Ein neuer Franz Josef Strauß?

Rezension Die vielen Plagiate in Karl-Theodor zu Guttenbergs Doktorarbeit sind nur ein Problem – genauso problematisch ist der Inhalt

Dass der Freiherr am vergangenen Montag seinen Doktortitel zurückgab und damit der Universität Bayreuth zuvorkam, die ihninzwischen einkassiert hat, war nun wirklich das Mindeste. Mit über zweihundert Textbausteinen, die Guttenberg von anderen Autoren ohne Quellenangabe in seine Doktorarbeit übernommen hat, hat er offenkundig nicht nur Satzung und Recht der Universität gebrochen, sondern sich selbst zum Großbetrüger gestempelt.

Aber wir wollen die Dissertation nicht so schnell aus der Hand legen. Denn den Eindruck, es fehle Guttenberg an Intelligenz und wissenschaftlicher Fähigkeit und deshalb habe er abkupfern müssen, macht sein Buch auf den Leser keineswegs. Auch wenn viele Teile des Buches aus einer großen Zahl ungenannter Quellen zusammengerafft sind: Inhaltlich vermittelt es sehr wohl einen Eindruck von den Überzeugungen und Zielen dieses Mannes. Und davon ist im Zusammenhang mit Guttenberg ja recht selten die Rede.

Sein Buch heißt Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU. Wir wollen es einmal politisch lesen, denn es hat ein politisches Ziel: Aus der Europäischen Union soll ein Staat nach Art der USA werden. Deshalb vergleicht Guttenberg die Verfassung der USA mit den verfassungsähnlichen EU-Verträgen. Seine Frage, ob letztere zur richtigen Verstaatlichung der EU führen oder doch deren Stützpunkt sein können, bleibt immer erkennbar. Seine Linie ist originell: im Integrationsprozess der Europäischen Union nach Schwachstellen zu fahnden, die sich in Einfallstore für das Projekt der Vereinigten Staaten von Europa verwandeln lassen.

Es gelingt ihm auch, das wissenschaftlich durchzuführen. Guttenberg habe weder gesagt, was er unter einer Verfassung verstehe, noch gehe er auf die entsprechende wissenschaftliche Diskussion ein, lesen wir zwar in der Rezension der Zeitschrift Kritische Justiz, die den Stein ins Rollen gebracht hatte. Guttenberg stellt aber durchaus Verfassungsbegriffe vor und präferiert die Definition seines akademischen Lehrers Peter Häberle. Der betont, dass eine Verfassung nicht das abgezogene Muster eines vorhandenen Staates sein muss.


Guttenberg legt das weit aus: Eine Verfassung könne umgekehrt dazu beitragen, dass ein Staat mit Staatsvolk und den übrigen konstitutiven Eigenschaften zu allererst entstehe. Die wissenschaftliche Schwäche, auch die politische Unverfrorenheit liegen nicht hier, sondern woanders. Guttenberg setzt sich kaum mit dem Bundesverfassungsgericht auseinander, das eine ganz andere Linie vertritt als er. Während nämlich Karlsruhe immerzu Grenzen zieht, weil es die Europäische Union am deutschen Grundgesetz misst, misst Guttenberg gerade umgekehrt die Integration der EU an dem Staat, zu dem sie vielleicht nie werden wird. Wenn sein „lernende[r] Blick über den Atlantik“ schweift, weiß er genau, was er will: ein Europa erreichen, das „seine Fähigkeit verbesser[t], Entscheidungen schnell durchzuführen, insbesondere mit Nachdruck die Herstellung außen- und sicherheitspolitischer Handlungsfähigkeit (entsprechend eines der Leitmotive der Federalist Papers)“. Da spricht der Chef der Bundeswehr.

Was die Federalist Papers waren, macht er deutlicher, als wir es in der Schule lernten. Bevor es nämlich die USA gab, waren die späteren Gliedstaaten ähnlich unklar verbunden wie heute diejenigen der EU. Der US-Gesamtstaat wäre nicht entstanden, hätten nicht die Politiker, die seine Väter waren, das Volk gegen einige Regierungen des bis dahin vorhandenen Gemeinwesen ausgespielt. Die Federalist Papers, eine Serie von 87 Artikeln, die 1787/88 in verschiedenen Zeitungen New Yorks erschienen, waren dabei das publizistische Trommelfeuer. Guttenberg zieht die „Lehre, daß man für politische Ziele dieser Größenordnung gewisse Wagnisse eingehen muss“. Bloß „eine Reihe ausgehandelter Verträge“ werde „nicht ausreichen“.

Wenn das jemand geschrieben hätte, der für mehr Demokratie von unten eintritt, könnte man es anregend finden, wenn auch recht kühn. Aber hier lesen wir den werdenden Berufsarmeechef. Im Vorwort entschuldigt sich Guttenberg bei seinen Mitarbeitern, sie hätten „meine verwegene Charakter- und Lebensmelange ertragen“ müssen. Das ist es: Der Mann wirkt privat und beruflich allzu verwegen. Da fragt man sich, warum er für die Herrschenden denn so wichtig ist, dass sie ihn jetzt nicht fallen lassen können. Weil er den „Ausnahmezustand“ so gut beherrscht, wie am vorigen Samstag in einer Zeitung zu lesen war? Der Mann ist CSU-Mitglied; nicht nur deshalb erinnert er an Franz Josef Strauß.

Verfassung und Verfassungsvertrag: Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EUKarl Theodor Fr. zu Guttenberg Karl Duncker Humblot 2009, 475 S. , 77

Die im Beitrag erwähnte Rezension in der Zeitschrift Kritische Justiz findet man unter kj.nomos.de

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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