Über die schwarz-grüne Option wird seit langem spekuliert. Gibt es heute Anzeichen für ihre baldige Realisierung? Man könnte auf jüngste Meinungsumfragen verweisen, aus denen hervorgeht, dass Union und Grüne die Parteien sind, denen die Bürger das meiste Vertrauen entgegenbringen; alle anderen sind abgeschlagen. Entsprechend wird die Liste der beliebtesten Politiker zur Zeit von Joschka Fischer und Angela Merkel angeführt; der Bundeskanzler ist ins Mittelfeld zurückgefallen. Nun, läge es da nicht nahe, dass die beiden Spitzenreiter eine neue Regierung bilden, ein Kabinett des Vertrauens sozusagen, das den Schatten der "Wahllügen" des Kanzlers verscheucht und uns wieder den Blick nach vorn gestattet? Darum kreist eine Debatte, die immer lauter wird - und sie wird von eben der CDU lanciert, die sich mit der "Wahllügen"-Kampagne von ihrer Niederlage am 22. September zu erholen versucht.
Man merkt die Absicht, und entsprechend verstimmt reagierte am Wochenende die Bundesdelegiertenkonferenz (BDK) der Grünen in Hannover. Claudia Roth, noch als Parteivorsitzende, nannte die Unions-Avancen ein "vergiftetes Angebot".
Das in die Grünen gesetzte Vertrauen ist bemerkenswert genug. Sie haben es wohl geschafft, den Eindruck zu vermitteln, sie seien der Motor der Koalition und die SPD würge ihn ab. Gerhard Schröders Bild, er sei der Koch und die Grünen dienten als Kellner, ist zum Bumerang geworden. Aber Vertrauen kann schnell verspielt werden. Das wissen die Grünen. Bloß deshalb, weil die Union Trost für den Schmerz einer Wahlniederlage sucht, werden sie sich nicht als Verräter am "rot-grünen Projekt" profilieren, das sie doch selbst ins Leben gerufen haben.
Mit der Pflege des Vertrauens war die BDK über weite Strecken beschäftigt, so in der Frage von "Amt und Mandat". Bettina Gaus hat in der taz darauf hingewiesen. Es hätte der Partei geschadet, wäre der Eindruck einstanden, die Parteiführung könne über den gewünschten Verbleib von Claudia Roth und Fritz Kuhn in ihren Ämtern so lange abstimmen lassen, bis die Delegierten aufgaben. Da es anders kam, kommt zur Beliebtheit von Joschka Fischer noch der Respekt vor einer prinzipientreuen Partei hinzu.
Man fragt sich nur, warum die Treue ausgerechnet an dieser Frage demonstriert werden muss. Fruchtbarer wäre eine entsprechende Demonstration an den Politikinhalten. Das Interesse des Publikums liegt denn auch viel mehr auf dem Rückgrat der neuen Parteivorsitzenden als auf dem Umstand, dass sie "ohne Mandat" sind. Es liegt auf der Hand, dass die Grünen jetzt auch deshalb Vertrauen zurückgewonnen haben, weil sie im Wahlkampf an der Seite des Kanzlers gegen den Irakkrieg auftraten. Sie nehmen für sich in Anspruch, aus dem Kosovo-Krieg gelernt zu haben. Die UNO soll niemals mehr missachtet werden. Doch eben an diesem Punkt kann ihnen das Vertrauen auch wieder entzogen werden. Hat der Kanzler seinen Widerstand gegen den Krieg nicht schon aufgegeben? Und die Grünen fügen sich wie üblich? Nein, so weit ist es noch nicht.
In Hannover wurde beschlossen, die Benutzung der deutschen Militärbasen dürfe den USA nicht gestattet werden, wenn diese ohne UN-Mandat in den Krieg zögen. Nach einer ersten Sitzung des neu gewählten Bundesvorstands trat Angelika Beer, die neue Parteivorsitzende, mit dieser Botschaft vor die Presse. Ein paar Stunden lang sprachen Nachrichtensprecher von einer Krise, die sich da zwischen den Grünen und der SPD anbahne. Denn Gerhard Schröder hatte die Benutzung der Basen bereits gestattet. Dann korrigierten sie sich aber und meldeten, Frau Beer sehe keine Differenz zwischen den Parteien; man werde an einem von der UNO gewollten Krieg zwar nicht teilnehmen, ihn aber auch nicht behindern. Ebenso sorgte die SPD für zwei verschiedene Meldungen. Zunächst widersprach Generalsekretär Scholz der grünen Vorsitzenden: In der Frage der Basen habe sich Schröder schon festgelegt. Dann wurde jedoch Regierungssprecher Anda vorgeschickt: Er gehe davon aus, sagte er, dass Scholz von einer Benutzung der Basen im Fall eines UN-Mandats gesprochen habe.
Tatsächlich hatte auch der Kanzler in Prag von einer Benutzung durch die USA "oder die anderen Verbündeten" gesprochen und sich damit die Option offen gehalten, seine Zusage wieder zurückzuziehen, sollte sich ein amerikanischer Alleingang abzeichnen. Denn die NATO hatte in Prag zur Irakfrage eine einheitliche Haltung eingenommen. Dies geschah auf der Basis einer UN-Resolution, die das NATO-Mitglied Frankreich den USA gegen deren Widerstreben abgetrotzt hatte. In ihr bringt die UNO zum Ausdruck, dass sie die Entscheidung über Krieg und Frieden nicht den USA überlassen will. Darauf hat sich Frau Beer bezogen. Hier muss sie sich bewähren und so auch die ganze Koalition. Vertrauen ist da ganz fehl am Platz, aber entschieden ist die Sache noch nicht, weder in die eine noch in die andere Richtung.
Sicher ist nur, dass Schwarz und Grün in der Sache nicht zusammenpassen. Denn die Union lechzt geradezu nach diesem Krieg. Dem Kanzler wird immer noch vorgeworfen, er habe die deutsch-amerikanische Beziehung durch seine Kritik an der Kriegsvorbereitung beschädigt. Dabei können Unionspolitiker jede Woche in der Zeitung lesen, dass die US-Regierung immer neue deutsche Unterstützungstaten für ihren Krieg verlangt, was sie doch eigentlich nur tun dürfte, wenn der Kanzler ihm zugestimmt hätte. Gerhard Schröder hat abgelehnt, und die US-Regierung signalisiert, sie habe das vor lauter Machtfülle gar nicht zur Kenntnis genommen. Wie kann sie dann aber von Schröder verletzt worden sein? Wie kann sich die Union über eine Verletzung empören, die es offenbar gar nicht gibt?
Die Friedensbewegung war die eine, die Ökologiebewegung die andere Säule der grünen Partei, als sie entstand. Ihre Ansicht von Ökologie hat sich aber noch stärker gewandelt als ihre Ansicht vom Weg zum Frieden. Wenn wir diese Entwicklung verfolgen, müssen wir nun doch zu dem Schluss kommen, dass die Partei von der schwarz-grünen Option vielleicht schon heute mehr ergriffen ist, als sie selber ahnt.
Als die Idee von schwarz-grünen Bündnissen zum ersten Mal aufkam - das war in den achtziger Jahren -, hatte sie noch einen ganz anderen Charakter als heute. Damals war die Union weit entfernt, sie zu protegieren. Vielmehr machte sich eine kleine radikale Minderheit bei den Grünen Gedanken. Die SPD ist genauso kapitalabhängig und antiökologisch wie die Union, sagte sie. Um das für die Wähler sichtbar zu machen, dürfe die SPD bündnispolitisch nicht bevorzugt werden. Eine Koalition mit einer der etablierten Parteien komme jedenfalls auf Landes- und Bundesebene ohnehin nicht in Frage, punktuelle Bündnisse aber müssten fallweise geschlossen werden und dann auch mit der Union, wenn sie einmal mehr biete als die SPD.
Ein solcher Kurs hatte gegen Joschka Fischer und seine Anhänger keine Chance. Er war der Meinung, die neunziger Jahre würden "das Jahrzehnt der SPD" werden, und baute darauf seine Strategie. Er ist noch heute ein entschiedener Gegner der schwarz-grünen Option. Dennoch beginnen sich die Grundachsen seiner Partei zu verschieben. Deren erste Generation wird sich wohl niemals vom rot-grünen Projekt lösen, doch die Jüngeren, die auch schon in Führungspositionen eingerückt sind - wie der Staatssekretär Berninger oder die neue Vorsitzende der Bundestagsfraktion Göring-Eckardt -, entwickeln Gedankengänge, die ein schwarz-grünes Projekt zumindest denkbar, wenn nicht objektiv naheliegend machen. Dass sie nicht mehr in der Tradition der Gesellschaftskritik stehen, scheint fatale Folgen zu haben: Manche von ihnen urteilen über den heute aktuellen Problemstand, als hätte er keine Vorgeschichte.
Es war Fischers Macht gewesen, die am Anfang der neunziger Jahre zu einer Reduktion des Problems der ökologischen Krise auf Probleme der Energiesparsamkeit und der Ökosteuer geführt hatte. Die Ökosteuer wurde zum Hauptinstrument des Kampfes gegen die CO2-Verseuchung erklärt. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre passten sich die Grünen der SPD-Position an, der Ertrag der Ökosteuer solle zur Sicherung der Renten eingesetzt werden. Beim Regierungseintritt ein weiterer Anpassungsschritt: Die Ökosteuer wurde niedrig angesetzt, und es gab keine Einigung mit Schröder über ihre permanente Erhöhung. Damit sind wir in der Gegenwart. Die Ökosteuer rettet weder die Ökologie noch die Renten. Was die Ökologie angeht, wird das von den Grünen, was die Renten, von der SPD nicht zugegeben. Aber nun geschieht es, dass einige jüngere Grüne das Rentenproblem für völlig unlösbar halten, weil die Ökosteuer zur Lösung nicht taugt. Folgendes Argument ist zu hören: 2006 müssten über 60 Prozent des Bundeshaushalts für Renten- und Zinszahlungen ausgegeben werden, heute seien es schon 55 Prozent. Das sei offensichtlich zu viel. Also müsse eine ganz radikale Rentenreform her. Zukünftige Rentner hätten nur noch eine "Grundrente" zu erwarten.
Es ist nicht schwer zu erraten, was dieses Wort bedeutet, das so ähnlich wie "Grundsicherung" klingt: Sozialhilfe. Man könnte es auch die Abschaffung der Rente nennen. Das ist eine Position, die sich allerdings am besten mit der Union weiterverfolgen lässt. Und das ahnen viele jüngere Grüne bereits, zumal die Unionspropagandisten ihnen dabei helfen. In der letzten Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung legte sich der Chef des Politikressorts persönlich ins Zeug. Schwarz-grün habe Zukunft, schrieb er, wenn es "aus der Gegenwart des sozialen Rückbaus" begründet werde.
Da wünscht man sich auf einmal, der "heimliche Vorsitzende" Joschka Fischer möchte den Grünen noch recht lange erhalten bleiben. Die Rentenfrage führt zur Drehung seiner Partei. Bald ist sie zur neuen FDP geworden, die sich wie diese am liebsten mit der Union verbündet. Ist der Prozess noch aufzuhalten? Kaum ohne eine Debatte über Gesellschaftskritik bei den Grünen. Sie müssten sich fragen, wie die strukturelle Arbeitslosigkeit mit den wachsenden Kapitalgewinnen zusammenhängt; ob man die Rente wegen der Arbeitslosigkeit abschaffen oder mit dem vorhandenen Hyperreichtum, den das Kapital nicht sich selbst verdankt, sondern der Gesellschaft, erhalten soll. Ob "ökologische Nachhaltigkeit" jetzt nur noch Nachhaltigkeit der Bundesfinanzen bedeutet. Es ist leider nicht zu erwarten, dass eine solche Debatte geführt wird. Und deshalb wird es wohl früher oder später zur schwarz-grünen Koalition kommen.
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