Man kann es schon glauben, dass einige europäische Regierungen, insbesondere die deutsche und die französische, den von den USA vorbereiteten Irak-Krieg nicht nur nicht billigen, sondern auch zu verhindern versuchen. Die Frage ist nur, was davon zu halten ist, wie sie das tun. Erst im Zusammenhang mit der Beantwortung dieser Frage kann erkennbar werden, welche schwere Kritik sie trotz allem verdienen. Das Subjekt der Kritik müsste die Friedensbewegung sein.
Es führt nicht weiter, die Anstrengungen von europäischer Seite und den darin steckenden "guten Willen" zu leugnen. Der deutsche Kanzler beispielsweise hat im Bundestagswahlkampf mit seinen Attacken gegen Präsident Bush nicht nur seine Wiederwahl erreicht, sondern auch erheblich dazu beigetragen, dass die kriegswütige US-Administration seitdem einem gewissen Argumentations-Notstand unterliegt. Als Schröder sich empörte, Bush habe, was den Irak angeht, ohne Konsultation mit den Verbündeten das politische Ziel verändert - Regimewechsel statt Abrüstung -, war dieser gezwungen, sich wenigstens im öffentlichen Diskurs auf die Zielsetzung "Abrüstung erzwingen" zurückzuziehen. Zustimmung zu seinem Kriegsprojekt war nun in UNO wie NATO allenfalls unter der Voraussetzung zu erlangen, dass der Irak nachweisbar Massenvernichtungswaffen lagert.
Während des Bundestagswahlkampfes gab es ein Treffen Schröders mit dem französischen Präsidenten Chirac. Der bat hinterher die deutsche Öffentlichkeit, sie möge Verständnis haben, dass er nicht wie Schröder sprechen könne. Denn als Vetomacht im Weltsicherheitsrat müsse Frankreich ein besonderes Rollenverhalten an den Tag legen. Frankreich trotzte den Amerikanern eine UN-Resolution ab, die einen Kriegsautomatismus selbst für den Fall, dass tatsächlich Massenvernichtungswaffen im Irak entdeckt werden, nicht enthält. Auf ihrer Basis fordert es heute gemeinsam mit Russland und China, weitere Schritte müssten in einer zweiten Resolution geregelt werden. Schröder wiederum einigte sich jetzt mit Chirac auf ein gemeinsames Vorgehen im Sicherheitsrat. Damit schließt sich ein Kreis. Es zeigt sich, Deutschland und Frankreich handeln seit Monaten koordiniert mit verteilten Rollen. Die jüngste Erklärung beider Mächte, sie betrachteten sich als eine Art Kerneuropa in außen- und sicherheitspolitischen Fragen, kann als Reaktion auf das Dilemma des EU-Konsenszwangs mit der kriegswilligen Regierung Großbritanniens angesehen werden. Die deutsch-französischen Bemühungen mögen sich als vergeblich erweisen. Belanglos sind sie auf keinen Fall.
Die Art und Weise, wie die Friedensbewegung auf sie reagierte, war oft eher kontraproduktiv. Vielfach stand die Frage im Vordergrund, ob "Schröder lügt". Nach dem 22. September erkannte die CDU ihre Chance und blies die Frage zu einer veritablen Kampagne auf. Seitdem hat die Friedensbewegung es noch schwerer, sich von ihr zu lösen. Absurde Verdächtigungen beherrschen die Szene. Nachdem der Außenminister sich geweigert hatte, den Spiegel mit einer Vorab-Erklärung über Deutschlands Abstimmungsverhalten im Sicherheitsrat zu beglücken - eine professionelle Selbstverständlichkeit für den obersten Sprecher der Diplomaten -, titelten am nächsten Tag alle großen Zeitungen, Deutschland rücke vom Nein zum Krieg ab. Es half nichts, dass Fischer in jenem Interview immer wieder gesagt hatte, Deutschland bleibe beim Nein. Der Kanzler musste nachschieben: Es gebe zwar keine Vorab-Erklärung, aber selbstverständlich werde das Abstimmungsverhalten im Einklang mit der deutschen Politik stehen. Diese hat sich bekanntlich auf die Ablehnung des Krieges festgelegt. Was für ein Kindergarten-Spiel.
Die Friedensbewegung hätte Wichtigeres zu durchdenken. Statt sich von der CDU auf "Lügen"-Stories fixieren zu lassen, müsste sie die beiden wirklich verheerenden Schwächen der deutschen und französischen Anti-Kriegs-Politik thematisieren. Erstens: Selbst wenn Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen hätte, wäre ein Angriffskrieg verbrecherisch. Die Regierungen Deutschlands und Frankreichs haben aber den Eindruck genährt, sie stimmten dem Junktim zu, ein Krieg sei erlaubt oder gar geboten, falls solche Waffen gefunden werden. Sie mögen das in dem Glauben getan haben, man werde ja nichts finden. Das entschuldigt sie aber nicht. Der Bruch des Völkerrechts ist verbal vollzogen. Auch dem "Aufbau einer Drohkulisse" gegen Bagdad mögen sie in der Hoffnung zustimmen, dass die Drohung ja vielleicht nicht verwirklicht wird. Aber die UN-Charta verbietet nicht nur Aggressionskriege, sondern auch deren Androhung.
Zweitens: Es ist unerträglich, dass die amerikanische Regierung immer wieder erklären kann, die Beweislast für das Nichtvorhandensein jener Waffen liege nicht bei den Inspektoren, sondern beim Irak selber, ohne dass Schröder, Chirac und andere dem öffentlich widersprechen. Denn hier wird der elementare Grundsatz rechtlichen Denkens mit Füßen getreten. Es ist sogar gesagt worden, der Umstand, dass Saddam Hussein dem Verdacht nicht umstandslos recht gebe, beweise schon seine Schuld. Das hinzunehmen, zeigt weder Sinn für Realpolitik noch diplomatische Professionalität - es ist schlicht eine fahrlässige Verdrängung der Möglichkeit, dass ein neuartiger Faschismus entstehen könnte.
Man kann doch nicht weiter die Augen davor verschließen, dass Präsident Bush sich des Terroranschlags vom 11. September ganz ebenso bedient, wie Hitler sich des Reichstagsbrands bediente. Eine schon vorher gefasste Absicht wird auf dem Rücken eines Anlasses, der wie gerufen kommt, in die Tat umgesetzt. Es war in der ZEIT nachzulesen, dass die Bush-Administration den Irak-Krieg seit ihrem Antritt plante. Der Versuch der Regierungen Deutschlands und Frankreichs, ihn zu stoppen, greift zu kurz, weil er nur einer einzigen Maxime folgt: die USA wieder auf die UNO zu verpflichten. Die Maxime ist wichtig genug. Man darf nicht vergessen, dass beide Länder während des Kosovo-Kriegs begonnen hatten, sie unter amerikanischem Druck zu missachten. Aber sie ist eben nur formal und lässt daher jene beiden Schwächen zu.
Mit welcher Maxime kann die Friedensbewegung eingreifen? Ein "Nein zum Krieg" reicht nicht aus, auch wenn es noch so grell herausgebrüllt wird, während unsere Diplomaten vornehm leise sprechen. Es nützt auch nichts, sich über die geringe Teilnehmerzahl von Friedensdemos zu ärgern. Eine Demonstration ist ein Kommunikationsakt: Wenn es nichts zu kommunizieren gibt, weil man der Regierungslinie gar nicht so fern ist, kommen nur wenige Demonstranten. In Wahrheit hätte die Bewegung aber durchaus etwas zu sagen, und zwar dies: Die USA haben kein Recht, sich noch weiter als "Führungsmacht" zu verstehen oder gar aufzuspielen. Eine Führung kann demokratisch, aber auch faschistisch sein. Die USA beanspruchen nicht nur den Westen, sondern die Weltgesellschaft zu führen, während sie gleichzeitig alles daran setzen, die checks and balances des Völkerrechts auszuhebeln. Der Anspruch ist nur wenig mit der amerikanischen Bevölkerung vermittelt, deren weit überwiegender Teil sich für außenpolitische Fragen kaum interessiert. Die Administration repräsentiert sie nicht wirklich in diesen Fragen. Sie kann sich aber auf die mächtigste Armee der Welt stützen. Ihre Führung der Welt ist nicht demokratisch. Sie bedarf ihrerseits der Führung durch andere. So muss die Maxime, die USA seien wieder auf die UNO zu verpflichten, inhaltlich konkretisiert werden. Auch in der UNO hat sich der Führungsanspruch erledigt. Womit wäre er zu legitimieren? Etwa mit den vielen Massenvernichtungswaffen, über die Präsident Bush verfügt? - Das müssen unsere Regierungen laut fragen. Wenn sie es nicht tun, sollten sie deswegen - und nicht, weil sie angeblich "lügen" - bekämpft werden.n
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