Koalitionsfrage Die Grünen haben die FDP als Scharnierpartei beerbt und sind zu fast jeder politischen Konstellation bereit. Dabei haben sie das doch gar nicht nötig
Die Politik der Grünen ist seit langem widersprüchlich: Obwohl der programmatische Anspruch beeindruckt, erscheinen sie in der Sphäre der Macht nur als Anhängsel anderer Parteien. Das letzte Beispiel war Hamburg, wo sie den Bau des Kohlekraftwerks Moorburg hinnahmen, um eine Koalition mit der CDU eingehen zu können. Was soll man von dieser Beliebigkeit halten? Wird sie nach der Bundestagswahl neue Blüten treiben? Wie es scheint, sind die Grünen zu fast jeder Konstellation bereit, in der sie einer anderen Partei oder einem Parteienbündnis zur parlamentarischen Mehrheit und sich selbst zu Ministersesseln verhelfen können.
Um ihnen nicht Unrecht zu tun, wollen wir einmal unterstellen, dass sie sich etwas dabei denken. Wenn sie das tun, kann es sich
n es sich wohl nur um den Gedanken handeln, sie seien die neue „Scharnierpartei“. Das ist eine Funktion, die man früher der FDP zuschrieb. Es gab die Union und die SPD, die in der Regel noch die Unterstützung einer kleinen Partei brauchten, um eine Mehrheit zu erlangen. Die regelmäßig unterstützungswillige Partei wurde „Scharnierpartei“ genannt. Sie koalierte mal mit der einen, mal mit der anderen großen Partei. Die FDP drehte sich zweimal: Bis 1966 mit der Union verbündet, ging sie 1969 zur SPD und 1982 zur Union zurück.Eine Scharnierpartei kann für sich in Anspruch nehmen, dass sie einen wichtigen Verfassungsauftrag erfülle, indem sie jederzeit die Bildung stabiler parlamentarischer Regierungen ermögliche. Wenn man ihr vorwirft, sie sei eine „Umfallerpartei“, kann sie argumentieren, sie vertrete eine wichtige Sache, die mal in der einen, mal in der anderen Koalition besser aufgehoben sei. Die wichtige Sache der FDP war der Liberalismus, worunter sowohl Wirtschaftsliberalismus als auch rechtliche Liberalität verstanden wurde. Diese Zweideutigkeit ermöglichte es ihr, 1969 aus bürgerrechtlichen Gründen zu Willy Brandt, 1982 aus wirtschaftsliberalen Gründen zu Helmut Kohl überzulaufen. Innerparteilich knirschte es beide Male gewaltig, aber warum sollte ein Scharnier nicht knirschen?Es scheint, als eigneten sich auch die Grünen für die Scharnierfunktion. Ihre „wichtige Sache“ wäre die Ökologie. Außerdem halten sie die rechtliche Liberalität hoch, so dass sie die FDP auf diesem Feld beerben könnten. Sie denken zwar auch wirtschaftsliberal, indem sie für eine „grüne Marktwirtschaft“ eintreten, aber anders als die FDP sind sie nicht marktradikal. So könnte man es geradezu begrüßen, wenn eine solche „neue FDP“ an die Stelle der alten träte. Und nun heißt es konsequent sein: Welchen Sinn hätte denn eine Scharnierpartei auf Oppositionsbänken? Das wäre ja wie ein Pfeil ohne Bogen! Wenn die Grünen sich bei dem, was sie tun, auch „etwas denken“, ist es wohl gerade das. Eine Scharnierpartei wird immer zu klein sein, um als Opposition etwas erreichen zu können. Nur wenn das Scharnier einer Tür schwingt, hat es eine Existenzberechtigung, also nur wenn eine Tür, sprich große Partei, an der grünen Scharnierpartei hängt, trifft diese Zuschreibung auf sie zu.An dieser Stelle müssen wir nun doch einen Unterschied zwischen FDP und Grünen bemerken, den das Wort „Scharnierpartei“ nicht verdecken kann. Die Welt der FDP ist nämlich glücklich so eingerichtet, dass die Frage, „wo sich für Liberalität am meisten erreichen lässt“, mit der Frage, „wo sich für Liberalität überhaupt etwas erreichen lässt“, in Eins zusammenfällt. Liberalität ist ein Wert, und die Beachtung von Werten, ob Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, wird man immer in allen Parteien antreffen, nur in der Werthierarchie unterscheiden sie sich. Deshalb ist von vornherein klar, dass eine Partei, die sich die Aufgabe setzt, für Liberalität einzutreten, in jeder Koalition etwas erreichen wird, wenn auch noch so wenig. Sie kann immer argumentieren: „Wir erreichen wenig, doch wären wir nicht dabei, würde auch noch das Wenige fehlen.“Das ist bei der Ökologie anders. Man kann nicht sagen, die Nutzung der Atomkraft werde mit der Union weniger gut verhindert als mit der SPD, sondern sie lässt sich allenfalls mit der SPD, mit der Union aber gar nicht verhindern. Kohlekraftwerke werden sogar von beiden Großparteien gefördert. Daraus wäre nun eben der Schluss zu ziehen, dass die Grünen auch einmal zur Opposition bereit sein müssten. Obwohl eine kleine Partei nichts ausrichten kann? Nein, andersherum: Die Sache der Grünen ist so wichtig, dass sich unbedingt eine Mehrheit hinter ihr sammeln sollte. Entschiedenheit, Oppositionsmut kann dazu beitragen, Anpassung nicht. Die Grünen denken aber umgekehrt: Wir sind eine kleine Partei, also müssen wir uns anpassen.Der Sündenfall war ihre Umdeutung des ökologischen Anliegens von einem Handlungsziel zu einem Wert, wie Liberalität ein Wert ist. Ökologie nicht als Verhinderung der Schreckensszenarien, sondern als Frage, ob man dafür oder dagegen ist: Zum Schluss kann man sich dann einbilden, das Ökologische bestehe in der Wahl der Grünen und ansonsten in der Wahl beliebiger Koalitionen durch die Grünen.Die Bereitschaft, als Scharnierpartei zu wirken, ist nicht grundsätzlich verkehrt. Aber die Grünen bräuchten in dieser Funktion nicht aufzugehen. Ihrem Anspruch nach sind sie mehr.
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