Homosexualität ist ein natürlicher Trieb, den man schon bei Tieren findet, es bedarf also keiner Widerlegung der Bibel, um sie zu „rechtfertigen“. Die Frage stellt sich anders: Wenn es in der Bibel etwas geben sollte, das zur Kenntnis genommen zu werden lohnt, warum hören die Kirchen nicht auf, es durch Querschüsse gegen Homosexualität zu verdunkeln? Sie versuchen doch auch nicht mehr, christlichen Frauen Kopftücher aufzunötigen, obwohl sie sich auf denselben Paulus berufen könnten, der auch die Homosexualität verdammte. „Ein Mann jedoch muss sich den Kopf nicht verhüllen, da er Gottes Bild und Herrlichkeit ist“, schreibt der Apostel im 11. Kapitel des 1. Korintherbriefs. Muss man nicht trennen zwischen christlicher Religion und bloßer Sitte in irgendwelchen christlichen Jahrhunderten?
Zwar fallen die Stellungnahmen heute sehr gemäßigt aus, denn die Kirchen wollen sich nicht weiter als nötig vom Zeitgeist entfernen. „Die spezifische Neigung der homosexuellen Person ist in sich nicht sündhaft“, hat sogar die römische Glaubenskongregation 1986 festgestellt. Da wurde sie schon von Ratzinger geleitet, dem jetzigen Papst. Die homosexuelle Neigung müsse aber dennoch, fährt das Dokument fort, „als objektiv ungeordnet angesehen werden“. Weiter kann eine Kirche nicht zurückweichen, als dass sie in Rätsel flüchtet.
Wenn man sich aber ein Bild von der Wut machen will, die in manchen christlichen Köpfen grassiert, dann höre man den sonst so bedeutenden evangelischen Theologen Karl Barth. Er war der Kopf der Bekennenden Kirche gegen Hitler gewesen. 1951 teilte er in der Kirchlichen Dogmatik, seinem Hauptwerk, mit, dass der oder die Homosexuelle, statt „verantwortlich“ vor Gott zu leben, nur „für sich selbst Mensch sein, seiner selbst froh sein, sich selbst genießen und genügen“ wolle. Als ob nur Heterosexuelle zum Sex einen Partner bräuchten! Aber nicht nur Gottesferne, sondern auch „Inhumanität“ liege vor, so Barth weiter, weil männliche Homosexuelle „frauenfrei“, weibliche männerfrei seien. Als gäbe es nur einen Umgang mit dem anderen Geschlecht, den Geschlechtsverkehr!
„Die Kirchen haben zu lange auf die Randbemerkungen der Bibel über Homosexualität gestarrt“, schrieb der katholische Theologe Wunibald Müller. Doch es gibt andere Quellen ihrer Abwehr. Die „homosexuelle Person“, von der die Glaubenskongregation spricht, kommt in der Bibel gar nicht vor. Sie ist erst eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Vorher war Homosexualität ein Laster, das von Staat und Kirche zwar streng verurteilt wurde, dessen man aber doch alle Menschen für fähig hielt. Seit es nun eine Personengruppe „der Homosexuellen“ gab, war es natürlich furchtbar, ihr anzugehören. Dass in jeder Person die Möglichkeit des „Lasters“ lag, durfte nicht mehr wahr sein. Alle, die es verdrängen konnten, verdrängten es. Und besonders gut mussten es die Christen verdrängen, weil die Bibel, mit ihren „Randbemerkungen“, noch Öl ins Feuer der neuen Menscheneinteilung goss.
II. Beamte der Nacht und der Klöster
In Antike, Mittelalter und Neuzeit folgte die Kirche stets der Sitte und dem staatlichen Gesetz. Dass sie heute den Begriff der „homosexuellen Person“ segnet, ist davon nur die letzte Epoche. Schon das römische Recht hatte Homosexualität verboten. Ebenso das Gesetz vieler germanischer Stämme. Im Fränkischen Reich drohte Homosexuellen der Verbrennungstod. Da musste die Kirche, meint Georg Denzler in seinem Buch 2000 Jahre christliche Sexualmoral (München 1988), „darauf bedacht sein, dass ihre Gläubigen bei der Verachtung des sodomitischen Lasters nicht hinter ihren heidnischen Nachbarn zurückstanden“.
Das ist noch zu rationalistisch gedacht. Es gab wahrscheinlich kein strategisches Kalkül. Die Frage ist eher, wo die Kirche denn ein Personal hernehmen sollte, das nicht selber zu mindestens 90 Prozent heidnisch war. Die Sexualitätsfrage wurde kultischen Reinheitsvorstellungen untergeordnet, die nicht aus dem Neuen Testament kamen. Sie führten etwa dazu, im Jahr 1099, dass eine Synode die Berührung priesterlicher Hände mit den Händen weltlicher Herrscher kritisierte. Denn Letztere waren vom Verheiratetsein befleckt, ja „durch schamlose Berührungen besudelt“, wie Papst Urban II. es sah, die geistlichen Hände aber, die das Abendmahl spendeten, mussten ganz rein sein. Weil sich der Handschlag nicht vermeiden ließ, wenn Priester von Herrschern eingesetzt wurden, war das ein großes Problem und ein eigenes Kapitel im „Investiturstreit“. Aber gerade in dieser heidnischen Idee priesterlicher Reinheit, die auch zum Zölibat geführt hatte, stimmte die Kirche damals mit ihrer Umwelt überein. Gegen Priester, die mit Frauen zusammenlebten, ließ sich die Bevölkerung leicht mobilisieren.
Wo schon jede Heirat „besudelt“, war Homosexualität, die es auch unter Priestern gab, kaum noch etwas Besonderes. Unzucht war Unzucht. So behandelte das III. Laterankonzil (1179) Sodomie im Zusammenhang mit Maßnahmen gegen Priester, die im Konkubinat lebten, und berief sich nicht nur auf die Geschichte von Sodom und Gomorra, sondern auch auf das 5. Kapitel des Epheserbriefs, obwohl dort nur ganz allgemein von „Unzucht und allerart unreinem Treiben“ die Rede ist.
Erst mit Beginn der Neuzeit schoss sich die Kirche schärfer auf Homosexuelle ein. Das Treiben des Dominikanermönchs Savonarola, der in Florenz eine Schreckensherrschaft errichtete, war ein Fanal: 1494 ließ er ein Gesetz verabschieden, das Sodomisten den Feuertod androhte. „Macht ein Feuer, von dem ganz Italien spricht!“, treibt er die Obrigkeit an, und diese reagiert mit dem Aufbau einer Behörde, die sich „Beamte der Nacht und der Klöster“ nennt. Damals wuchs auch die Zahl der Hexenverbrennungen. Die Neuzeit begann mit viel Angst vor Minderheiten und allem, was fremd war. Die offizielle Kirche aß nicht ganz so heiß, wie hier gekocht wurde, doch ihre Strenge nahm sichtlich zu. Papst Pius V. setzte 1568 fest, dass sodomistische Geistliche nicht nur, wie schon vom III. Lateranum vorgeschrieben, ihr kirchliches Amt verlieren, sondern auch von der weltlichen Obrigkeit bestraft werden sollten. Für den Catechismus Romanus von 1566 gehört Sodomie zu den „himmelschreienden Sünden“.
An dieser Moraltheologie aus der Zeit der Gegenreformation wurde bis ins 20. Jahrhundert hinein festgehalten. Noch im Rechtsbuch der römischen Kirche von 1918 ist Sodomie ein Straftatbestand. Im 1983 revidierten kirchlichen Strafrecht wird sie nicht mehr ausdrücklich genannt. Sie verschwindet wieder hinter der Unzucht im allgemeinen. Inzwischen ist ja in Ratzingers Herkunftsland der Paragraph 175 gefallen. Seit dieser Zeit nach dem II. Vatikanischen Konzil bemühen sich Bischöfe vermehrt, Homosexuellen Verständnis entgegenzubringen. Schade nur, dass ihr Diskurs es eigentlich nicht zulässt. Zum Beispiel die Schweizer Richtlinien von 1979: Der Homosexuelle wird freudig empfangen, wenn man „sein ernsthaftes Bemühen um eine ihm mögliche christliche Lebensgestaltung“ erkennt. Die Schweizer Bischöfe wollen aber auch betonen, dass „die volle (genitale) Aktivierung menschlicher Sexualität ihren berechtigten Ort nur in der Ehe hat“. Daraus könnte man wenigstens auf die Notwendigkeit und das Recht homosexueller Ehen schließen. Aber so ist es nicht gemeint.
III. Was ist gut?
Die Ehe also. Tatsächlich, sie ist immer der Ort der Abwehr gewesen. Da im homosexuellen Geschlechtsverkehr keine Kinder gezeugt werden, leistet er keinen Beitrag zur Reproduktion des Volkes. Das war in früheren Zeiten ein wichtiger Gesichtspunkt. Die Kindersterblichkeit war hoch, die Männer wurden in Kriegen dahingerafft, andere fielen einer Seuche zum Opfer. Auch deshalb wurden möglichst viele Kinder gezeugt. Ein Mann, der nicht nur mit seinen Frauen schlief, damit es Nachwuchs gab, sondern daneben auch dem homosexuellen „Laster“ frönte, hatte die Zahl der Kinder vermindert, die es hätte geben können. Das ist nicht sehr plausibel, aber so dachte man wohl.
So spiegelt es sich in der Geschichte von Sodom und Gomorra. Es fängt damit an, dass Abrahams Hauptfrau Sarah keine Kinder bekommen kann. Dabei war ihm eine unübersehbar zahlreiche Nachkommenschaft verheißen worden. Als sie schon über 90 Jahre alt ist, wird er von drei jungen Männern besucht, die Engel sind und ihm die Geburt Isaaks ankündigen. Nachdem das getan ist, gehen sie „auf Sodom zu“. Abraham erfährt, dass Sodom ein Strafgericht bevorsteht. Dort wohnt sein Bruder Lot. Abraham ringt Gott das Zugeständnis ab, die Stadt zu schonen, wenn sich wenigstens zehn „Gerechte“ in ihr finden. Nun ist es Lot, der von zwei Engeln besucht wird. Sofort rotten sich alle Männer Sodoms vor seinem Haus zusammen. Sie wollen mit den Engeln Geschlechtsverkehr haben. Vergeblich bietet Lot eine seiner Nebenfrauen an. Damit ist bewiesen, dass es keine zehn Gerechten gibt, und Sodom wird vernichtet.
Es ist ein wüster Traum, wie ihn nur Homophobie eingeben kann. Doch der Sinn ist klar. Hier die ohnehin bedrohte Fruchtbarkeit Abrahams, dort die Sabotage des Zeugens durch die Sodomiten. Die Bibelwissenschaft sagt uns, dass die Geschichte von Sodom ein „ätiologischer Mythos“ sei, das heißt eine Geschichte, die einen wirklichen Fakt begründen soll. Das ist in diesem Fall die Ödnis des Landes von Sodom. Ursprünglich hatten Abraham und Lot ein ganz und gar fruchtbares Land unter sich aufgeteilt, aber wegen der Sünde der Sodomiten musste auf Lots Seite alles verdorren. Wir sehen also, die Fruchtbarkeit des Landes bedeutet die Fruchtbarkeit des Leibes und umgekehrt.
Was ist denn das Religiöse an dieser Geschichte? Wenn es stimmt, dass sich „die Religion, und nicht nur die christliche, in Auseinandersetzung mit dem Geschehen des Todes ausgebildet hat“, wie wir in einem Buch des Kirchenhistorikers Arnold Angenendt lesen können, dann muss die Geschichte von Sodom in einer Zeit wurzeln, die noch gar nicht zwischen Religion und Weltlichkeit unterschied. Denn der Tod hat hier keinen anderen Sinn als den bevölkerungspolitischen, dass es Kinder geben muss, die den Wegfall der Gestorbenen ausgleichen. Doch das Buch Genesis, in welches die sehr alte Sodomgeschichte integriert ist, hat schon einen spezifischeren Religionsbegriff. Es wird nicht einfach erzählt, dass auf der Seite Sodoms alles verdorrt, während auf der Seite Abrahams der Kindersegen ausbricht. Die Pointe ist vielmehr Gottes scheinbare Absicht, Abrahams ganz regulär heterosexuell erzeugten Sohn Isaak zu töten. In dieser Geschichte steckt die Baalsreligion, die auch einmal die Religion der Israeliten gewesen war. In ihr hatte man Gott für die Nachkommenschaft, die er spendete, mit dem Opfer des erstgeborenen Sohns gedankt. Und jetzt beendet Gott diesen Kult.
Die Opfererzählung taugt nur noch dazu, Abrahams Gehorsam zu unterstreichen. Außerdem ist auch sie ein „ätiologischer Mythos“: Gott befiehlt Abraham, statt Isaaks einen Widder zu opfern – deshalb schreibt das mosaische Gesetz Tieropfer vor. Um Homosexualität geht es hier schon nicht mehr. Was ist Gehorsam gegen Gott? Keinen homosexuellen Geschlechtsverkehr zu haben? Das ist eine lächerliche Ebene.
Und wie lächerlich müsste es erst den Propheten erschienen sein, die auch in einer Religion des Tieropfers keinen Sinn mehr entdecken konnten. „Bringt mir nicht länger sinnlose Gaben“, sagt Gott bei Jesaja. Er sagt es den „Herrschern von Sodom“, dem „Volk von Gomorra“. Jesaja denkt nicht an Homosexuelle, wenn er so formuliert. Er ist kein Körperschnüffler, sondern ihn quält Israels bevorstehender Untergang. Die Assyrer werden das Land überrollen. Es hat schon angefangen: „verödet wie das zerstörte Sodom ist euer Land“. Der Grund ist aber nicht, dass zu wenige Kinder gezeugt worden wären. Ja, es hat an Gehorsam gegen Gott gefehlt: „Lernt, Gutes zu tun! Sorgt für das Recht! Helft den Unterdrückten! Verschafft den Waisen Recht, tretet ein für die Witwen! Kommt her, wir wollen sehen, wer von uns recht hat, spricht der Herr.“
Die heutigen Kirchen haben es immer noch nicht gelernt. Was ist das „Gute“? Es erschließt sich nicht aus einer Untersuchung der „genitalen Aktivierung menschlicher Sexualität“. Die Schweizer Bischöfe sind völlig auf dem Holzweg. „Sorgt für das Recht!“, was heißt das bei 26.000 Hungertoten täglich?
IV. Was blickst Du auf den Splitter?
Wenn man den Kirchen glauben will, ist der Apostel Paulus wieder auf den Standpunkt der ursprünglichen Sodomgeschichte zurückgefallen. Wahr ist, dass er an eine „Ordnung Gottes“ erinnert, „wonach alle, die so etwas tun, den Tod verdienen“. Aber das steht im Römerbrief, einer zweitausend Jahre alten Quelle, die man nicht ohne Wissenschaft versteht. Die Forschung hat ergeben, dass die Aufzählung von Lastern, in der Paulus neben Habgier, Neid, Mord, Streit, List und Tücke auch Homosexualität aufführt, eine damals typische, zum Beispiel auch bei Seneca anzutreffende Gattung des „Lasterkatalogs“ bedient. Bei Seneca kann man nachlesen, was der Sinn solcher Kataloge ist: „Alle Fehler wohnen allen inne, doch nicht alle sind bei jedem sichtbar“, schreibt der stoische Philosoph.
Es ist ganz offensichtlich, dass Paulus ebenso denkt, denn auch seine Schlussfolgerung aus dem Katalog belastet alle mit allen Lastern: „Du hast also keine Ausrede, Mensch, wer du auch seist, der so urteilt“, schreibt er in seinem typischen Stenogrammstil – er meint den Menschen, der sich ein Laster herauspickt, das er selbst zufällig nicht hat, um es anderen vorzuwerfen -, „denn indem du den andern beurteilst, verurteilst du dich selbst; du tust nämlich dasselbe, obwohl du urteilst.“ „Du tust dasselbe“, denn Laster ist Laster, ob Homosexualität, Neid oder Habgier, gleichviel. Wie seltsam, dass die Kirchen viel mehr gegen Homosexualität als gegen Habgier gewütet haben!
Sie können sich nicht mit der schweren Verständlichkeit der paulinischen Texte herausreden. Denn deshalb sind ja danach noch die Evangelien entstanden. In ihnen ist die Lehre volkstümlich erklärt. „Was blickst du auf den Splitter im Auge deines Bruders, den Sparren aber in deinem Auge beachtest du nicht?“, sagt Jesus bei Matthäus in der Bergpredigt. Wo Paulus, der Pionier, in schwierigen Sätzen mäandert, findet der Evangelist eine einfache Formel: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.“ Aber auch so wollte es die Kirche nicht verstehen. Die Opferzahl ihrer Richtfeste ist hoch.
Nicht um Strafen für sie anzukündigen, führt Paulus die Laster auf, sondern weil er in ihnen selbst schon welche sieht. Es sind Strafen dafür, hat er vorher erklärt, dass die Menschen nicht Gottes Endgültigkeit angebetet haben, sondern seine vergänglichen Geschöpfe – womit er an die Götzenkritik der Propheten erinnert. Sein eigener Gedanke kommt hinzu, dass diese Verkehrung von Schöpfer und Geschöpf sich im Geschöpflichen selbst noch einmal wiederhole. Dafür bietet sich nun gerade die Homosexualität als scheinbar bestes Beispiel an. „Deshalb hat Gott sie an verachtenswerte Leidenschaften ausgeliefert: Ihre Weiber vertauschten den natürlichen Umgang mit dem widernatürlichen. Und desgleichen ließen auch die Männer den natürlichen Umgang mit dem Weibe fahren und entbrannten in ihrer Gier zueinander“.
Aber eigentlich ist das Beispiel gar nicht so gut, denn wenn die Sünde darin liegt, das Vergängliche statt des Ewigen zu vergotten, dann ist die Vergottung einer Frau durch einen Mann um nichts besser als die Vergottung eines Mannes durch einen Mann. Und jedenfalls sind Streitsucht und Hochmut, Habsucht und Mord für Paulus ebensolche Verkehrungen. Der Habsüchtige zum Beispiel betet vergängliches Geld an. Man kann sich nicht auf Paulus berufen, wenn man lieber das Widernatürliche der Homosexualität als das Perverse der Habsucht hervorhebt.
Von einer „Ordnung Gottes“, „wonach alle, die so etwas tun, den Tod verdienen“, spricht Paulus zuletzt. Diese Ordnung ist das mosaische Gesetz. Dort wird in der Tat für Homosexualität und andere Sünden der Tod vorgeschrieben. Genauer gesagt übrigens nur für männliche Homosexualität. Die weibliche „Widernatürlichkeit“ liegt für das mosaische Gesetz im Geschlechtsverkehr mit Tieren, und man muss davon ausgehen, dass sie auch für Paulus in nichts anderem besteht. Eine Verurteilung lesbischer Beziehungen hat es ja bis zu seinen Lebzeiten in der gesamten jüdischen Literatur nicht gegeben, sie findet sich erstmals im Jahr 192 nach Christus. Man sieht hier wieder, wie Paulus von der Sitte abhängt. Aber er lehrt, und das erst ist die Ponte, dass das mosaische Gesetz durch Christus aufgehoben worden sei: Die den Tod „verdienen“, werden trotzdem nicht ausgeliefert, denn Gottes „Güte, Geduld und Langmut“ will sie „zur Umkehr führen“.
V. Es gibt viele Varianten
„Die Liebe Gottes spiegelt sich auch in der Monogamie eines homosexuellen Paares.“ Diesen Satz hat Rowan Williams, Erzbischof von Canterbury seit 2002, in einem privaten Briefwechsel formuliert. Als Oberhaupt der anglikanischen Kirche vertritt er ihn nicht, weil er dann nicht deren Repräsentant sein könnte. Homosexualität ist auch in dieser Kirche heftig umstritten. Aber die Toleranz ist größer als in anderen Kirchen. In den USA wurde 2003 ein Homosexueller zum anglikanischen Bischof geweiht. Darunter hat die ökumenische Bewegung gelitten. Besonders die Russisch-Orthodoxen sehen rot. Und der römischen Kirche ist die Vereinigung mit den Orthodoxen wichtiger als die Vereinigung mit den Anglikanern. Das ist der Stand der Kirchengeschichte. Wie dem auch sei – der Satz von Williams führt auf die tiefste Spur.
Was ist denn damit gesagt, dass sich die „Liebe Gottes“ in einem „Paar“ spiegelt? Es ist der Gedanke, der das Christentum mit allen Stadien der Religionsgeschichte verbindet. Dass männlich sich zu weiblich verhält wie lebendig zu tot oder umgekehrt, diese Metapher ist das Grundgesetz schon der ältesten Mythen, von denen wir Kenntnis haben. Es ergibt sich ein bestimmtes Verhalten der Geschlechter daraus, wahrscheinlich in Spuren bis heute. Wenn einem Mann eine Frau infolge ihrer Fremdheit als Metapher des Fremden schlechthin, das heißt als Todesdarstellerin erscheint, – oder umgekehrt und richtiger: Wenn er sich in einem Diskurs bewegt, der die Frau zur Todesdarstellerin stempelt, und sie ihm infolgedessen als überwältigend fremd erscheint, – dann wird er mit ihr nicht nur deshalb verkehren, weil er Lust oder Nachwuchs will. Sondern auch deshalb, weil er ein Arrangement mit dem Tod sucht: ihn beherrschen, kontrollieren, überlisten, gnädig stimmen oder auf seinen Domina-Schrecken vorbereitet sein will. Es gibt viele Varianten.
Schon das Alte Testament hat diese Metaphorik mit einer anderen überformt und so zu relativieren versucht. Die Hypostasierung eines einzigen „Gottes“ bedeutet im Grunde, dass es keine Todesdarstellung geben kann. „Gott“ ist weder ein Mann noch eine Frau, auch wenn die Priester-Männer ihn als „Herrn“ bezeichnen. Er ist gar nichts anderes als die Hoffnung, dass die menschlichen Tode und ihre Kehrseite, die Geburten, zuletzt zum Guten führen mögen. Wenn man es so sieht, verändert sich alles, denn man kann den Weg der Hoffnung nicht kontrollieren. Das Mann-Frau-Verhältnis wird nun zur Darstellung in einem anderen Sinn. Es stellt das Leben aus der Hoffnung dar, ihre Beständigkeit und Unverfügbarkeit und die Geduld, die man aufbringen muss. Das ist die „Liebe Gottes“. Und in der Tat, warum soll sie sich nicht auch in einem homosexuellen Paar spiegeln? Warum soll nicht ein Mann für einen Mann, eine Frau für eine Frau das unverfügbar Fremde sein, das in Geduld und Liebe seine Fremdheit verliert? Wenn der oder die Betreffende nun einmal so empfindet? Wo es sich doch ohnehin nur um eine Metapher handelt? Williams hat also recht, abgesehen von seinem einseitigen Akzent auf der Monogamie. Denn Hoffnung ist erst einmal Suche. Auch die Suche ist ein Gleichnis.
Die „Liebe Gottes“ mit einer bestimmten Form der „genitalen Aktivierung“ zu identifizieren, verdinglicht die Erotik, nimmt ihr den Gleichnischarakter. Es ist heidnisch und feige. Man stelle sich vor, Jesus von Nazareth wäre nur der Todesdarsteller für eine Frau oder für einen anderen Mann gewesen. Da hätte er es einfach gehabt. Sein Tod war aber echt. Er hat ihn für eine gute Sache in Kauf genommen. Weil seine Jünger sich nicht entmutigen ließen, sondern weitermachten, feiern wir Ostern. Anlass und Gelegenheit, „das Kreuz auf sich zu nehmen“, gäbe es auch heute: Es würde mehr Mut verlangen als bloß den, irgendeine sexuelle Neigung auszuleben oder zu unterdrücken.
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