Eine Trennung wäre leicht

Merkels Dilemma Der Außenminister kann vorpreschen, die Kanzlerin muss zuschauen

Es ist noch nicht lange her, da wurde der Dalai Lama von der Kanzlerin empfangen, und der Außenminister übte Kritik daran. Nun gut, in einer großen Koalition dürfen die Partner öffentlich streiten. Die Kanzlerin hatte jedenfalls ihre Richtlinienkompetenz ausgespielt. Jetzt wird uns das umgekehrte Schauspiel geboten: Der Außenminister empfängt seinen syrischen Kollegen, und die Kanzlerin übt Kritik. Von ihrer Richtlinienkompetenz macht sie keinen Gebrauch. Sie selbst würde den syrischen Außenminister nicht vorlassen, bekam Frank Steinmeier von Angela Merkel am Ende einer Kabinettssitzung zu hören; doch sie ließ ihn gewähren.

Die außenpolitische Dimension des Vorgangs ist interessant genug. Erst wird Syrien von Präsident Bush nach Annapolis eingeladen, dann aber, wenige Wochen später, soll es schon wieder falsch sein, das Land in Gespräche einzubeziehen. Doch der innenpolitische Aspekt ist in diesem Fall noch bemerkenswerter. Die USA wurden im Kanzleramt vorstellig, um gegen Steinmeiers Empfangspolitik zu protestieren. Die Kanzlerin protestierte ebenfalls. Doch sind ihr die Hände gebunden. Was kann eine Kanzlerin tun, wenn ihr Minister im offenen Dissens eine andere Politik betreibt als sie? Sie kann ihn entlassen. Dergleichen führt zwar zum Ende einer Koalition, doch würde das nicht jeden Kanzler von der Tat abhalten. Als Kanzler Helmut Schmidt seinen Wirtschaftsminister Lambsdorff entließ, trat die FDP aus der Koalition aus und ging mit Helmut Kohl eine neue ein. Als frisch gekürter Kanzler steuerte Kohl sogleich auf Neuwahlen zu. Merkel weiß, eine Entlassung ihres Außenministers hätte ganz analoge Folgen.

Steinmeier könnte sich im Handumdrehen zum neuen Kanzler wählen lassen. Er bräuchte dazu die Stimmen der Linkspartei, doch könnte er sie auch ohne Gesichtsverlust nehmen, da es nur um die Absetzung Merkels und die Vorbereitung von Neuwahlen ginge. Dieses Risiko will die Kanzlerin offenbar nicht eingehen. Aber ist ihr schon aufgegangen, wie verwundbar sie sich dadurch macht? Die SPD hat nun Möglichkeiten, die der Juniorpartner einer Koalition noch nie hatte. Sich als den eigentlichen Kanzler hinzustellen, ist Franz Müntefering nicht gelungen. Steinmeier kann es mit mehr Aussicht auf Erfolg versuchen.

Er kann so auch den innerparteilichen Machtkampf gegen Kurt Beck gewinnen - falls es einen solchen gibt, wie die meisten Zeitungen ja annehmen. Aber nicht darin liegt das Interessante. Man stelle sich nur einmal vor: George Bush kündigt an, dass sein Krieg gegen den Iran unmittelbar bevorstehe. Merkel hält dazu den Mund oder findet Worte des Verstehens. Steinmeier jedoch tritt auf wie seinerzeit Schröder und greift Bush lautstark an. Dann steht Merkel vor dem gleichen Dilemma wie heute, wo es vorerst nur um den syrischen Außenminister geht, nur dass ihre Chance, nach einer Entlassung Steinmeiers die dann fälligen Neuwahlen zu gewinnen, noch viel schmaler geworden wäre. Es würde dann wieder die Frage aufgeworfen werden, ob es Steinmeier wirklich um den Frieden geht oder nur darum, einen Wahlkampf zu gewinnen. Aber der Friedensbewegung könnte es egal sein, denn so oder so hätte der SPD-Mann seinen Beitrag zu ihrer Mobilisierung geleistet.

Um Wahlkampf geht es indessen ganz sicher. Nachdem der hessische Ministerpräsident Koch vor der Entscheidung in seinem Bundesland so dumm taktiert hat, spürt die SPD einen Aufwind, den Steinmeier am wenigsten verdient. Kochs Desaster rührt ja daher, dass scheinbar bewährte CDU-Themen wie Ausländerfeindschaft und Kriminalität sich unversehens mit dem Thema Sozialstaatsabbau, überhaupt Staatsabbau kurzschlossen. Denn man konnte ihm nachweisen, dass er die Verwirklichung seiner eigenen Parolen durch seinen eigenen Stellenabbau unmöglich gemacht hat. Den Sozialstaatsabbau hat aber gerade Steinmeier als Kanzleramtschef unter Schröder vorangetrieben.

Die SPD prescht nicht nur selbst vor, sondern sucht auch zu verhindern, dass der Partner vorprescht. Neue Vorschläge aus Wolfgang Schäubles Innenministerium wurden vom SPD-Innenpolitiker Wiefelspütz zurückgewiesen, noch bevor sie auf dem Tisch des CDU-Mannes gelandet waren. Schäuble beschwerte sich denn auch: Das sei ja nur ein Referentenentwurf. Aber der Entwurf hat es in sich. Bei der Anordnung auf Telefonüberwachung soll im Gesetz der Passus "soweit die Maßnahmen zur Abwehr einer Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person geboten ist" gestrichen werden. Man fragt sich wirklich, auf welchen Grund zur Trennung von einem solchen Partner die SPD noch wartet.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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