Sich mit „religiös-metaphysischen Themen und der Tradition ihrer musikalischen Behandlung“ auseinanderzusetzen, das hat sich das Detmolder Ensemble Horizonte, gegründet 1990, zur Aufgabe gemacht. Jetzt legt Jörg-Peter Mittmann, sein konzeptioneller und künstlerischer Leiter, eine CD mit sechs eigenen Kompositionen vor, die schon wegen ihrer ungefähr gleichen Länge – 9 bis 13 Minuten – wie ein Experiment anmuten, das er immer wieder anstellt. Musikalische Gegenwart und Vergangenheit spiegeln sich ineinander, genauer gesagt wird der Bruch zwischen ihnen verschiedenartig reflektiert.
Ungewöhnlich ist, dass Mittmann sich weder auf den Standpunkt der Vergangenheit noch der Gegenwart stellt, vielmehr erscheinen beide als musikalisch schattenhaft. Wo er Vergangenes zitiert, ist das nicht weiter verwunderlich. Es wird manchmal direkt hineinmontiert in die modernen Stücke, so wenn er Claudio Monteverdis Lamento della ninfa (1638) in sein eigenes Lamento (2008) einblendet. Das muss natürlich wie von weit her klingen und tut es auch. Aber der vorher ins Moderne transponierte Monteverdi, den man nicht wiedererkennt, und überhaupt all die abgebrochenen Akzente, die Mittmann wie Steinchen in die musikalische Faktur hineinwirft, machen ebenfalls nur den Eindruck von Schatten. „Luftgeräusche mit Tonanteil“ wird zum Beispiel ein Klarinetteneinsatz in der Partitur überschrieben. Zur Vergangenheit führt nichts zurück, doch paradoxerweise scheinen wir auch zur Gegenwart keinen Zugang zu finden.
In zwei Stücken werden zusammengestellte Textbruchteile von Sängerinnen vorgetragen (Katrin Bähre, Sopran, Nicole Pieper, Alt). Da zeigt sich, was Mittmann seinem Studium von Musik, Philosophie und Geschichte verdankt. In Kreuzgesang (1997) konfrontiert er Texte etwa von Thomas von Aquin und Friedrich Nietzsche. Nietzsche wird mit den Worten zitiert, das Kreuz sei in der Kirchengeschichte in eine „obszöne Verheißung irdischer Macht“ verkehrt worden. „Oh Gott!“, der Aufschrei gegen Ende in dreifachem Forte, erinnert fatal an das triumphale „Und der Cherub steht vor Gott“ in Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie (1824), nur dass die Musik sich dann auch schon verläuft – es gibt keine Fortsetzung.
Bleibt leise
In Dem Unendlichen, einer „Musik auf Worte von Friedrich Gottlieb Klopstock“ (2009), wird eine Zeile des Dichters ernüchternd kommentiert: „Donnert, Welten, in feyerlichem Gang, in der Posaunen Chor!“, singt die Sopranistin auf hoher Tonlinie, wobei die Feierlichkeit angestrengt wirkt, um dann sprechend fortzufahren, sarkastisch, auch wütend: „... als sei kein Unglück die Nacht geschehen“. Ein Zitat aus Gustav Mahlers Kindertotenliedern (1904).
Eindrucksvoll ist die „Konzertszene für Violine und Ensemble“ Dona nobis pacem (1998). Man kennt sonst kein Violinkonzert, bei dem das Soloinstrument mit der Orchestermusik in gar keinem Zusammenhang steht und überdies seine Bögen so leise fortspinnt, dass es im konfusen Krach kaum hörbar ist. Doch wie in Beethovens gleichnamiger Komposition aus der Missa Solemnis (1823) beruhigt sich die Musik am Ende. Die Violinistin bleibt leise. Sie hat sich nicht beirren lassen. Leise heißt aber schattenhaft. Früher war neue Musik selbstbewusst präsent, auch wo sie alte Musik antwortend vergegenwärtigte. Das kann und will Jörg-Peter Mittmann nicht fortsetzen.
Info
Kontrapunkte Jörg-Peter Mittmann. Ensemble Horizonte Wergo 2015
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