Nach dem grünen Parteitag stellt sich die Frage, warum es kaum gesellschaftlichen Protest gegen die Politik der Bundesregierung gibt, in der die Grünen, als ihr zentraler Akteur, immer öfter gegen die eigenen Ziele agieren. Und es stellt sich die Frage, warum der gesellschaftliche Protest, wo es ihn gibt, so häufig zum rechten statt linken Protest wird. Warum gelingt es weder der Linkspartei noch anderen Linken, viele Menschen gegen die antiökologische Wende, hin zur Kohle, zur Atomkraft, zum Frackinggas, zu mobilisieren?
Sie wird uns von der Regierung als Pragmatismus verkauft, erzwungen durch den russischen Krieg gegen die Ukraine. Aber warum sind die Grünen nicht auf die Idee gekommen, die Frage des ökologisch nachhaltigeren Gases, das nun mal aus Russl
aus Russland kommt, von der Frage des Krieges zu trennen? Genauso, wie doch auch die Frage des Getreidetransports zum Süden der Welt davon getrennt wurde, obwohl dafür mit Russland zusammengearbeitet werden musste? Und zum Krieg überhaupt, warum sieht die Regierung seiner ständigen Eskalation tatenlos zu, statt eine Lösung vorzuschlagen und sich entschieden für sie einzusetzen? Und schließlich, warum geschieht das alles, obwohl es sehr viele in Deutschland sozial belastet? Die drei Fragen hängen zusammen und man meint, es müsste Linken möglich sein, sie in einer Protestbewegung zu bündeln.Linke, wenn man sie allgemein charakterisieren will, beharren darauf, dass in der Trias „Freiheit, Gleichheit, Brüder- und Schwesterlichkeit“ das Mittlere, also das gleiche Recht und die gleiche Grundqualität der Lebensverhältnisse und -mittel für alle, besonders beachtet wird, weil es die Klammer der anderen beiden Ziele ist. Nun kann es keinen Zweifel geben, dass es Situationen gibt, in denen das Ziel Lebensqualität anderen untergeordnet werden muss, und das ist es ja, was die Regierung von uns verlangt: Wir sollen sie dem Kampf für die Freiheit der Ukraine unterordnen, weil die Ukraine letztendlich für unsere eigene Freiheit kämpft. Da können Linke nicht einfach abwinken, denn gerade die radikalsten Linken wissen, dass es zum Beispiel nötig sein kann, eine Revolution gegen die gesellschaftliche Verfassung überhaupt zu entfesseln, obwohl das zweifellos zur zwischenzeitlichen Erschwerung der Lebensmittelversorgung führt. Daraus folgt aber, dass Linke, die gegen die Politik unserer Regierung protestieren, sich nicht darauf beschränken können, die Verschlechterung unserer Lebensqualität hervorzuheben. Sie müssen vielmehr die Gründe der Regierung, weshalb sie angeblich nötig sei, angreifen. Das heißt, sie müssen auf der Ebene der übergreifenden Ziele, wie die Regierung sie fasst, argumentieren. Doch für die Linkspartei öffnet sich da eine Kluft.Die Mehrheit der Partei hat solche Ziele, stellt aber den sozialen Protest in den Vordergrund. Das muss sie auch tun, weil ihre Ziele sich von denen anderer Parteien gar nicht unterscheiden. Freiheit als Selbstbestimmung von Minderheiten in unserer Gesellschaft ist kein Alleinstellungsmerkmal. Auch nicht als Selbstbestimmung der Ukraine, wenn man deren Schicksal genauso beschreibt, wie die Regierung es tut. Sogar zur Verstaatlichung von Unternehmen hat die Regierung gegriffen. So bleibt nur das Soziale als Motivation, bei der man die Menschen packen will, was aber auch die Rechten tun. Dazu kommt, dass die Linkspartei zerstritten ist, aber das ist nur die Folge.Denn warum ärgert sie sich über Sahra Wagenknecht? Weil Wagenknecht das Problem der Partei auf den Punkt bringt. Sie hat in ihrer umstrittenen Bundestagsrede über nichts als Sozialpolitik gesprochen. Es soll keinen Wirtschaftskrieg des Westens gegen Russland geben, weil er die Menschen sozial belastet. Sie hat ihrer Partei den Spiegel vorgehalten, die das natürlich nicht erträgt – aber darüber nicht sprechen kann, sondern sich ersatzweise über die Vokabel „Wirtschaftskrieg“ aufregt.Dabei wäre gerade darüber zu sprechen, weil er, wie gesagt, dem russischen Krieg gegen die Freiheit der Ukraine den mindestens genauso schlimmen Krieg gegen die Ökologie hinzufügt. Da ist die Gesellschaft mehrheitlich weiter, Umfragen zeigen es: Sie sorgt sich nicht nur um Sozialpolitik, sondern auch um übergreifende Ziele wie die Freiheit der Ukraine. Wenn Linke unter dem Niveau der Gesellschaft bleiben, wie sollen sie dann die Gesellschaft zum Protest aufrütteln?Dass sie sich streiten, ist nicht das Problem. Auch die große Friedensbewegung nach 1980 musste sich erst einmal auf ein gemeinsames Ziel einigen. Sie fand nicht sofort heraus, dass das Problem in der Behauptung der damaligen Regierung lag, das Ziel des Weltfriedens werde durch die ständige Justierung des Gleichgewichts der Waffen erreicht. Dann aber erkannte sie darin die Eskalation der Rüstungsspirale, die früher oder später zum Weltkrieg führen musste, und protestierte also nicht nur gegen die „Nachrüstung“ der Nato, sondern gegen West und Ost. Das Problem der heutigen Regierung ist nicht einfach dasselbe. Aber auch heute müssen wir Linken, bevor wir etwas anstoßen können, vernünftig streiten: um die Klarheit und Kohärenz der übergreifenden Ziele.