Ehrlich gesagt

Afghanistan In der Aufarbeitung des Bombardements von Kunduz verschwindet der Krieg am Hindukusch hinter dem Kommunikationsproblem einer Ministerialbürokratie. Das ist eine Falle

An diesem Mittwoch steht im Verteidigungsausschuss des Bundestags, der sich hierfür in einen Untersuchungsausschuss umwandelt, erneut der Luftangriff der Bundeswehr gegen das afghanische Kunduz auf der Agenda. Der neue Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg hatte in der vorigen Woche seinen Staatssekretär sowie den Generalinspekteur der Bundeswehr zum Rücktritt veranlasst, weil sie Berichte über das Geschehen am 4. September nicht weitergeleitet haben sollen. Danach war auch sein Vorgänger Jung nicht mehr zu halten, dem es nichts nützte, dass er inzwischen Bundesarbeitsminister geworden war. Inzwischen hat sich die Bundeskanzlerin an die Spitze aller Aufklärungsversuche gestellt. Die Regierungskoalition selbst ergriff die Initiative zur Untersuchung, damit ihr die Opposition nicht zuvorkommt.

Da kommt etwas in Bewegung, möchte man meinen. Aber zuerst hat man Anlass, frustriert zu sein, ja zynisch zu werden. Das ist doch wie mit Opel: Erst mussten die Bundestagswahlen vorübergehen, die neue alte Regierungsmacht in trockenen Tüchern sein, so ist es auch gekommen, und nun holt man die Leichen aus dem Keller - die toten Zivilisten von Kunduz -, als ob man von denen vorher gar nichts gewusst hätte. Sie standen aber von Anfang an in allen Tageszeitungen. Welch ein billiger Trick ist es im Grunde, einfach einen neuen Mann zum Verteidigungsminister zu ernennen und dann so zu tun, als tauche Kunduz zum ersten Mal auf! Ob die Regierung so einfach davonkommt? Es ist fraglich, denn es gibt Hinweise, dass nicht nur Jung, sondern auch Merkel von Anfang an mehr wussten, als sie sagten.

Aber man würde sich täuschen, glaubte man, die Initiative der Regierung diene nur ihrer Selbstverteidigung. Viel wahrscheinlicher ist, dass Merkel und zu Guttenberg einen neuen Anschlag planen, nämlich eine Truppenverstärkung in Afghanistan wie vom US-Präsidenten Obama gewünscht. Das wird mit "ehrlich gesagt" nicht ungeschickt vorbereitet: Ehrlich gesagt ist es ja ein Krieg, den wir in Afghanistan führen - mit der wertfreien Einsicht im Plauderton war zu Guttenberg in sein neues Amt gleich eingestiegen. Noch ehrlicher und genauso ohne jeden Neuigkeitswert war es dann, dass er die Kollateralschäden einräumte, die es in Kunduz deshalb gab, weil sie einfach zu jedem Krieg gehören. Und nun soll sich die Öffentlichkeit darüber erregen, dass Jung und andere es den Medien überließen, über tote Zivilisten zu reden, statt es auch selbst zu tun. Darüber, dass es von der Sorte noch mehr geben wird, weil der Krieg ja weitergehen soll, soll sie sich nicht erregen. Das ist eine Falle. Und wie es scheint, tappt auch die Opposition hinein.

Wenn wir zynisch sind, können wir den Wunsch ergänzen, dass dann wenigstens auch die SPD auf dem verkehrten Diskurs ihr Süppchen kochen soll: Muss nicht auch der frühere Kanzleramtsminister Steinmeier von den Toten gewusst haben? Verdient er es dann, Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag zu sein? Sollte er nicht vom neuen SPD-Chef Gabriel zum Rücktritt veranlasst werden? Mehr noch, kann es überhaupt irgendeinen Bundesminister gegeben haben, der das alles nicht wusste, was die Zeitungen Tag für Tag von den Dächern pfiffen? Wie ist es dann aber mit zu Guttenbergs neuer "Ehrlichkeit" bestellt?

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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