigkeit liegt auf der Hand: Einen Mann wie Milos?evic´, der rational nach europäischen Maßstäben denkt, konnte man zum Aufgeben bewegen; weshalb die Taleban aufgeben sollten, ist nicht zu erkennen. Sie denken in Kategorien des totalen Krieges. Gegen sie könnten allenfalls westliche Bodentruppen etwas ausrichten.


Die Sache mit der gerechten Weltordnung wird auch immer zweifelhafter. Die Amerikaner reden zwar von "einer Art Marshallplan" für Afghanistan, und aus des Kanzlers Umgebung werden großartige Pläne laut: eine Klausurtagung der Staatsführer westlicher und islamischer Länder, um den sozialen Gründen des Terrors auf die Spur zu kommen. Doch als Schröder vorige Woche Indien bereiste, hat er nichts Besseres versucht, als seine Gastgeber zur freiwilligen Selbstzerstörung der Handelsschranken, die den indischen Binnenmarkt schützen, zu überreden - kapitalistische Globalisierung as usual. Vielleicht sind all die Bekenntnisse zur gerechten Weltordnung nur Beruhigungspillen, damit wir nicht gegen den Krieg protestieren? Wenn das so wäre, hätten diese Bekenntnisse jedenfalls jetzt schon ihre Wirkung verloren.

Es ist schade darum. Man könnte sich schon andere Oppositionelle gegen den Krieg wünschen - die vor allem jenen "Marshallplan" einfordern, und zwar nicht nur für Afghanistan, sondern für die ganze Welt. Gäbe es ernsthafte Schritte dieser Art, würden solche Oppositionelle den Krieg zwar zweifelhaft finden, könnten sich aber auf den Standpunkt von Historikern stellen: Eine Supermacht, würden sie diagnostizieren, reagiert gereizt auf Angriffe, die sie wirklich bedrohen - sie lernt zu langsam - ihre Verbündeten suchen den Lernprozess zu beschleunigen. Das ist sicher kein guter Zustand, aber kein Realist, der einen blassen Schimmer von Geschichte hat, kann glauben, dass er besser sein könnte. Man würde also den afghanischen Krieg etwas anders kritisieren als mit dem ahistorischen Hinweis, dass "Unschuldige umkommen". Leider scheint aber die soziale Ungerechtigkeit in der Welt und unser eigener Beitrag dazu nicht das Hauptanliegen der Opposition, wie sie wirklich auftritt, zu sein. Teile von ihr finden es nur problematisch, dass überhaupt die Waffen sprechen.

Und doch wächst die Opposition zum richtigen Zeitpunkt. Denn immer deutlicher zeichnet sich die Gefährlichkeit der amerikanischen Militärstrategie ab. Es scheint einfach die Chance genutzt zu werden, mit den "Schurkenstaaten" abzurechnen, die lange vor dem 11. September markiert waren. Man kann nach den Andeutungen amerikanischer Regierungsbeamter an der Vorbereitung eines Militärschlags gegen den Irak kaum noch zweifeln. Wenn das losginge, wäre in der islamischen Welt die Hölle geöffnet. Außerdem ist die US-Administration bereits dabei, die Zuständigkeit zur Bekämpfung der nordirischen IRA und der spanischen ETA an sich zu ziehen, ganz als ob es keine EU gäbe. Gelingt es deren Staatslenkern, solche Abenteuer abzuwenden? Sie versuchen das offensichtlich. Selbst Tony Blair hat öffentlich erklärt, seines Wissens werde ein Krieg gegen den Irak nicht geplant, was jedenfalls bedeutet, dass er ihn nicht billigen, nicht mittragen würde.

Vor diesem Hintergrund sind Nachrichten zu bewerten, die besagen, dass Anfang dieser Woche einige Führungsfiguren der Grünen nun doch wieder zur Unterstützung des Krieges in Afghanistan zurückkehren. Fritz Kuhn zum Beispiel hat seine "kritische Solidarität" erklärt, übrigens in Anwesenheit des Parteifreundes Fischer, der nicht widersprach, obwohl er als Außenminister die regierungsamtliche Rede von der "uneingeschränkten Solidarität" mitträgt. Ein Mitglied der britischen Regierung hat am Wochenende sogar von "absoluter Solidarität" gesprochen, trotz Blairs Abgrenzung von möglichen irakischen Abenteuern. Abgrenzung von Abenteuern war aber gerade Kuhns Definition der "kritischen Solidarität". Kurzum: Es scheint im Bündnis gerungen zu werden, obwohl man um Sprachdisziplin bemüht ist. Und ferner: In der zentralen Frage, ob eine Ausweitung des Krieges droht, ziehen Kräfte, die an sich konträr sind, an einem Strang. Die deutsche Regierung, die bereit ist, Soldaten zu entsenden - Leute wie Fritz Kuhn, die offen von den Grenzen der Solidarität sprechen - seine Kollegin Claudia Roth, die ihre Forderung nach einem Bombenstop mit dem Flüchtlingselend begründet - und die prinzipiellen Pazifisten. Es gibt Streit zwischen diesen Kräften, aber zur Zeit fällt alles in dieselbe Waagschale. Und das ist gut so.

Der Kanzler teilte am Dienstag mit, dass die deutsche Regierung, falls der Bundestag zustimmt, bis zu 3.900 Soldaten nach Afghanistan entsenden werde: Elitesoldaten, ABC-Spürpanzer, Lufttransport-Kapazitäten, Evakuierungskapazitäten und Seestreitkräfte. Wenn es richtig ist, dass Schröder die Grenze des Erträglichen zwischen dem afghanischen und einem denkbaren irakischen Krieg zieht, dann musste er der US-Regierung dieses Zugeständnis machen. Er würde sonst seinen Einfluss auf den weiteren Verlauf der gefährlichen Weltkrise - denn in einer solchen befinden wir uns - verlieren.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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