Die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist ein politischer Faktor von erheblicher Bedeutung. Nach alter, wohl nicht falscher Einschätzung der Linken ist sie das Zentralorgan der Großbourgeoisie in Deutschland. Die Großbourgeoisie und ebenso die FAZ sehen es traditionell am liebsten, wenn die Unionsparteien das Land regieren. So konnte die FAZ auch immer als Organ der CDU/CSU angesehen werden. Doch hier hat sich in den 90er Jahren etwas verändert. Immer wieder las man in der FAZ, es gebe eigentlich zwei sozialdemokratische Parteien, die SPD und die CDU. Ihr Konkurrenzsystem als solches und im Ganzen stemme sich der nötigen "Modernisierung" des "Wirtschaftsstandorts Deutschland" entgegen. Diese Sicht bereitete die Kanzlerschaft Gerhard Schröders mit vor, eines Sozialdemokraten, der seine Distanz zur SPD ja nicht verhehlte. Die neoliberalen Projekte seiner Regierung werden von der FAZ häufig gelobt.
Doch ein FAZ-Journalist von seinem menschlichen Standpunkt aus glaubt an das, was lange vermischt war: an die Weisheit "der Wirtschaft" und gleichzeitig an den Führungsanspruch der Union. Er ist hin- und hergerissen. Er möchte Schröder bestärken - wie "hal" am 19. April: "Gerade weil die Regierung so fest im Sattel sitzt, sollte sie tatkräftigen Mut für weitere Reformen finden" -, aber auch der CDU zur Rückkehr an die Macht verhelfen. So liest man am selben 19. April auf derselben Seite, dass Schröder trotz allem "etwas fehlt": "Auf die Frage, ob die Politik der Âneuen Mitte mehr sei als eine Unterwerfung unter Sachzwänge", habe er "bisher noch keine überzeugende Antwort gegeben". Das hat Eckhard Fuhr niedergeschrieben, über dessen FAZ-internes Schicksal seit Wochen in vielen Medien spekuliert wird. Er habe einen Machtkampf verloren, heißt es. Die FAZ-Redaktion spalte sich in Befürworter und Gegner des Altkanzlers Helmut Kohl. Fakt ist, dass Fuhr von Frankfurt, wo er das Innenressort leitete, nach Berlin versetzt wurde.
Es ist möglich, dass dieser Wechsel nicht ganz freiwillig erfolgte, doch von einem Sieg seiner Widersacher, als welche Volker Zastrow und vor allem Georg Paul Hefty genannt werden, kann schwerlich die Rede sein, da keiner von beiden Fuhrs Nachfolger in Frankfurt wurde. Fuhr selbst sagt, er könne sich jetzt mehr aufs Artikelschreiben konzentrieren. So sieht eine Niederlage nicht aus: was im Blatt steht, ist das einzige, was zählt. Einen Konflikt zwischen Fuhr und Hefty hat es zweifellos gegeben, die FAZ-Leitung wollte ihn aber offenbar nicht entscheiden, sondern nur die Kampfhähne trennen. Beide legen weiter ihre etwas unterschiedlichen Einschätzungen vor. Und hier wird die Geschichte für Außenstehende interessant. Fuhr wie Hefty identifizieren sich mit der CDU. Wie nehmen sie die Krise ihrer Partei wahr?
Aus ihren Artikeln spricht, dass sie weniger um Kohl als um Angela Merkel streiten. In Merkels Aufstieg zur Parteivorsitzenden sehen beide eine Palastrevolution mit unabsehbaren Folgen. Das trennt sie von vielen Verharmlosern des Ereignisses. Ihr Urteil zählt viel, denn sie spekulieren nicht, sie kennen die Partei von innen. Fuhr hat es am drastischsten ausgedrückt: "Kontinuitätshoffnungen im Sinne der alten Kohl-CDU" seien verfehlt. "Ein Aufstand gegen die Machtkonzentration an der Parteispitze hat Frau Merkel nach oben getragen. Sie wird die Macht, die ihr zugewachsen ist, nutzen." (20. März) Worin der Kontinuitätsbruch besteht, hat Hefty zu einem Zeitpunkt erkannt, als Frau Merkels Sieg noch gar nicht absehbar war. Als er am 30. Dezember fragte, "was die CDU umtreibt", sah er vor allem den Kampf zwischen Helmut Kohls Freunden und den Aufklärern der Spendenaffäre toben. Doch daneben zeichnete sich schon der Vorstoß einer dritten Gruppe ab, der es, wie Hefty schrieb, schlicht ums "Großreinemachen" ging: "An der Spitze dieser Bewegung, die ihre Zeit kommen sieht, falls die Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen verloren gehen sollten, scheinen Merkel und Wulff", der erklärte Neoliberale, "stehen zu wollen."
Dann bringt er es auf den Punkt: "Das wäre eine nord-/ostdeutsche CDU mit Distanz zum rheinischen Erbe." Die Semantik dieser Ausdrücke ist wohlbekannt. Das "rheinische Erbe" ist Ludwig Erhards Soziale Marktwirtschaft, auch Rheinischer Kapitalismus genannt. Politische Hegemonie von Katholiken wie Adenauer und Kohl gehörte dazu. "Nordostdeutschland" ist protestantisch und, wer weiß, vielleicht sogar preußisch. Wenn dorthin die Gewichte der CDU verschoben werden, kann man nicht mehr glauben, es finde kein Übergang von der Bonner zur dann doch etwas anderen Berliner Republik statt.
Schon in diesem Artikel polemisiert Hefty gegen Frau Merkel, will ihr nachweisen, dass die CDU durch Kohls Praktiken nur 60.000 und nicht, wie sie behaupte, bis zu einer Million Mark staatliche Zuschüsse verliere. Am Vorabend ihrer Wahl zur Parteivorsitzenden beschreibt er die kalte Technik, mit der sie die Spitze erklommen habe: "Noch ein Blick auf jene Seite der CDU-Spendenaffäre, die auf dem Parteitag mit einem weißen Blatt Papier überklebt werden wird", steht über dem langen Text vom selben 6. April, an dem Fuhrs Versetzung nach Berlin gemeldet wird. Es fehlt nicht viel, dass er Frau Merkels Machtbegabung mit der Begabung eines anderen Generalsekretärs namens Stalin verglichen hätte. Besonders ist ihm die Verbindung mit Wulff unheimlich, die er Frau Merkel immer wieder unterstellt. Leute wie Wulff "ziehen bereits die sozialen Folgen der Globalisierung ins Kalkül", schreibt er am 2. Februar und fragt: "Will man an Kohl kein gutes Haar lassen, weil man die Moral für wichtig hält oder weil man sich von seinem christlichen Weltbild freimachen will?" Konfusion eines Katholiken: er unterscheidet nicht, dass der Neoliberale Wulff sich vielleicht anders von Kohls Christentum befreit - nämlich nicht nur konfessionell, sondern vollständig - als die Protestantin Merkel.
Im Gegensatz zu ihm applaudiert Fuhr der neuen Chefin, deren Sieg doch auch ihn erschreckt hat. Dem SPD-Kanzler sei in ihr "eine Konkurrenz erschienen, die zivilgesellschaftliche Erneuerung authentisch verkörpert". "Sie steht, ohne das Wort benutzen zu müssen, mitten in der Âneuen MitteÂ." (19. April) Ob auch er eine Koalition Merkel - Wulff annimmt, ist schwer zu erkennen. Jedenfalls würde ein solches Bündnis dem, was die FAZ seit Jahren herbeischreibt, viel mehr entsprechen als Heftys Wacht am Rhein. Fuhr soll der Verlierer sein? Bemerkenswert an diesem Machtkampf ist etwas anderes, nämlich dass gerade Fuhr nicht glaubt wissen zu können, welchen Kurs Frau Merkel steuern wird. Den deutschen Konservativen, aber auch den Neoliberalen stehen ein paar spannende Jahre bevor.
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