Wenn in letzter Zeit von der Wirtschaft der Vereinigten Staaten die Rede war, dann ging es meist um ihren Niedergang. Das ist nicht erst seit der hausgemachten Immobilienkrise der Fall. Aber jetzt, so scheint es, sind die USA wieder die Avantgarde: Frauen übernehmen die Macht! Die Wirtschaft wird weiblich!
Mit dieser These wartet Hanna Rosin auf, eine amerikanische Journalistin. Ihr soeben erschienenes Buch trägt den Titel Das Ende der Männer. Ist es wirklich so weit gekommen – wenn nicht hierzulande, dann wenigstens dort? Und wenn die USA zum Matriarchat werden, zeigt uns das unsere eigene Zukunft?
Aber Vorsicht: Es ist möglich, dass solche Fragen diesseits und jenseits des Atlantiks nicht ganz dasselbe bedeuten.
Picken wir also einen Aspekt, nämlich den der Pa
n Aspekt, nämlich den der Partnerschaft, heraus, und vergleichen, wie Hanna Rosin und Hartmut Rosa, der in Jena lehrende Soziologe, ihn jeweils behandeln. Während Rosa kritisch erörtert, wie sich die ökonomischen Entwicklungen immer mehr beschleunigen, und es als Schaden wertet, dass daraus für viele Männer und Frauen eine Nötigung zur bloßen Lebensabschnittspartnerschaft entspringt, erscheint dieselbe Beziehungsform bei Rosin als „moderne“ Tatsache, der man sich anpasst. Sie zu bewerten wäre in ihrer Sicht absurd. Was sie herausstellt, ist ja gerade, dass Frauen mehr Macht erlangen, weil sie in Anpassungsfähigkeit und -bereitschaft die Männer übertreffen. Bei Rosin bekommt selbst Romeo, der den Tod sucht, weil seine Beziehung zu Julia in die Brüche gegangen ist, von einer Elftklässlerin zu hören: „Was soll denn daran so schlimm sein? Such dir einfach eine andere.“Worum geht es beim Thema „Frauenmacht“ und „Männermacht“? Um gleiches Recht für alle, hätte ich gedacht. Jeder und jede hat den Anspruch auf Chancengleichheit, und es soll nach Leistung entlohnt werden, unabhängig vom Geschlecht. Obwohl dieses Recht kollektiv gegen Kollektive durchgesetzt werden muss, gegen Männerbünde nämlich, die sich in Führungsetagen verschanzen, ist es doch ein Recht der Individuen, abgeleitet vom dem Grundsatz, dass „alle Menschen gleich geboren sind“.Das ist nicht alles, denn zu fragen wäre auch nach dem Zusammenwirken der Geschlechter. Hannah Arendt beschreibt das Phänomen Macht als Effekt gelingender Assoziation von Individuen. Bedarf es neuer Formen des Zusammenlebens, um Frauen und Männer zu einer einzigen Macht zusammenzuschließen, oder entwickeln sich solche Formen ohnehin? Arendt dachte bei ihrer Machtdefinition insbesondere ans Zusammenleben der Menschen in den Vereinigten Staaten. Lang ist’s her!Männliche RisikolustRosin versteht unter Macht etwas ganz anderes: die Kraft, andere niederzuringen. Im harten Konkurrenzkampf nicht „loser“ zu sein, sondern „winner“. Ausdrücke, die in den USA allgegenwärtig sind.Ja, man kann „Frauenmacht“ und „Männermacht“ so verstehen: als Kraft zweier Kollektive, einander Arbeitsplätze wegzunehmen, wenn es nicht genug gibt. Dies wäre eine Art, Rosins Buch zu diskutieren: Hat sie recht mit der Behauptung, in den USA seien die Frauen gerade dabei, den Konkurrenzkampf zu gewinnen und „die moderne Wirtschaft“ in Eigenregie zu übernehmen? Ganz überzeugt bin ich nicht.Gut, es bleiben dort fast nur noch soziale und Dienstleistungsberufe übrig, klassische Frauenberufe also. Männer sind häufig nicht bereit, in solchen Branchen Arbeit zu suchen. Aber findet deshalb ein Machtwechsel zugunsten der Frauen statt? Außerdem sind die USA in einem Bereich, der Informatik, noch immer sehr innovativ. Hier trifft Rosin fast nur Männer an.Was die Führungsetagen angeht, behauptet sie selbst nicht, die Frauen hätten sich da schon durchgesetzt – das wäre auch zu absurd –, meint aber, der Prozess sei unaufhaltsam, weil „die moderne Wirtschaft“ mehr weibliche Vorsicht und weniger männliche Risikolust erfordere, wie sich ja in der Immobilienkrise gezeigt habe. Fraglos unterstellt die Autorin, dass Risikolust eine Folge von Männlichkeit sei; während man sie doch auch von systemischen Zwängen herleiten könnte. Sind wir risikobereit, weil wir es sein wollen? Oder müssen wir es sein, weil wir eine Konkurrenz schon vorfinden, die „nicht schläft“, wie man ja auch in Deutschland sagt?In den USA ist Wettbewerbsorientierung etwas anderes als hier. Vor einem Vierteljahrhundert erschien Mit vereinten Kräften, das vieldiskutierte Buch des Pädagogen Alfie Kohn, das dem zugespitzten amerikanischen Konkurrenzverhalten nachgeht. Da Kohn sein Material von der Crème der Sozialwissenschaft seines Landes bezogen hatte, bestand kein Grund, seine Diagnose zu bezweifeln. Die Sozialwissenschaftler hatten festgestellt, dass sich Amerikaner, Erwachsene wie Kinder, viel konkurrenter als europäische Vergleichgruppen verhielten. In Kohns Buch aus dem Jahr 1986 gab es auch ein Kapitel über das weibliche Konkurrenzverhalten. Da lesen wir von all den „Workshops und Seminaren, Büchern und Artikeln“, die „die Frauen ermutigen, rückhaltlos zu konkurrieren“ – wenn auch noch nicht, dass es im Erfolgsfall zum „Ende der Männer“ kommt.Der große Unterschied zwischen damals und heute liegt darin, dass Kohn in Europa wohlbekannte Sozialwissenschaftler aufführen kann – Karen Horney und Carl Rogers, Robert Bellah und Abraham Maslow, David Riesman und Margaret Mead, Paul Watzlawick und Amitai Etzoni –, die das Konkurrenzverhalten ausnahmslos kritisieren und ihm entgegenhalten, dass man ja auch kooperieren könnte.Mead zum Beispiel blickt auf frühe Gesellschaften zurück, die sich auch ohne Konkurrenz sehr gut zu helfen wussten. In prähistorischen Kulturen konkurrierte man nicht um die Güter, sie wurden geteilt. Nun, solche ethnischen Untersuchungen gibt es auch heute, und sie werden von Hanna Rosin auch zitiert. Doch wie es scheint, werden sie nicht mehr angestellt, um Konkurrenz mit Kooperation zu vergleichen. Es geht um eine andere Frage: Wenn man patriarchale mit matrilinearen Stammeskulturen vergleicht, wo ist die Konkurrenzorientierung stärker? Im ersten Fall bei den Männern, im zweiten bei den Frauen, meldet Rosin erfreut.Mut statt AnpassungDa tun sich Abgründe auf, die der Spiegel nicht erfasste, als er vorige Woche mit Rosins Buch die Titelstory bestritt. Dort griff man im Grunde nur einen Aspekt auf: die Ehe berufstätiger Gattinnen mit Gatten, die den Hausmann geben. Halten solche Gatten das aus, war die Frage. Ja, warum sollen sie es nicht aushalten. Zumindest hat der Spiegel damit aber den Aspekt unterstrichen, der nicht nur auf Konkurrenz (der Gatte verlässt das Berufsleben, weil die Gattin dort erfolgreicher ist), sondern mehr noch auf Kooperation zielt. Bravo! Es passt auch zur hiesigen Debatte über die Herdprämie. Dass Frau Rosin empfiehlt, den Hausmann, wenn er faul ist, zu „feuern“, blendet der Spiegel allerdings lieber aus.Aber geht es nur um die Ehe? Eine gemeinsame Macht von Frauen und Männern, genutzt zur Umwälzung einer wenig menschenfreundlichen „modernen Wirtschaft“, sollte doch auch in neuen Formen des Zusammenlebens erfahren und ausgeübt werden können. Nach ihnen zu fragen, würde den Horizont erweitern.Und um es in der Sprache der Harry Potter-Romane zu sagen: Wir erkennen an, dass Hermine die Führung hat, weil sie sehr intelligent und ihr Freund Ron viel dümmer ist. Mutig statt angepasst sind beide – auf dieser Basis lieben sie sich.
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