Wie die Corona-Krise mit der Klimakatastrophe zusammenhängt, fragen sich viele, und es gibt auch Antworten. Zum Beispiel von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), die auf den Raubbau des Menschen an der Natur hinwies. Der Mensch drängt das Tier immer weiter zurück, nimmt ihm seinen Lebensraum, kommt ihm daher auch näher, und so springen Viren vermehrt vom Tier auf den Menschen über. Die Abholzung der Wälder vernichtet nicht nur Bäume, die CO2 binden, mit der Folge der Erderwärmung, die zu Waldbränden führt, sondern hat auch diesen Effekt.
Doch nicht darüber soll hier nachgedacht werden, sondern über einen anderen Zusammenhang, den politischen. Was sich rein ökologisch gesehen als kausale Verknüpfung darstellt, gleitender Übergang, Dominoeffekt, wird politisch zum schreienden Widerspruch. Denn während die Politik auf Corona von einem Tag auf den anderen mit beispiellos radikalen Maßnahmen reagierte, dabei auch schweren ökonomischen Schaden in Kauf nahm, hat sie dem Klimawandel jahrzehntelang nahezu tatenlos zugesehen – und tut es noch heute. In der letzten Woche erinnerten sich zwar einige Spitzenpolitiker wie Wolfgang Schäuble (CDU) der Ökologie. Da ergriff denn sogar die Bundeskanzlerin das Wort, sie sagte, sie unterstütze jetzt „den Vorschlag der EU-Kommission, die Emissionen um 50 bis 55 Prozent bis 2030 zu reduzieren“. Aber das ist seit Langem die Methode des Nichtstuns: Ziele proklamieren, das kommt immer gut an, aber keine wirksamen Mittel bereitstellen.
Eine andere Seite desselben Widerspruchs ist noch wichtiger, der Stimmungs- und Wahlstimmenumschwung der Bevölkerung. Bevor Corona zuschlug, war wenigstens so viel guter ökologischer Wille vorhanden, dass die Grünen immer stärker wurden. Dieselbe Bevölkerung läuft jetzt zur rechten Mitte über. Sie vergleicht nicht: Wenn gesagt wird, die Infektionskurve sei in dem Maß niedrig zu halten, wie die Kapazität der Krankenhäuser nicht überfordert werde, leuchtet das allen ein und bekommt die Regierung gute Noten für ihre hervorragende Intelligenz; aber ist es nicht ebenso wahr, dass die CO2-Kurve in dem Maß niedrig gehalten werden müsste, wie die Regenerationskraft der Wälder nicht überfordert wird, statt dass man diese abholzt? Auf den Zusammenhang hat die Politökonomin und Nachhaltigkeitsexpertin Maja Göpel hingewiesen.
Hofreiter fordert Wachstum
Ist es nicht vor allem auch wahr, dass die ökologische Krise viel gefährlicher ist als die Corona-Krise, auch um ganze Größenordnungen mehr Todesopfer zur Folge haben wird? Viele Linke verstehen die Welt nicht mehr: Anfangs glaubten sie noch, die Krise sei ein so tiefer Einschnitt, dass nun sicher große gesellschaftliche Veränderungen bevorstünden, jetzt sehen sie aber, es läuft weiter wie immer, Auto- und Flugindustrie werden subventioniert und Anton Hofreiter, der als links geltende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, fordert viel Wirtschaftswachstum, damit die Schulden beglichen werden können, die der Staat jetzt aufnehmen müsse! Nach beiden Weltkriegen mussten die Reichen den Wiederaufbau mitfinanzieren, Thomas Piketty hat daran erinnert, heute aber, wo Angela Merkel sagt, wir hätten die schwerste Krise seit dem letzten Krieg, ist das Thema selbst für Teile der Opposition tabu.
Was zurzeit geschieht, ist wahrlich ein „Ereignis“, nicht das jedoch, das man erwarten musste. Der ökologische Verfall hat sich seit 2018 fast exponentiell zugespitzt. Die Sommer 2018 und 2019 waren in Schweden und Deutschland die heißesten seit Beginn der Wetteraufzeichnung (Lesen Sie die Seiten 6 und 7). In Deutschland sprangen die Grünen in Umfragen Ende 2018 auf 25 Prozent. 2019 wurde das Abschmelzen der Permafrostböden in einem Ausmaß, das die Forscher erst für 2090 erwartet hatten, gemeldet. Dann die australischen Waldbrände, die ostafrikanische Heuschreckenplage. Anfang 2020 wurde „Winterhitze“ verzeichnet. In Westrussland lagen die Temperaturen zeitweise um mehr als zehn Grad über dem langjährigen Durchschnitt, in Berlin hatten wir am 16. Februar um 23 Uhr 16 Grad – nicht etwa minus, sondern plus. Wenn das so weiterging, war ein Sieg der Grünen bei der Bundestagswahl Ende 2021 zu erwarten.
Man fragte sich schon, ob das nicht auch die Regierenden erkannten, sich durch einen Trick noch retten würden. Koalitionskrise, vorgezogene Neuwahlen? Nicht nötig – Corona half ihnen aus der Patsche. Es ist plötzlich alles anders. Wir reiben uns die Augen, sitzen quasi im Theater und ein Sprecher sagt uns, Ariadne auf Naxos könne nicht gegeben werden wegen überraschender Erkrankung der Schauspieler und Schauspielerinneren, diese führten jetzt stattdessen ihre Krankheit auf.
Ein Mittel, die Ökologie wieder in den Fokus zu bringen, scheint es nicht zu geben. Umfangreiche Konjunkturprogramme werden vorbereitet, die bis Anfang April verbindlich zugesagten Finanzmittel von Bund und einigen Ländern belaufen sich auf knapp 1,3 Billionen Euro. Doch „bei den milliardenschweren Schutzschirmen werden ökologische Anforderungen ausgeblendet“, kritisiert der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel in den Blättern für deutsche und internationale Politik. Da das unter Bundesfinanzminister Olaf Scholz geschieht, ist er neben Angela Merkel und Markus Söder die Figur der Stunde. Dass er nicht SPD-Vorsitzender geworden ist, kann ihm jetzt herzlich egal sein. Wenn die SPD wieder stärker wird, dann seinetwegen. Für die Erhöhung des Kurzarbeitergelds hat sie sich starkgemacht, aber Ökologie? Fehlanzeige. Gibt es irgendwo deutlichen Protest? Ja, ausgerechnet die AfD will jetzt die Demokratie gegen den Ausnahmezustand verteidigen. Linksradikale zeigen sich in Querfrontdemos.
Wenn man sich fragt, was getan werden könnte, ist es ein guter Anfang, vom Geschehen ein kohärentes Bild zu gewinnen. Die Normalismus-Analysen des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link (der Freitag 17/2020) scheinen weiterzuführen. Seine „14 Thesen“ in der Berliner Gazette sind lesenswert: Da zeigt er, dass es der Normalität des kapitalistisch-ökonomischen Gangs zwar nicht schadet, wenn er mal zeitweilig unterbrochen ist, denn andere normalistische Subzyklen sind dann noch da und halten die Stimmung aufrecht – man denke nur an die Bundesliga; aber wenn sie alle gleichzeitig eingestellt werden, wird es irgendwann, und wahrscheinlich bald, recht kritisch. Die Normalismustheorie ist der Ansatz der Stunde, auch weil er seinerseits in Michel Foucaults soziologischer Analyse der „Biopolitik“ gründet. „Eine Normalisierungsgesellschaft“, schreibt Foucault, „ist der historische Effekt einer auf das Leben gerichteten Machttechnologie.“ „Diese hat es nun nicht mehr bloß mit Rechtssubjekten zu tun, die im äußersten Fall durch den Tod unterworfen werden“, sondern es ist „nun die Verantwortung für das Leben, die der Macht Zugang zum Körper verschafft.“ Das ist es, das wertet die Macht jetzt auf, sie scheint ihrer Verantwortung fürs Leben gerecht zu werden.
Religion und Konsum
Was bei Foucault nicht so deutlich wird, ist die Herkunft dieser Macht, die sich nicht mehr auf den Tod, sondern aufs Leben stützt. Er verweist darauf, dass der Kapitalismus eine Bevölkerungspolitik braucht, in der er gedeihen kann, spricht aber nicht von dem, was noch davor liegt, dem Verdämmern nämlich der kirchlichen Hegemonie. Seit die Menschen nicht mehr an ein Leben nach dem Tod glauben, können sie alles erhoffte Glück nur im Leben selbst oder gar nicht ergattern. Darauf setzte Marx, als er die Religion kritisierte und die Menschen zur Revolution aufrief, doch mit mehr Erfolg tat es das Kapital, indem es ihnen den Konsumismus brachte. Der Staat aber weiß seitdem, er muss sie bei ihren Leben packen, und das tut er jetzt. Wie in den letzten Tagen in den Medien diskutiert wurde, wird „die Macht“ wohl noch eher von der Bevölkerung als von der Regierung gelenkt. Die Bevölkerung hat sich in die Corona-Einschränkungen gefügt, noch bevor sie von der Regierung verhängt wurden. Zuletzt fing sie an, der Einschränkungen überdrüssig zu werden, und so werden diese jetzt gelockert. Die Regierung ist erst dem einen, dann dem anderen Bedürfnis nachgekommen, wie sie das immer tut, denn sie will ja gewählt werden. Auch dem Kapital kommt sie nach – in dieser Woche speziell der Auto- und Flugindustrie –, weil es stärker ist als sie, und es ist deshalb stärker, weil die Bevölkerung, deren Wahlstimmen sie braucht, ihrerseits die Waren des Kapitals zu brauchen glaubt.
So gesehen gibt es gar keinen Widerspruch. Die Menschen begreifen die ökologische Gefahr, wollen auch etwas gegen sie tun, aber zuerst wollen sie leben, jede und jeder individuell, das heißt erstens nach Glück suchen, wie es nun eben angeboten und nachgefragt werden kann, und davor noch, zweitens, nicht sterben. Diese Konstellation hat es schon vor Corona so schwierig gemacht, Menschen für Ökologie zu sensibilisieren. An das Leid der Kinder und Kindeskinder denken? An eine Zeit nach meinem Tod also? Mein Gott, dann könnte ich ja auch gleich religiös bleiben. Das gilt jetzt verschärft, indem es viele von denen wieder zurückwirft, die schon begonnen hatten, sich ihrer ökologischen Verantwortung bewusst zu werden. So ergeht man sich denn lieber in unvollständigen Debatten.
Wird die Corona-Gefahr übertrieben? Nein, bestimmt nicht, aber es ist nur eine für mich, für uns jetzt Lebende, die wir in Deutschland recht sorglos den Planeten aufbrauchen; die Kindeskinder werden uns um diese Gefahr beneiden. Was steht höher, das Leben oder die Würde des Menschen? Gegenfrage: Lebe ich würdig, wenn ich „nach mir die Sintflut“ sage? Ist es nicht eher so, dass ich mich dann verachten muss? Wenn man fragt, was jetzt zu tun wäre, gibt es im Kern nur diese Antwort: laut sagen, was Würde und was der Mensch ist. Wer nur um sein eigenes Leben bangt, hat es noch nicht begriffen.
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