Ehrlich muss man sein

Politische Krise Keine Zusammenarbeit mit der AfD – daraus lassen sich klare Handlungsmaximen ableiten. Sie müssten nur durchgesetzt werden

Demokratische, verfassungstreue Parteien machen sich nicht abhängig vom Abstimmungsverhalten von AfD-Abgeordneten: So einfach ist das. Sahra Wagenknecht hat es gestern Abend bei Anne Will in Erinnerung gerufen. Sie war ja nicht die Erste, die der so naheliegenden Regel Worte verlieh. Aber das Einfache ist offenbar schwer zu machen. Peter Altmaier von der CDU und Wolfgang Kubicki von der FDP, die an der Runde auch teilnahmen, gaben kein Einverständnis zu erkennen, so dass Melanie Amann, die Leiterin des „Spiegel“-Hauptstadtstudios, am Ende ganz richtig feststellte, die Situation erscheine nach wie vor ausweglos verfahren.

Der deutsche Parlamentarismus befindet sich seit ein paar Tagen in einer schweren Krise, aber man lasse sich nicht einreden, dass sie schwer zu lösen sei, und soll auch nicht panisch werden, als stünde die AfD schon kurz vor der Machtübernahme – das tut sie nicht: Sie hat verglichen mit der letzten Bundestagswahl bei der letzten Thüringer Wahl Stimmen verloren –, nur weil einige Leute jetzt den Kopf verlieren. Wie Annegret Kramp-Karrenbauer, die ihren Rückzug vom CDU-Vorsitz glaubt ankündigen zu müssen. Die Unruhe, ja Hilflosigkeit in CDU und FDP, man versteht sie sehr gut. Sie sind aber kein Grund, sich anstecken zu lassen. Nein, es geht jetzt um eine parteiübergreifende Vereinbarung, die herbeigeführt werden muss und der sich CDU und FDP nur dann verweigern können, wenn ihre Anführer als Lügner dastehen wollen. Keinerlei Zusammenarbeit mit der AfD, das ist ihre offizielle Linie. Auch niemals eine koalitionsähnliche Zusammenarbeit mit der Linkspartei, ergänzte Altmaier gestern Abend. Das bedeute nicht, dass die CDU sich in Äquidistanz zu diesen beiden Parteien befinde, sagte er noch. Die Distanz zur AfD ist also grundsätzlicher. Und das muss sie ja wohl auch sein. Eine Partei, die Teile der Bevölkerung ausgrenzt, darf sich nicht wundern, wenn man sie ihrerseits ausgrenzt.

Aus dieser Haltung ergeben sich logische Schlussfolgerungen, die denkende Menschen dann auch anerkennen müssen. Die CDU will keineswegs mit der Linken koalieren, auch keinem Bodo Ramelow, hinter dem 70 Prozent der Thüringer Bevölkerung stehen, zur Wiederwahl verhelfen. Gut, das ist ihre Sache. Ramelow wird sich dessen ungeachtet zur Wahl stellen. Wie macht man sich nun vom Abstimmungsverhalten der AfD unabhängig? Indem man keinen Gegenkandidaten aufstellt, der von der AfD mitgewählt würde. Falls die AfD einen Gegenkandidaten aufstellt, lehnt man ihn ab, wie man auch Ramelow ablehnt. Dieser ist dann gewählt. Es ist wirklich nicht schwer. Mein Gott, wenn alle politischen Probleme so leicht lösbar wären wie dieses! Nur ehrlich muss man sein, darf nicht heimlich das Bündnis mit der AfD anstreben und jetzt nur so tun, als sträube man sich verzweifelt.

Auch wenn die rot-rot-grüne Koalition unter Ramelow dann weiterarbeitet, sind die Folgen der Regel klar. Jeder Haushalt der Landesregierung muss durchkommen. Will man gar nicht mit der Linken in Berührung kommen, muss er durch Enthaltungen toleriert werden. Statt einer solchen Berührungsangst, die man wohl berechtigt wäre, ein wenig albern zu finden, sind auch Verhandlungen zwischen der Regierung und jenen Oppositionsparteien, die keine Faschisten in ihren Reihen dulden, denkbar. Vergleichbare Beziehungen hat es ja vor gar nicht langer Zeit in Nordrhein-Westfalen gegeben. Bei den Abstimmungen, die dann in der laufenden Legislaturperiode anfallen, wäre es eine radikale Haltung der CDU, der Regierung niemals im Verbund mit der AfD Niederlagen zu bereiten. Damit ist sie vielleicht überfordert, aber dann muss sie es hinnehmen, dass politische Beobachter ihr bescheinigen, sie sei eben doch eine AfD-affine Partei. Dass es eine „projektbezogene“ Zusammenarbeit mit der Ramelow-Regierung geben kann, hat sie aber schon verlautbart.

Man sieht jedenfalls, worauf es ankommt: auf die Regel, darauf, dass man sie klar definiert und sich klar auf sie verpflichtet. Das ist jetzt die Aufgabe der Parteien des Verfassungsbogens. Der Begriff „Verfassungsbogen“ entstand im Italien der Nachkriegszeit, wo eine faschistische Partei im Parlament vertreten war; Kommunisten und Christdemokraten gehörten dem „Bogen“ an, die Faschisten natürlich nicht. Die Verfassung ließ es zwar zu, dass sie ins Parlament gewählt werden konnten, man wusste aber ja, dass ihr Vorbild Mussolini sie abgeschafft hätte. So verhält es sich nun auch in Deutschland: Die AfD duldet Faschisten in ihren Reihen, sie gehört nicht zum Verfassungsbogen. Die Regel, die sich daraus ergibt, müssen SPD und Grüne jetzt durchsetzen.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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