Erinnerung an Moorburg

Hessen SPD und Grüne wollen das weltgrößte Kohlekraftwerk verhindern. Den Versuch lohnt es

Der hessische Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen liest sich wie ein ganz brauchbarer Kompromiss. Die SPD hat durchgesetzt, dass die neue Landebahn des Frankfurter Flughafens gebaut wird. Aber wenigstens soll ein Nachtflugverbot erreicht werden. Nun, wir sind durch die Politik der Hamburger Grünen gewarnt: Vielleicht hören wir bald wieder von einem Gericht, das sich leider quer gestellt habe. Den hessischen Grünen gelang es immerhin, den Ausbau des Flughafens Kassel-Calden zu verhindern. Beim Thema Autobahnen ein ähnliches Bild: Die A 44 wird ausgebaut, die A 49 nach Verzögerung auch - sie soll erst "durchfinanziert" werden -, doch wenigstens wird auf die A 4 verzichtet.

Man fragt sich indessen, wer hier eigentlich mit wem einen Kompromiss schließt: das künftige hessische Umweltministerium unter dem Grünen Tarek Al-Wazir mit dem künftigen Wirtschaftsministerium unter dem Sozialdemokraten Hermann Scheer? Ist Scheer denn nicht selber Ökologe? Er ist vor allem "Solarpapst". Auf dem Gebiet seiner Interessen - Sonne-, Wind- und Wasserkraft - gibt es mit den Grünen keine Differenz. Der Ausbau dieser Energien wird erleichtert und unterstützt werden. Wo es aber um die Zunahme des Auto- und Flugzeug-Verkehrs geht, schlägt Scheers Herz nur noch bedingt ökologisch. Da greift er nicht ein, wohl weil er der sozialdemokratischen Lebenslüge folgt, dass zwischen ökologischen und ökonomischen Interessen ein Gleichgewicht bestehen müsse und auch könne.

Wenn man wissen will, wie Politik, ohne es zu wollen, ihren Anspruch auf Universalismus verspielt und zur Vertretung bloß einer Kapitalfraktion wird - immerhin einer "guten" Fraktion: des Ökokapitals -, hier kann man es studieren. Ökologische Politik wäre mehr, sie würde beherzigen, was André Gorz der SPD einst ins Stammbuch schrieb: "dass sie den ökonomischen Interessen widerspricht"; "was der Industrie, der Wirtschaft insgesamt in Aussicht gestellt werden kann, ist nicht, dass es ihr dank ökologischer Erneuerung langfristig viel besser gehen wird, sondern allein, dass es ihr ohne ökologische Erneuerung bald viel schlechter gehen muss".

Doch in einem Punkt, dem zur Zeit wichtigsten, springt die SPD über ihren Schatten - sie verweigert den Bau von Kohlekraftwerken. In Großkrotzenburg soll das weltgrößte Kohlekraftwerk (1100 Megawatt) gebaut werden. Das wollen beide Koalitionäre verhindern. Die Frage ist, ob sie es auch können.

Anfang Oktober hat Eon die Unterlagen für das Raumordnungsverfahren eingereicht. Scheer hofft nun auf "landesplanerische Rechtsgrundlagen" einer Ablehnung. Wie mit Landesraumordnungsgesetzen Kohlekraftwerke gestoppt werden können, soll ein Gutachten der Umweltanwälte Reiner Geulen und Remo Klinger zeigen, das Mitte Oktober veröffentlicht wurde. Diese Gesetze müssten freilich erst einmal geändert werden. Dann gäbe es die Möglichkeit, den Bau von Werken in "erheblich mit Luftschadstoffen belasteten Gebieten" zu untersagen.

Das erinnert ein wenig an die verlorene Moorburger Schlacht. Die Frage wird wieder sein, ob die Koalition sofort das Handtuch wirft, wenn ihr erster Gerichtsgang in dieser Sache scheitert. Oder ob sie im Gang durch mehrere Instanzen um gesellschaftliche und gerichtliche Hegemonie kämpft: nicht bloß mit der Landesraumordnung, sondern mit dem Hinweis, dass man die objektive proportionale Belastbarkeit der hessischen Region, als eines Teils der Erde, genau angeben kann und nicht überschreiten darf.

Man wird sehen. Den Versuch lohnt es. Da es auch sonst im Vergleich mit der Regierung Koch deutliche Besserungen gibt, zum Beispiel in der Schulpolitik, kann die Linkspartei ihn erst einmal mit gutem Gewissen unterstützen. Hoffentlich scheitert er nicht schon bei der Ministerpräsidentenwahl.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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