Die gute Laune dieser Partei hat etwas Obszönes. Was haben sie sich wieder gefeiert, ja, wie strahlt auf den Gesichtern die Morgenröte - während die Klimakatastrophe fortschreitet, Kanzler Schröder die Ökosteuer infrage stellt und die Energiewirtschaft gar nicht daran denkt, jenen "Atomkonsens" zu unterschreiben, der ein Ende atomarer Stromerzeugung wenigstens in Aussicht stellt. Beim Parteitag am Wochenende kam heraus, nicht einmal die Parteiführung traut dem "Ausstieg". Der Atomkonsens wird nicht realisiert werden, wenn die Grünen nicht an der Regierung sind, sagt Joschka Fischer. Das heißt doch, alles bleibt offen. Gleichwohl, die Welt ist in Ordnung!
Dass die Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW) die Atomvereinbarung nicht mittragen wollen, kann sie auch nicht erschüttern. Der Konsens mit seiner Laufzeitgarantie, eben noch Kröte im grünen Magen, ist jetzt bei einigen schon zum eigentlichen Ziel aufgestiegen. Dadurch ist der Streit um die Teilnahme an Anti-Castor-Kundgebungen so konfus geworden. Die Parteiführung bot zuletzt den Kompromiss an, Grüne dürften sich zwar beteiligen, aber nicht gegen den Konsens demonstrieren. Da die Industrie ihn nicht unterschreibt, ist ein solches Verhalten auch plausibel. Es wird dann eben für die Unterschriften-Erzwingung demonstriert. Das Problem ist nur: Die Bewegung im Wendland will gerade deshalb demonstrieren, weil sie den Konsens ablehnt. Was bewirken dann grüne Demonstrationsteilnehmer? Verhindern sie, wie gesagt wurde, durch ihre Präsenz, dass die Kundgebungen kriminalisiert werden können? Oder verkehren sie deren Ziel ins Gegenteil? Die Lage wird dadurch noch unübersichtlicher, dass die Parteiführung auch zugestand, Grüne dürften auf dem Boden des Atomkonsenses für den sozusagen noch schnelleren Ausstieg demonstrieren. Es ist eine logisch unmögliche Idee, weil der Konsens ja gerade darin besteht, den Ausstieg so langsam kommen zu lassen - bis zum Verschleiß der Anlagen nämlich -, dass er keiner mehr ist. Auch wenn sie es nicht sagen, vielleicht nicht einmal denken: Demonstranten für den schnelleren Ausstieg sind Demonstranten gegen den Atomkonsens.
In dieser Konfusion ringen zwei Strömungen miteinander, die sich als solche noch nicht erkannt haben, daher auch von der Grundsätzlichkeit ihres Streits nichts ahnen. Dem Parteitag lag ein Grundsatzprogrammentwurf vor, in dem behauptet wird, "grün" sei neben konservativ, sozialistisch und liberal die vierte politische Strömung in diesem Lande. Es scheint aber eher, als gehörten die Tonangebenden zur liberalen Strömung in der Variante des subalternen Liberalismus, den man aus der Bismarck-Zeit kennt. Sie beschwören jetzt den Begriff der Freiheit, dagegen ist nichts zu sagen. Aber wie die Freiheitsemphase der Nationalliberalen vor Preußen Halt machte, so die der Grünen vor dem Großkapital. Georg Bollenbecks kulturgeschichtliche Studie Tradition, Avantgarde, Reaktion erinnerte kürzlich an jene Bismarck-Geschädigten: "Auch nach der gescheiterten Revolution weiß man die Geschichte auf seiner Seite." Man begnügt sich daher mit der kulturellen Hegemonie. Und die Machthaber applaudieren, spielen mit - eine Zeitlang. Von solchem Märchenglauben an den Fortschritt sind heute die Grünen beseelt. In ihrer Jugend haben sie 1848 und das Kommunistische Manifest nachinszeniert. Dann langten sie bei der Niederlage an und zogen die typisch deutschen Konsequenzen: ducken, träumen. Den Atomkonsens können sie deshalb so fröhlich verkraften, weil der Ausstieg, wie sie glauben, "sowieso kommt". Er ist ja ökologisch notwendig. Er wird kommen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Nur ob er etwas früher oder etwas später kommt, steht in Frage. Das ist die Frage der "Gestaltung", mit der es Politik einzig zu tun hat, wie sie glauben.
In ihrem Weltbild kommt alles "sowieso". In Garzweiler II wird sowieso nichts abgebaut, weil es unrentabel wäre. Dabei sollte die Ökosteuer den Ausschlag geben. Im Augenblick zwar von Abschaffung bedroht, muss sie sich zuletzt einfach deshalb durchsetzen, weil sie notwendig ist. Deshalb kann man auch die nächste Koalitionsverhandlung mit dem Kanzler, der dagegen ist, ganz gelassen abwarten. Auch eher zweifelhafte Dinge kommen sowieso, zum Beispiel die Regeln für den Menschenpark. Die "Machbarkeit des Menschen", teilt Joschka Fischer den Delegierten mit, könne ohnehin nicht verhindert werden, also gehe es darum, sie zu "gestalten". Sie staunen selbst manchmal, was alles zum Fortschritt gehört (und das Wort "Fortschritt" als solches haben sie ganz vergessen), aber das ändert an ihrer Gläubigkeit nichts. Ganz bestimmt gehört der ökologische Umbau dazu, und deshalb wird er auch kommen!
Eine Gegenströmung in der Partei weiß noch, dass es anders ist: Hilf dir selbst, dann hilft dir der Fortschritt. Sie hat sich von der Teilnahme an den Anti-Castor-Kundgebungen nicht abbringen lassen. Aber dass sie eine Gegenströmung ist, weiß sie nicht. Auch Renate Künast gehört zu den Unentschiedenen. Ihre Tatkraft ist zwar bewundernswert. Man muss die Bauern vor ihrem eigenen Verband schützen, sagt sie zum Beispiel. In Niedersachsen habe der Verband den Bauern eine ungewöhnlich teure Feuerversicherung aufgeschwatzt, nur um selbst daran zu verdienen. Derlei werde ihr Ministerium künftig verhindern. Aber dann zitiert sie den Verbandspräsidenten Sonnleitner - der habe schon im vergangenen Herbst geahnt, dass an der Landwirtschaft etwas faul sei; die Grünen, triumphiert sie, ahnen es seit 20 Jahren! Ja, irgendwann ahnen es alle - das ist der Fortschritt. Den Personalbestand ihres Ministeriums hat sie fast unangetastet gelassen ... Es klebt noch zu viel 19. Jahrhundert an dieser Partei.
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