Wir brauchen Windräder, viel mehr, als wir schon haben. „Vier bis fünf“ pro Tag bis 2030, wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) jüngst der Bild-Zeitung sagte, und es muss schneller gehen. Ein Gesetz zur Beschleunigung der Gerichtsverfahren, die mit dem Bau von Windrädern und anderer Infrastrukturprojekte häufig einhergehen, hat der Bundestag gerade beschlossen. Über ein entsprechendes Gesetz, das auch die Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen soll, ist sich die Ampel noch uneins, weil die Grünen, anders als die FDP, nicht auch den Neubau von Autobahnen fördern wollen. Auch andere Hürden sind noch in der Diskussion, besonders die Vereinbarkeit mit dem Artenschutz. Die Bundeswehr sieht ihre Hubschrauber-Tiefflugkorridore gef&
Gedrehte Perspektive: Windräder als Kunstwerke
Ästhetik Windräder zerstören die Schönheit der Landschaft, heißt es oft. In der Industriegeschichte ist diese Angst nicht neu – früher betraf sie etwa die Eisenbahn. Heute kann eine Verbindung von Kunst und Ökologie bei der Versöhnung helfen

So schön können Windräder sein
Illustration: Johanna Goldmann
rridore gefährdet. Auf eine Verringerung der Abstände zu Drehfunkfeuern für die Flugsicherung und den Wetterradar konnte sich das Bundeskabinett im Dezember schon einigen. Aber von all dem soll hier nicht die Rede sein – sondern vom Widerstand der Bevölkerung. Dass die Beschleunigung der Gerichtsverfahren ihm entgegenwirkt, heißt ja nicht, dass er den Ökolog:innen gleichgültig sein darf.Ein Hauptargument, aus dem sich der Widerstand speist, ist die Zerstörung der Landschaftsschönheit. Es wird auch von Fachleuten für Ästhetik unterstützt. Dass Menschen Erholung in schöner Landschaft brauchen, ist allgemein anerkannt, Windräder jedoch, so sagen sie, sind hässlich. „Landschaft ist Heimat“ und „Gegenwelt“, hat der Landschaftsarchitekt Werner Nohl in der FAZ betont. Er ist öffentlich bestellter Sachverständiger auf diesem Gebiet. Mit ihrer Landschaft, sagt er, wollen sich Menschen „identifizieren“. Dass auch der technische Fortschritt zum Leben gehört, ist allen selbstverständlich, aber wenn es keinen Ort mehr gäbe, wo nicht Technik zu sehen ist, würde das die Menschen überfordern. Dass es von regierungsnaher Seite Bemühungen gibt, etwa durch die Erstellung und Berücksichtigung einer deutschlandweiten „Landschaftsbildwert-Karte“, räumt Nohl ein. Doch sei es gar nicht möglich, Schutzkriterien so präzise zu formulieren, dass sie nicht im Ernstfall überrollt würden. Auch der Vorschlag, durch Windkraftanlagen „die Leitlinien, Kanten und Bezugspunkte der Landschaft zusätzlich“ zu markieren, würde der Natur die Einzigartigkeit nehmen, könne nur zu ihrer Banalisierung führen. Der Bau weiterer Windkraftanlagen sei „nur noch offshore in Nord- und Ostsee und in gebührendem Abstand zu Küsten und Inseln“ vertretbar. Ansonsten sei er „sofort einzustellen“.In Frankreich ist es heftigerDem steht die Politik der Bundesregierung entgegen. Sogar in Landschaftsschutzgebieten dürfen Windparks jetzt aufgestellt werden. Ein starker Konflikt! Wenn man näher hinschaut, scheint er nicht ganz so krass zu sein. Sachverständige wie Nohl sprechen zwar wirklich für einen Widerstand, den es in der Bevölkerung gibt, man muss aber differenzieren: Wo Windräder schon stehen, werden sie mit großer Mehrheit akzeptiert, besonders von jüngeren Leuten, letztlich aber auch von älteren. Nur wo sie bevorstehen, will man sie nicht. Das ist also wie bei der Ablehnung von Migranten: Wo man noch keine gesehen hatte, ließ sich Fremdenhass schüren, weniger in Gegenden, wo schon welche wohnten und nur neue hinzukamen. Marine Le Pen, die französische Rechtspopulistin, hat den Vergleich ausdrücklich gezogen: Jeder will Windräder und Migranten, sagt sie spöttisch, „nur nicht vor der eigenen Haustür“.Der Blick auf Frankreich zeigt, dass der Widerstand gegen Windräder durchaus ein großes Problem ist. Würde man Deutschland isoliert betrachten, könnte man ja urteilen, bei einem Anteil der Windenergie von 23 Prozent an der Stromerzeugung müsse der Anblick von Windrädern zu vertraut sein, als dass der Widerstand überhandnehmen könnte. In Frankreich beträgt er aber nur knapp acht Prozent. Dort hatte Le Pen versprochen, sie als Präsidentin werde nicht nur keinen weiteren Ausbau zulassen, sondern auch für die Demontage aller schon bestehenden Anlagen sorgen. Zwar hat auch dort im Januar ein Beschleunigungsgesetz den Senat bei nur fünf Gegenstimmen passiert, doch die rechtsbürgerliche Mehrheit setzte durch, dass stets auch die „visuelle Übersättigung“ durch Windkraftanlagen geprüft werden muss.Gegen solchen Widerstand könnte Präsident Emmanuel Macron, der bis zur Jahrhundertmitte 50 Windparks vor der französischen Küste plant, die Technikgeschichte ins Feld führen: Schon der Eisenbahnbau im 19. Jahrhundert hatte diese Angst vor der Landschaftszerstörung ausgelöst, und man sieht sie heute als unbegründet an. So in Morlaix, Bretagne, einer schönen kleinen Stadt im Tal des Morlaix-Flusses. Für die Eisenbahnlinie von Paris nach Brest musste das Tal durch ein Verbindungsstück überbrückt werden, das den Ort zerteilte. Der Stadtrat hatte sich mit dem Argument gewehrt, die Brücke würde „ein Hindernis für die gute Belüftung“ im Tal sein, doch die Bahngesellschaft setzte sich darüber hinweg, begann 1861 mit dem Bau und nahm sie 1863 in Betrieb. Die Einwohner müssen eigentlich gleich gesehen haben, dass sie ihre Stadt noch weiter verschönerte, denn sie hat die Form eines römischen Viadukts. Seit 1975 wird es zu Frankreichs historischen Denkmälern gezählt.In Italien wurde der erste Windpark 2019 nahe Piombino in der Toskana errichtet. Auch dort war Widerstand zu überwinden. „Die Toskana ist eine Kulturlandschaft, die über Jahrhunderte gepflegt wurde“, hatte ein „Komitee zum Schutz des Höhenzugs“ eingewandt. Daraus dürfe keine Industrielandschaft werden. Es scheint aber, dass eine Traumlandschaft wie die Toskana Windräder jedenfalls besser verträgt als deutsche Flachfelder wie in Schleswig-Holstein, die durch sie noch langweiliger werden. In der Toskana setzen sie wohl wirklich Akzente, indem sie von sich weg zeigen, wie es der Rahmen eines Gemäldes tut. Die Räder, sehe ich auf einem Internet-Foto, stehen direkt neben dem Weg, einem Sandweg anscheinend, der die wild bepflanzte wellige Landschaft durchquert. Das Rad im Vordergrund ist wie ein Ausrufezeichen, das nur ganz leise ruft, weil es nur Schönes sieht.Man muss aber anerkennen, dass es genügend Umgebungen gibt, die durch Windkraftanlagen hässlicher werden. Die Menschen gewöhnen sich zwar an sie, aber das allein beruhigt nicht. Denn wer will denn, dass wir uns an alles gewöhnen?Sind Windräder hässlich? Sie sind es nicht an und für sich. Als Maschinen, die sie sind – an der Maschinenästhetik also gemessen –, muss man sie schön finden. Das Problem besteht darin, dass Landschafts- und Maschinenästhetik nicht leichthin vermischt werden können. Dabei geht es nicht um den Unterschied von „Stadt und Land“. Denn die Landwirtschaft ist industrialisiert wie die städtische, und das finden wir längst nicht mehr problematisch. Zur Zeit von Karl Marx war es noch kaum der Fall, doch er forderte es und sah eine Befreiung darin. Über Erholungsgebiete hat er freilich nicht nachgedacht.Umso mehr über die Maschine, wo er uns noch heute auf eine Spur setzen kann. Denn weit entfernt, die Erfindung des Windrads auch nur zu ahnen, hat er doch schon gezeigt, dass sie zu den Hauptschritten der Maschinengeschichte gehört. Er selbst hob die Erfindung der Dampfmaschine hervor. Die war nicht mehr an einen Ort gebunden, sie konnte überall sein. Ihr Vorgänger, die Wassermühle, musste sich an ländliche Flüsse halten. Es hatte auch Windmühlen gegeben, doch zumindest in England, so Marx, war der Wind „zu unstet und unkontrollierbar“.Ein Mischwald mit MühlenBeim damaligen Stand der Technik war das so – heute, mit dem technisch ausgereiften Windrad, ist nicht nur dessen Ort als Maschine frei wählbar geworden, sondern als bloße Kraftmaschine trägt jede zum Antrieb vieler Arbeitsmaschinen bei, deren Orte wiederum beliebig sind. Das war bei der Windmühle noch anders gewesen. Eine Mühle ist als Kraftmaschine mit der von ihr betriebenen Arbeitsmaschine an Ort und Stelle direkt verbunden.Windmühlen, die wir vielerorts noch besichtigen können, sind wie die römischen Viadukte und Aquadukte, wie die Römerbrücken überhaupt, Beispiele einer Industriekultur, die uns durch ihr Alter anrührt. Statt dass sie uns stören, finden wir die Landschaft, in der wir sie antreffen, durch sie beträchtlich verschönt. Es liegt aber nicht nur am Alter. Vielmehr hatten sich Windmühlen und Römerbrücken schon in der Zeit, als sie entstanden, an der Ästhetik wohnlichen urbanen Lebens gemessen. Während unsere Windräder wirklich weiter nichts als nackte Maschinen sind. Landschaften, in denen man sich erholen will, werden, wo man sie aufstellt, wie Fabriken behandelt. Manche Landschaften verkraften es, aber eben nicht alle.Muss das so bleiben? Oder könnten auch Windräder nach Vorbildern lebensweltlicher Ästhetik gestaltet sein? Wie wir sahen, wird die Frage schon gestellt, doch erste Antworten befriedigen nicht. Eine deutsche Landschaft mit „Kanten“ zu versehen, die maschinenförmig sind, dürfte kaum etwas bringen. Manche Windradstelen tragen schon kleine Aussichtsrotunden, von ihnen aus sieht man sie selbst wenigstens nicht (falls sie isoliert stehen). Inzwischen versuchen schon Tourismuslehrpfäde, Windwanderwege und Windenergieradwege an den Anblick zu gewöhnen. Aber wäre nicht ein anderer Anblick denkbar?Der Weg zur Antwort kann nur darin bestehen, dass man Konstrukte, die Windrädern ähnlich sind, im Bereich der Kunstästhetik sucht. Es gibt Mobile, auch Standmobile, es gibt das Whirligig, das mit der Windkraft Figuren bewegt, zum Beispiel auf Hausdächern. Diese Dinge sind nicht zur Energieerzeugung da. Doch sie zeigen, dass Windkraft-Mechanik mit künstlerischer Fantasie einhergehen kann.Kinetische Plastik kommt Windrädern, wie wir sie kennen, in der Art des Aussehens schon nahe. Bei den Windkraft-Skulpturen Triga oder WV 260 des Bildhauers Michael Hischer oder Eos von Jean Tinguely handelt es sich um gar nicht kleine robuste Strukturen. Ich weiß nicht, ob man Windräder direkt selbst als solche Kunstwerke bauen könnte, ohne dass die technische Effizienz leidet. Auf jeden Fall wäre es möglich, kinetische Plastik und die gewohnten Räder nebeneinanderzustellen. Das könnte so oder so geschehen: indem Kunsträder Windmaschinen wie ein Wall umgeben oder sich mit ihnen zum „Mischwald“ verbinden. In einem solchen Wald könnte auch wieder eine Windmühle stehen. Sie müsste nicht das klassische Aussehen haben, würde aber ein Haus bleiben, das als Haus vielleicht mit avantgardistischer Architektur wetteifert.Dass unsere Überlegungen keine Nebensache betreffen, kann man sich gerade an der erneuerten Windmühle klarmachen. Sie würde einerseits, wie früher schon, Energie erzeugen. Andererseits gäbe es in ihr keine Arbeitsmaschine mehr, stattdessen würde das Haus der Gemeinschaft zur Verfügung stehen und wäre ein Stützpunkt guten ökologischen Lebens. Man käme dort zusammen, um sich etwa zu fragen, ob unser Kaufverhalten zur Befriedigung unserer Bedürfnisse beiträgt oder wie es das könnte, und es auch auszuprobieren. Schon die pure Existenz eines solchen Hauses wie des ganzen umgebenden „Waldes“ würde lehren, als was Ökologie verstanden sein sollte. Zerfällt der Begriff nicht bisher in zwei Hälften, eine natürliche und eine technische? Ökologie ist zum einen Naturbewahrung, Artenschutz besonders, und zum anderen die Steigerung derjenigen technischen Effizienz, die zur Produktion ohne Schadstoffemission führen soll. Die Windräder, was sind sie heute, wenn nicht der Zusammenstoß der Hälften?Das himmlische KindAber es gibt einen dritten Weg, Ökologie zu definieren, das ist Ökologie als Kultur. Kultur des Menschen, der ohne sie nicht Mensch sein, auf dieser Erde nicht bleiben kann. Es muss daher gelingen, sowohl die Natur- wie die technische Seite als kulturell überformt zu begreifen oder die kulturelle Form, wo sie nicht mehr da ist, als Kunstform wieder neu zu schaffen. Natur als Kultur ist in unserer literarischen Tradition und auch bildenden Kunst noch präsent genug. Der Wind selber, ist er nicht „das himmlische Kind“? „Und packt mich die Wut, dann greif ich deinen Hut.“ „Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut.“ Das muss man nur in Erinnerung rufen. In der Technik können wir neue Wege beschreiten.Warum ist das wichtig? Weil die Akzeptanz von Ökologie unter der rein technischen Perspektive leidet, in die man sie heute stellt. Zu oft wird mit chemischen, physikalischen, technischen Kennzahlen um sich geworfen, mit denen wir uns nicht identifizieren können, auch wenn wir sie äußerlich wissen und ihre Funktion und Notwendigkeit kennen. Gäbe es aber Kunstwindräder oder eine Form der Verbindung von Windrädern und Kunst, sie könnten weithin ausstrahlende Leuchttürme kultureller Ökologie sein. Gab es nicht immer schon öffentliche Architektur, die dazu diente, das Fühlen und Denken der Bevölkerung zu beeinflussen? So etwas brauchen wir noch.
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