Einfallstor für Frontschweine

UMBAU DER LANDWIRTSCHAFT (II) Das neue Landwirtschaftsprogramm ist zukunftsweisend, aber nicht revolutionär. Der Gegenangriff ist schon in Vorbereitung

Das Ministerprogramm zur naturverträglichen Landwirtschaft liegt vor; es sucht zunächst nur den Anteil artgerechter Nutztierhaltung und -fütterung zu erhöhen (vgl. Freitag 6/01). Vor einer Woche wurde ergänzend der Entwurf für ein überarbeitetes Bundesnaturschutzgesetz präsentiert. Hier geht es darum, den "Ausgleich zwischen den Interessen der Menschen an der Nutzung und dem besonderen Schutzbedürfnis der Natur herzustellen", so Umweltminister Trittin. Er will beispielsweise die Länder verpflichten, zehn Prozent ihrer Landesfläche für einen bundesweiten Biotopverbund zur Verfügung zu stellen. Das wäre eine Steigerung um zwei Prozent. Zur Begrenzung der Intensivlandwirtschaft schlägt er mehr Kontrolle vor: jeder Bauer soll seinen Einsatz an Dünger und Pflanzenschutzmitteln dokumentieren. Die Richtung stimmt zwar. Doch ob die Schritte groß genug sind, wird von Umweltverbänden bezweifelt. Es hat ja einen Grund, dass Trittins Novelle im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig ist, obwohl sie Länder verpflichtet: Der Bund kann zur "Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" nur den allgemeinen Rahmen vorgeben. Ansonsten ist Agrarstrukturpolitik Ländersache. Da verfährt zum Beispiel Bayern so, dass es Umweltförderung auf Gebiete mit ohnehin niedriger Bewirtschaftungsintensität konzentriert.

Das ist das Problem: Nachdem wir zur Zeit die zwar nicht revolutionären, aber doch "vorwärtsweisenden" Programme der rot-grünen Regierung erleben, geht der Februar mit der Karnevalszeit zuende, und am 28. ist Aschermittwoch. Jene Maßnahmen zur Naturverträglichkeit, die von zwei Staatssekretären des Landwirtschafts- und des Umweltministeriums schon vor den Ministerrücktritten formuliert worden waren, sie wurden überall heftig begrüßt - sie sind aber gar nicht neu! Denn das sind genau die Schritte, die man in der EU längst gehen will und die immer wieder an der agrarindustriellen Lobby scheiterten.

Das Problem des ökologischen Umbaus besteht nicht darin, dass bisher die guten Absichten gefehlt hätten. Es ist überwiegend eine Machtfrage. Man kann nicht einmal sagen, da stünde eine mächtige Regierung einem noch mächtigeren agrarindustriellen Komplex gegenüber. Sondern die Regierung selber, ihre ministeriale Bürokratie ist von diesem Gegner unterwandert. Dabei sind weniger die "Agrarfabriken" zu fürchten als die sie beliefernden Konzerne. Die Futter- und Düngemittelindustrie hat Macht, übt sie durch Macht-Wissen aus und kann bisher auf die Gefolgschaft der meisten Bauern rechnen. Keine Branche kennt so viele gut bezahlte "Fachleute", keine hat ihre Lobby in so viele Fachverbände untergliedert. Mit dem hochgezüchteten "Fachwissen" ist das zuständige Ministerium nicht nur gesprächsweise konfrontiert, sondern hat es zum eigenen Aufbau verwendet. So kann Renate Künast, die neue Ministerin, nicht etwa mit freiem Rücken agieren. Die Beamten, mit denen sie vorige Woche in Brüssel aufkreuzte, sind in der EU als ökologische Bremser wohlbekannt.

Die rot-grüne Regierung kehrt jetzt verbal zu den hehren Zielen ihrer Koalitionsvereinbarung zurück, die sie zwei Jahre lang missachtete. An welchen Taten würden wir sehen, dass sie es ernst meint, diesmal, bei der zweiten Chance? Auf EU-Ebene müsste sie alle Anstrengung auf die für 2002 vorgesehene agrarökologische "Zwischenprüfung" konzentrieren. Die EU-Politik im Landwirtschaftsbereich ist bis 2006 festgelegt. Der französische Präsident hat bereits erklärt, er wolle daran nicht rütteln lassen. Doch in Gestalt der "Zwischenprüfung" ist ja die Veränderungsmöglichkeit mitbeschlossen. Sie gewinnt noch mehr Bedeutung im Kontext der Osterweiterung. In den osteuropäischen Ländern wird schon aus Armutsgründen ökologischer gewirtschaftet als im Westen. Das ist einmal ein Bereich, in dem der Westen sich dem Osten anpassen könnte und müsste.

Innenpolitisch wären Verhandlungen mit den Mächtigen des agrarindustriellen Komplexes aufzunehmen. Die Taktik der Atomkonsensgespräche dürfte nicht wiederholt werden. Es ginge darum, die Mächtigen unter Druck zu setzen. Deshalb ist vor allem die Öffentlichkeit solcher Verhandlungen wichtig. Bärbel Höhn hat es in Nordrhein-Westfalen vorgeführt. In vielen Gesprächen mit Klein- wie Großbauern riet sie pragmatisch zur Umkehr: Unabhängigkeit von der Futtermittelindustrie mache die Planung sicherer. Sie arbeitete an der Trennung der Mächtigen von denen, die bisher ihre Gefolgschaft bilden.

An ihren Taten sollt ihr sie erkennen - aber auch an den Worten. Gerhard Schröders Worte sind bisher nicht vertrauensbildend. Ob absichtlich oder aus Unkenntnis, seine Volte gegen "die Agrarfabriken" hat im Interesse der Mächtigen eine falsche Front aufgebaut. Es geht ja nicht darum, von der großen Fabrik zum kleinen Öko-Hof, "zur Scholle" zurückzukehren. Denn auch größere Agrarier können naturverträglich produzieren und tun es teilweise auch, besonders in Ostdeutschland. Wo sie es nicht tun, entsteht eben eine Konversionsproblematik. Der Staat wäre zur finanziellen Förderung aufgerufen. Nicht gegen "Agrarfabriken", sondern gegen die Macht der Futter- und Düngemittelindustrie müsste der Kanzler vorgehen. Schröders Worte haben einen doppelten Effekt. Zum einen suggeriert seine Verwechslung von Größe und Naturwidrigkeit ein Problem, das gar nicht besteht, nämlich dass man nicht gut auf die Zerschlagung und Zerlegung der Großen hoffen kann und dann geneigt ist, auch auf die Ökologisierung der Landwirtschaft nur in Maßen zu hoffen. Eben darauf scheint Schröder zu setzen, denn er schob nach: die Ökologisierung sei wichtig, aber auch "die konventionelle" Landwirtschaft werde noch gebraucht.

Zum andern öffnet er den Mächtigen ein Einfallstor, das sie zum Gegenangriff nutzen können. Sie haben schon begonnen, das zu tun. Nachdem die Kanzlerworte gegen "Agrarfabriken" von einer Reihe namhafter Ökonomen kritisiert worden sind, hat die FAZ im Umbau der Landwirtschaft wieder einmal das Problem der neoliberalen Deregulierung erkannt. Der Staat dürfe sich in die Produktion überhaupt nicht einmischen, denn habe Schröder nicht das Denken von der Ladentheke her gefordert? "Der Gesundheitsschutz ist Sache des Staates, aber darüber entscheiden, wessen Produkte den Vorzug verdienen, ist allein Sache der Verbraucher." Da diese Entscheidung, Kennzeichen des so ungeheuer freien Marktes, schon seit je die "Sache der Verbraucher" ist - der Kunde als König -, liegt der Schluss nahe: kein besserer Umbau der Landwirtschaft als der, bei dem alles beim Alten bleibt.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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