Dieser einzigartige Triller

Musik Der junge Pianist Adam Laloum bringt den Einbruch des Geheimnisvollen in Schuberts letzter Sonate zu Gehör
Ausgabe 45/2016

Zwei Klavierwerke von solchem Format vereinigt zu sehen, ist eine Freude. Und auch das Spiel des jungen Interpreten Adam Laloum, der an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater studiert, hört man gern an. Franz Schuberts B-Dur-Sonate (1828) und Robert Schumanns Davidsbündlertänze (1837) sind ein sehr anspruchsvolles Programm. Dabei fordert Schuberts letzte Sonate keine virtuose Brillanz heraus, eher muss sich der Interpret auf ihre Hintergründigkeit einen Reim machen. Kein Werk kann die Romantik besser repräsentieren als dieses.

„Indem ich dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Endlichen einen unendlichen Sinn gebe, so romantisiere ich es“, schrieb Novalis. Gewöhnlich ist das bezaubernde Lied, mit dem die Sonate anhebt, zwar nicht. Doch wie so vieles, was man von Schubert kennt, klingt es so natürlich und so wahr, dass man sich einbildet, es immer schon gekannt zu haben. Mit seiner traurigen, aber klaglosen Gefasstheit ist es von der Aufgewühltheit beethovenscher Musik so entfernt wie nur möglich. Doch endet es fragend, und dann erscheint jener seltsame leise Triller in allertiefster Lage, der dieses Werk in der Klavierliteratur einzigartig macht. Was will er uns sagen?

Manche Interpreten sehen einen Vorgriff auf das Ende der Exposition in ihm, wo er die Funktion hat, zu deren üblicher Wiederholung überzuleiten. In diesem Fall würde sein Auftauchen gleich am Anfang signalisieren, dass die Sonate eigentlich gar nicht beginnt, sondern sich seit ewiger Zeit immer schon vorgetragen hat. Das erklärt aber noch nicht, weshalb der Triller von so weit unten kommt. Deshalb lassen ihn andere Interpreten als sinnlosen Signifikanten in die geordnete Menschenwelt einbrechen. Beide Deutungen entsprechen dem romantischen Programm, Laloum gelingt ihre Synthese. Ihm zuhörend kann man gut nachvollziehen, wie der Einbruch des „Geheimnisvollen“ in immer anderer Gestalt die ganze Sonate beherrscht, etwa als häufig unterbrechende Pause oder im letzten Satz als gehaltene Note, die sich dem eiligen Finale oftmals entgegenstemmt.

Im Bund mit sich selbst

Die Davidsbündlertänze gehören vielleicht nicht zu Schumanns bedeutendsten, bestimmt aber zu seinen reizvollsten Klavierwerken. Den „Davidsbund“ war der Komponist mit sich selbst eingegangen, als er eine Zeitschrift gegründet hatte, die er mit Texten seiner drei Pseudonyme füllte. Er rekurriert auf andere romantische Bünde wie E. T. A. Hoffmanns „Serapionsbrüder“. Die Namen Florestan und Eusebius, wie sie in der ersten Ausgabe der Tänze mal einzeln, mal zusammen hinter jedem der 18 Einzelstücke noch verzeichnet sind, sollen zugleich auch an zwei Figuren eines Romans von Jean Paul erinnern, die Zwillinge Walt und Vult aus den Flegeljahren (1804/05). Der eine ist heftig, der andere still und beide kommen weder mit der realen Welt noch miteinander zurecht. Schumann hat den Zwiespalt in sich selber gespürt, doch die Tänze harmonisieren ihn eher. Sie sind mehr selbstironisch gehalten, so dass über einem Stück des heftigen Seelenteils der Titel „Etwas hanebüchen“ stehen kann. Sie sind aber auch ein Dokument des Kummers, weil Schumann die Hand Clara Wiecks, seiner späteren Frau, zunächst verweigert wird. Dies hebt Laloum durch sein ungewöhnlich einfühlsames Spiel des zweiten Stücks wunderbar hervor.

Info

Schumann, Davidsbündlertänze opus 6; Schubert, Sonate pour piano en si bémol majeur D960 Adam Laloum Mirare 2016

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden