Bis Ende März hatten alle alten EU-Länder ihre Allokationspläne in Brüssel einreichen sollen. Doch nur fünf - Finnland, Dänemark, Irland, Österreich und Deutschland - hielten die Frist ein. Zuletzt war zu hören, die Brüsseler Kommission hoffe die restlichen Pläne nach Ostern in Empfang nehmen zu können. Wenigstens Italien wird auch diese Erwartung enttäuschen. Dort war zum Abgabetermin nicht einmal geklärt, wie viele Unternehmen in den Emissionshandel überhaupt einbezogen werden sollen. Erst wenn das geschehen ist, kann die jährliche CO2-Menge der einzelnen Firma ermittelt werden, und erst danach weiß man konkret, wie viele Emissionsrechte sie dem nationalen Reduktionsziel entsprechend beanspruchen darf.
Wenn es zu solchen Verzögerungen nur aus bürokratischer Schlamperei käme, wäre nicht weiter davon zu reden. Die Brüsseler Kommission macht sich aber keine Illusionen: Manche Regierungen wollten zunächst die Entwicklung in den Nachbarländern abwarten, schätzt man dort ein. Das ist plausibel, denn nicht anders als in Deutschland wütet die Industrie aller EU-Länder gegen die Reduktionsziele. In Spanien zum Beispiel drohte die Firma Arcelor, sich aus Europa zurückzuziehen, falls sie für die Einhaltung der Kyoto-Ziele bezahlen müsse. Das war im Wahlkampf, und der damals noch amtierende Wirtschaftsminister Rato versprach schnell, die spanische Regelung werde "die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen auf keinen Fall vermindern".
Aber was heißt das: die Entwicklung in den Nachbarländern abwarten? Es heißt doch wohl, man hat auf die deutsche Entscheidung gewartet. Denn Deutschland ist das mächtigste Industrieland, spielt sich als ökologischer Vorreiter auf und wird zudem noch von angeblichen Sozialdemokraten regiert. Bleibt da den Sozialisten, die Spanien jetzt regieren, etwas anderes übrig, als sich der deutschen Entscheidung zu beugen? Sie können ihre Wirtschaft doch nicht einem Staat gegenüber, der ohnehin stärker ist, noch mehr benachteiligen. Man sieht: Schröder, Clement und Trittin haben nicht nur in Deutschland den ökologischen Pfad zertreten - sie haben ganz Europa auf dem Gewissen. Vorerst bleibt noch der Trost, dass die Deutschen gar nicht autorisiert sind, mit Europa umzuspringen, wie es ihnen passt. Wenn alle Allokationspläne eingereicht sind, wird die Brüsseler Kommission sie drei Monate lang überprüfen. Sie kann Änderungen verlangen, sie kann alle Pläne ablehnen. Nach dem, was sich zur Zeit abzeichnet, wäre eine Totalablehnung tatsächlich sinnvoll. Aber dass sich die Brüsseler Kommission gegen die deutsche Regierung durchsetzt, ist kaum anzunehmen.
Schröder, Clement und Trittin - oder sollte man Trittin von dem Schuldvorwurf ausnehmen? Im Gegenteil: Er ist der Schlimmste. Denn dass Schröder und Clement, die regierenden Genossen vom rechten SPD-Flügel, Ökonomie vor Ökologie gehen lassen und immer begleitend behaupten, es gäbe zwischen Ökonomie und Ökologie gar keinen Konflikt, das wissen wir seit Jahrzehnten. Jürgen Trittin wusste es viel besser als die meisten anderen Deutschen. Er ist dennoch zu Schröder ins Koalitionsbett gestiegen und tut jetzt so, als sei es ein ganz normaler Vorgang, dass an diesem Ort nun eben auch die Ökologie abgetrieben wird. Normal insofern ist es ja wirklich, als es nicht anders zu erwarten war. Aber warum musste man dieser Regierung dann beitreten? Nur damit Joschka Fischer ein ebenso guter Außenminister werden konnte, wie es Günther Verheugen auch geworden wäre?
So viel zu den Personen - aber deren Erbärmlichkeit ist noch gar nichts gegen die Dummheit des politischen Prinzips. Der Emissionshandel ist einmal als marktwirtschaftliches Instrument angepriesen worden, ähnlich wie vorher die Ökosteuer. Ökologen mussten zur Anerkennung solcher Instrumente erst "erzogen" werden, waren sie doch vorher so weltfremd, in "der Marktwirtschaft" nicht das Paradies auf Erden zu sehen. Alles Gute geschieht in "der Marktwirtschaft" von selbst, also auch der ökologische Umbau. Mit dieser Botschaft zogen einige aus, die grüne Partei umzukrempeln, und es gelang seit 1990 in steigendem Maße. Vorher hatten die Grünen ökologische Probleme auf die ziellose, ungehemmte kapitalistische Wachstumsdynamik zurückgeführt. Sie hatten gewusst, dieser Dynamik entsprechen knallharte Interessen, die man bekämpfen muss, wenn man den ökologischen Umbau will. Eine Diskussion konnte es nur darüber geben, ob der Kampf gewaltsam oder durch Überzeugung der Mehrheit und dann durch taktisch geschicktes Ausnutzen der Mehrheitsmacht gewonnen werden sollte. Die Entscheidung gegen den zum Scheitern verurteilten Gewaltkampf war mit der Gründung der Partei schon gefallen.
Damit war alles klar - bis die Karrieremacher kamen. Diese behaupteten, man könne die mächtigen Menschengruppen, die sich nur für den Profit interessierten, mit "marktwirtschaftlichen Instrumenten" kampflos, ohne dass sie es selber recht merkten, über die Schwelle des ökologischen Umbaus bugsieren. Es soll hier gar nicht gegen die Instrumente als solche polemisiert werden. Man muss im Gegenteil dankbar sein, dass die ökologische Wissenschaft deren marktwirtschaftliches Zusammenwirken und damit eine ganze "ökologische Regulationsweise" systematisch ausgearbeitet hat. Nur ist es doch absurd, wenn Politiker so tun, als hätten sich auf die Regulationsweise schon alle geeinigt, als müsse man vor diesem Gesamthintergrund um das einzelne Instrument nicht mehr kämpfen, sondern brauche es nur noch zu errechnen. Wiederum kann die Suggestion, es gebe die Regulationsweise schon, sogar selber ein politisches Kampfmittel sein. Man könnte sich ja eine ökologische Partei vorstellen, die den Profitegoismus mit der Unterstellung, alle wollten doch Vernunft, sollten ihr nun aber auch folgen, konsequent in die Enge triebe. Doch eine solche Partei sind die Grünen nicht. Wenn sie es wären, hätten sie die Regierung Schröder wegen der Adabsurdumführung des Emissionshandels verlassen.
In seiner jüngsten Ausgabe berichtet der Spiegel, die Selbstverpflichtung der deutschen Industrie zur Emissionsreduktion, auf die sich Trittin berufen wollte und die dann zurückgezogen wurde, sei niemals ernst gemeint gewesen. Man sei sie 1996 "aus reiner Notwehr" eingegangen, sagt der frühere BDI-Präsident Olaf Henkel. Es sei damals nur darum gegangen, die Ökosteuer abzuwenden. Wen kann das überraschen?
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.