Die Turbo-Vereinigung

Parteitag der WASG Berlin Landesverband und Bundesvorstand hantieren mit unmöglichen Strategien

Die Linkspartei wird hier PDS genannt. Im Kampf gegen den Neoliberalismus steht die PDS auf der anderen Seite, sagen die meisten Redner. Sie begründen es mit der Politik der Berliner PDS-Senatoren. Jetzt streiken die Ärzte in der Charité, und auf dem Verdi-Flugblatt liest man: SPD und PDS erpressen die Beschäftigten. Soll etwa bald auch die WASG mitgemeint sein? "Wir haben hier eine PDS, die offen organisierten Tarifbruch betreibt!" Und so immer weiter: Es ist schizophren, wenn die "Linke Fraktion" im Bundestag gegen Privatisierung kämpft, die Berliner PDS sie aber zulässt - der rot-rote Senat baut Arbeitsplätze ab, um sie durch Ein-Euro-Jobs zu ersetzen - uns droht die feindliche Übernahme durch die PDS - die PDS soll "einfach jetzt" ihre Senatoren kippen, dann können wir mit ihr reden ...

Es ist leicht, das sektiererisch zu nennen. Wenn ihr euch nicht mit der PDS verbünden könnt, fragen Einige, wer bleibt dann noch als Partner? Aber die Haltung hat subjektive und objektive Gründe; professionelle Politiker müssen sie in Rechnung stellen. Die Gründung der WASG war eine Folge der Hartz IV-Gesetze. Viele Delegierte sind privat betroffen. Alle sind es politisch. Von Anfang an hat sich die neue Partei - nicht nur in Berlin, sondern bundesweit - von der PDS-Strategie des "Mitgestaltens" in Landesregierungen distanziert. Dann kam die Erkenntnis Oskar Lafontaines, es sei nicht gut, wenn "zwei linke Parteien" im Bundestagswahlkampf gegeneinander kämpften. Die WASG ließ sich überzeugen. Aber wie soll es nun weitergehen? Soll ein Kompromiss zwischen Hartz IV-Gestaltung und Regierungs-Nichtbeteiligung gefunden werden? Den gibt es nicht. Einen Ausweg aus dem Dilemma müssen diejenigen vorschlagen, die die WASG auf die offenen PDS-Listen geleitet haben.

Warum schiebt Lafontaine jetzt erst nach, dass er die Strategie der Regierungsbeteiligung ganz richtig findet? Denn erstens, sagt er, könne die PDS die Härte von Hartz IV bei der Umsetzung lindern. Zweitens müssten PDS und FDP auch deshalb in Landesregierungen sein, weil die großen Parteien sonst hemmungslos das Mehrheitswahlrecht einführen. Das letzte Argument haben nicht einmal die Grünen vorgebracht, das erste sehr wohl: Mit ihm bewaffnet, können PDS-Senatoren eigentlich nie etwas falsch machen. Lafontaine hat die PDS genötigt, sich fortan "Linkspartei" zu nennen. Es war die WASG gewesen, denen die Medien diesen Namen gegeben hatten. Jetzt steht sie ohne ihn da. Die Namensänderung ist eins von beidem: entweder ein Manöver, die WASG zur Anpassung an die PDS-Politik zu zwingen, oder der Vorschein der neuen vereinigten Partei. Letzteres sollten die Wähler glauben und haben es getan. Sie sind nur dann nicht getäuscht worden, wenn die WASG sich nicht anpassen muss, sondern ein echter Kompromiss zustande kommt. Wir sind wieder bei der Ausgangsfrage: Worin soll der Kompromiss denn bestehen? Zumal Lafontaine gar keinen will - er aber ist die Ursache des Dilemmas.

So sind die Bedingungen, hier ist Rhodus, nun springe. Die Sprungversuche des Bundesvorstands der WASG, man kann es in der Berliner Versammlung sehen, sind lächerlich. Auch der Vorsitzende Klaus Ernst, der die Debatte eröffnet und schließt, ist gegen die Berliner Regierungsbeteiligung. Er würde auf Streikmeetings der Charité auftreten, sagt er und schlägt vor, mit der Basis der PDS zusammen gegen den rot-roten Senat zu demonstrieren. Ja, aber gleichzeitig soll der Vereinigungsprozess "ergebnisoffen" bleiben - deshalb darf die WASG Berlin den Beschluss, der sich anbahnt, dass sie nämlich gegen die PDS antreten will, nicht vor den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg fällen ...

Er empfiehlt Verhandlungen mit dem Ziel, die PDS von der "Mitgestaltungs"-Strategie abzubringen. Man erkennt leicht, das ist der einzige Ausweg, durch den sein Gedanke schlüssig würde: Vielleicht lässt sich die PDS ja überzeugen! Dann wären alle Probleme gelöst! Auch eine weitere Rednerin vom Bundesvorstand und eine von der Bundestagsfraktion suchen nach der Vereinbarkeit von Lafontaines Position und derjenigen der WASG. Dabei nimmt die strategische Klarheit nicht zu. "Die Turbo-Vereinigung" der Parteien, erklären sie, die sei doch wenigstens vom Tisch. Das sei ein großer Erfolg für die Eigenständigkeit der WASG. Den Zusammenschluss gibt es nun frühestens im Sommer 2007. Wie schön! Und bis dahin darf man den Partner nicht ärgern.

Die Sprungversuche der Berliner WASG-Mehrheit sind nicht weniger lächerlich. Wie die Sprecher des Bundesvorstands immerzu beteuern, dass die Senatsbeteiligung der Berliner PDS selbstverständlich nicht hingenommen werde, so beteuert die Berliner Mehrheit, es sei gar keine Frage, dass man auf die vereinigte Linkspartei zusteuere. Nur, wer habe sich da zu bewegen? Offensichtlich doch die PDS, die ihre Senatoren zurückziehen müsse - oder wenn diese bleiben wollen, habe der Senator Flierl als Vorsitzender des Aufsichtsrats der Charité, der Anfang Dezember wieder tage, ja in wenigen Tagen Gelegenheit, die Neuorientierung der Senatspolitik zu verkünden ... Man ist nicht bereit, irgendwelche Landtagswahlen abzuwarten, sondern will bis Anfang März entschieden haben, ob man gegen die PDS antritt oder nicht. Bis dahin wird mit dem ungeliebten Partner verhandelt. Aber was sollen diese Verhandlungen, da die Sprecher der Mehrheit selbst einschätzen, die PDS werde sich von ihrer Politik nicht abbringen lassen?

Wenn sie wirklich für die vereinigte Linkspartei sind, wäre der einzige Ausweg "die Turbo-Vereinigung". Den WASG-Mitgliedern bleibt dann nämlich nur der Versuch, die Mehrheitsverhältnisse auf PDS-Parteitagen so schnell wie möglich zu verändern, was eben die schnelle Parteivereinigung voraussetzt. Das sieht die Berliner PDS übrigens genauso. Man kann ihr viel vorwerfen, eines aber nicht: dass sie mit unmöglichen Strategien hantierte. Aber die Berliner WASG-Mehrheit hat sich für die "Turbo"-Frage gar nicht interessiert. Und der Bundesvorstand denkt jetzt über eine Teilung des Berliner Landesverbands nach. Wäre es nicht besser, in der "Turbo"-Frage noch einmal umzudenken? Wenn das nicht geschieht, haben wir eine Frage: Welche Berge können zwar nicht heute, aber zwischen heute und dem Sommer 2007 versetzt werden?


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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