Sahra Wagenknecht provoziert immer wieder Aufregung, und die jüngste lief ab wie alle vorausgegangenen: Sie sagt Sätze zur Flüchtlingskrise, die ihr den Beifall der AfD und Kritik aus der eigenen Partei einbringen, und erklärt anschließend, was sie gemeint habe. Nehmen wir das Anfang Januar veröffentlichte Interview mit dem Stern: „Sie haben Merkels Satz ‚Wir schaffen das‘ als ‚leichtfertig‘ bezeichnet und der Kanzlerin vorgeworfen, viele Flüchtlinge erst ins Land gelockt zu haben. Das ist populistisch“, wird sie angesprochen. „Nein, das ist die Wahrheit“, erwidert Wagenknecht. „Natürlich waren die unkontrolliert offenen Grenzen damals ein Anreiz.“ Weiter sagt sie nichts. Der Stern-Journalist beharrt: „Nein, das ist infam.“ Nun scheint sie das Thema zu wechseln: Die Flüchtlinge seien frustriert, weil sie nicht wirklich integriert würden. „Merkel hatte keinen Plan und kein Konzept, das war letztlich schlimmer als nur leichtfertig.“
An anderem Ort sagt sie, die einmalige Grenzöffnung der Kanzlerin am 4. September 2015 sei richtig gewesen, aber danach sei alles zu chaotisch geworden. An einem dritten, in ihrer Kritik an Angela Merkel gebe es eine Hauptsache – die liege darin, dass die Kanzlerin die Ursachen der Flüchtlingskrise nicht bekämpfe – und das sei ihr Unterschied zur AfD. Man könnte den Eindruck bekommen, dass Wagenknecht ein wenig konfus ist. Sie hat ganz viele Gesichtspunkte und kann nicht alles auf einmal sagen. Sie ist vielleicht eher eine gute Autorin von Büchern als eine gute Politikerin, die ihre Sache, mag sie noch so komplex sein, immer und jederzeit auf den Punkt bringt. Ihr Ehemann Oskar Lafontaine hat es gekonnt, sie nicht. Aber das Problem liegt tiefer und ist genauso Lafontaines wie Wagenknechts Problem. Es rührt daher, dass beide etwas richtig Gutes wollen. Sie wollen solidarisch sein mit der arbeitenden Bevölkerung.
Konkurrenz um Jobs
In seiner ganzen Tiefe erfasst, liegt das Problem darin, dass Arbeiter in der Konkurrenz stehen. Man kann kapitalistisch oder antikapitalistisch auf diese Tatsache reagieren. Die radikalste kapitalistische Reaktion würde darin bestehen, dass man sagt: Wenn wir die „Marktwirtschaft“ und „freie Konkurrenz“ der Unternehmer feiern, warum sollen denn dann nicht auch die Arbeiter konkurrieren dürfen? Nun wollen die Arbeiter derselben Nation gar nicht um Arbeitsplätze konkurrieren, deshalb gibt es ja Gewerkschaften. Faktisch bleibt ihnen aber nichts übrig, als es dennoch zu tun. Ihre Konkurrenz ist wenigstens eingeschränkt. Das ist schon viel. Die Gewerkschaften ersparen ihnen Schlimmeres. Was nun aber, wenn „ausländische“ Konkurrenten dazukommen? Die Haltung des DGB und überhaupt der europäischen Gewerkschaften ist zwar eindeutig: Sie erklären ihre uneingeschränkte Solidarität mit den Flüchtlingen. Aber das überzeugt nicht alle Arbeiter.
Die Gewerkschaften sind nur ihre Interessenvertretung. Wenn mich meine Interessenvertretung zu einer Solidarität auffordert, die meinem Interesse hier und jetzt in die Quere kommt – und das tut sie, und Wagenknecht wird nicht müde, es nachzuweisen –, dann ist das hier und jetzt ein Widerspruch, den die Arbeiter natürlich bemerken. Wenn keine richtige Politik hinzukommt, die ihn überwölbt und sogar auflöst, bleibt er ganz einfach bestehen. Wird die SPD mit ihm fertig? Nein, die macht auch nur Interessenvertretung. Ist „Kümmererpartei“, imaginiert sich als „Betriebsrat der Gesellschaft“. Das Äußerste, was sie erreichen will, sind Sachen wie der Mindestlohn. Aber ist das denn genug? Ist es nicht eher empörend? Ich werde darauf reduziert, ein Arbeiter zu sein. Es ist nicht anders, als wenn eine Frau argumentiert und ich dann sage: „Na ja, Sie als Frau …“
Bei Marx findet man den Satz: „Die Setzung des Individuums als eines Arbeiters, in dieser Nacktheit, ist selbst historisches Produkt.“ Marx hat das Problem erfasst. Menschen, die das Kapital braucht, werden auf den Nutzen heruntergebrochen, den sie für das Kapital haben. Dass sie ihn verkörpern, ist übrigens ärgerlich genug, weil es doch eigentlich nur um ihre Arbeitskraft geht, die eine Spielart von Energie ist und also, wo immer möglich, in Maschinenkraft überführt werden sollte. Die ist billiger zu haben. Solange wir es aber mit menschlichen Körpern zu tun haben, müssen wir dem Menschentier gewisse Zugeständnisse machen. Nein, nicht nur Marx hat das Problem erfasst. Die ganze Arbeiterbewegung wusste es, auch ihre Parteien und darunter die SPD haben es gewusst: dass sie, die Arbeiterbewegung, „das Menschenrecht erkämpft“. Und nicht bloß ein Arbeiterrecht. Nicht bloß Mindestlöhne. So stand es in Die Internationale, ihrem zentralen Kampflied.
Aber halt! Die Internationale? Warum war sie es, die das Menschenrecht erkämpfen sollte? Warum waren es sozialdemokratische Arbeiter, die in Deutschland die Tradition begründeten, zu Silvester Beethovens neunte Symphonie aufzuführen? Da bildeten Arbeiter den Schlusschor und sangen: „Alle Menschen werden Brüder!“ Nicht „alle Deutschen“. Sie führten vor, dass die Bürger in ihrer eigenen Tradition, für die Beethoven stand, eigentlich auch eine Internationale hatten. Das war die Tradition von 1789: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Der Frankfurter Gesellschaftsphilosoph Axel Honneth hat es kürzlich nachgezeichnet: Die Bewusstwerdung der Arbeiter als einer eigenen Klasse, wie sie sich in den Schriften und Projekten der Frühsozialisten spiegelt, hatte damit begonnen, dass ihnen die unerfüllten Versprechen der Französischen Revolution wieder einfielen. Er benennt freilich auch die andere Seite: Das Versprechen zu erfüllen, schien einfach zu heißen, sie, die Arbeiter, nun auch noch in die Brüderlichkeit der Bürger mit aufzunehmen.
Aber waren die Bürger denn brüderlich mit sich selber? Nein, sie konkurrierten. Ihre Brüderlichkeit war ihr Nationalismus. Zum ersten Mal als Klasse meldeten sich die Arbeiter 1831 beim Aufstand der Seidenweber nahe Lyon in Frankreich zu Wort. Ihre erste Forderung war: Raus mit den Fremdarbeitern! Und es war sehr verständlich. Wenn es heute unter Arbeitern eine Fremdenabwehr gibt, ist das keine späte Verseuchung, die nur auf das Konto von Rechtspopulisten geht, sondern gerade so wird immer und überall ihr spontanes Bewusstsein aussehen, wenn keine Politik hinzukommt. Die Arbeiter waren als Rad im Getriebe des Kapitalismus zur Welt gekommen und verhielten sich entsprechend. Sie sahen, wenn Unternehmer etwas gemeinsam taten, dann versuchten sie, die ausländische Konkurrenz möglichst draußen zu halten. Warum sollten sie nicht dasselbe versuchen?
Wiederaufbau des Sozialstaats
Sie blieben aber nicht bei dieser Haltung, sondern erzogen sich dazu, internationalistisch zu denken und zu handeln. „Proletarier aller Länder, vereinigt euch“: Das hieß nicht nur, Solidaritätsadressen in ferne Länder zu schicken, wenn dort mal wieder ein Streik niedergeknüppelt wurde. Es hatte auch Konsequenzen für den eigenen Arbeitsplatz. Wenn in ein und derselben Fabrik Engländer und Iren arbeiteten, sagte ihnen ihr Internationalismus, dass sie zusammengehörten.
Das ist heute alles wie vom Erdboden verschluckt. Aber dann braucht sich auch niemand zu wundern, wenn manche Arbeiter in ihr spontanes Bewusstsein zurückfallen. Wenn etwas verwunderlich ist, dann, dass jemand wie Sahra Wagenknecht sich an die Geschichte der Arbeiterbewegung überhaupt nicht zu erinnern scheint. Diese Politikerin, die der Kommunistischen Plattform in der Linkspartei nahesteht, schreibt kluge Bücher über den Kapitalismus und wird für radikal gehalten, weil man da lesen kann, dass sie ihn überwinden will. Ihre Arbeiterpolitik ist aber vollkommen bürgerlich. Ja, man findet geradezu schulbuchmäßig die beiden politischen Diskurse der Bürger, den rechten und den linken, in ihren Reden zur Flüchtlingskrise wieder. „Ja, aber auch das“ war schon immer die Rede des linken Kompensationsdiskurses: „So viel Markt wie möglich, (aber auch) so viel Staat wie nötig“ ist ein Beispiel von vielen; man gab dem Gegner recht und erlaubte sich noch eine Ergänzung. Die rechten Bürger hielten es umgekehrt genauso, nur dass sie ihrer Bejahung des Gegners ein „... aber nicht so“ hinzufügten. „So nicht!“ ließ Rainer Barzel, CDU, 1972 als Oppositionsführer des Bundestags gegen Willy Brandts Ostpolitik plakatieren.
Und nun hören wir dasselbe von Sahra Wagenknecht: Flüchtlingsintegration ja, aber auch Integration deutscher Arbeiter; Flüchtlingseinreise ja, aber nicht ohne Grenzkontrolle. Soll das ihre Erhabenheit über die bürgerlichen Diskurse zeigen, dass sie links und rechts gleichzeitig spricht? Aber das kann nur schiefgehen: Gerade weil sie beide Diskurse spricht, kommt einem das alles so vertraut vor. Man könnte manchmal glauben, ihre Parteikollegen redeten ja genauso, aber das täuscht. Wenn die Linkspartei davon spricht, der Fremdenangst solle mit dem Wiederaufbau des Sozialstaats für Deutsche begegnet werden, liegt es nicht nahe, bloß eine Kompensationsforderung darin zu sehen. Was sie sagen will, ist vielmehr, dass alle Menschen Brüder und Schwestern sind und entsprechend miteinander umgehen sollten. Sie hat also nicht eine Politik des Gegners – Flüchtlinge hereingelassen zu haben – widerwillig bejaht unter der Bedingung, dass noch eine Gegenleistung erfolgt.
Wagenknecht unterstellt man einen solchen Standpunkt. Sicher zu Unrecht. Aber sie hat es sich selbst zuzuschreiben. Eine neue internationalistische Arbeiterpolitik anzustoßen, wäre ihre Aufgabe. Niemand will zwar zur „führenden Rolle des Proletariats“ zurück. Aber eine Rolle müssen Arbeiter schon haben. Als Menschen, nicht bloß als Arbeiter. Heute haben sie keine. Wie können sie wieder „das Menschenrecht erkämpfen“? Von Wagenknecht erwartet man, dass sie diese Frage, und keine andere, zu beantworten versucht.
Kommentare 129
>>Sie blieben aber nicht bei dieser Haltung, sondern erzogen sich dazu, internationalistisch zu denken und zu handeln. „Proletarier aller Länder, vereinigt euch“<<
Ganz konkret verstand sich die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) als deutsche Sektion der Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA). Nationalismus kam erst mit der Vereinigung mit dem ADAV hinzu (und wurde bis 1914 in der Hierarchiespitze dominant). Darin zeigt sich, dass eine Arbeiterorganisation, die sich statt auf Leitung der Funktionäre von unten auf Leitung der Mitglieder von oben einlässt selber ins Knie schiesst.
Ob Sahra Wagenknecht mit ihrer Suche nach dem Anschluss nach „unten“ immer glücklich formuliert kann natürlich bezweifelt werden, wenn man etwas Besseres weiss.
Ob das überhaupt gelingt ist offen, solange die Antwort „von unten“ ausbleibt. Dass es sie nicht gibt, daran werkeln kapitalistische Medien natürlich unentwegt.
Es ist wirklich schön, hier eine der ganz wenigen Äußerungen über SW zu lesen, in denen sie nicht als Heldin oder Hexe, als "einzige echte" Linke oder als afd-like Populistin angehimmelt oder verteufelt wird.
Diese Politikerin, die der Kommunistischen Plattform in der Linkspartei nahesteht, schreibt kluge Bücher über den Kapitalismus und wird für radikal gehalten, weil man da lesen kann, dass sie ihn überwinden will. Ihre Arbeiterpolitik ist aber vollkommen bürgerlich.
Ihre "klugen Bücher" letztlich auch. Zumindest ihr letztes ist eher ein Ruf nach der ideal-demokratischen (sozialen) Marktwirtschaft, als nach der Abschaffung des Kapitalismus. Sie beklagt die Abweichung des Kapitalismus von sich selbst. Kommunistisch ist das nun nicht so sehr.
Wenn es heute unter Arbeitern eine Fremdenabwehr gibt, ist das keine späte Verseuchung, die nur auf das Konto von Rechtspopulisten geht, sondern gerade so wird immer und überall ihr spontanes Bewusstsein aussehen, wenn keine Politik hinzukommt. Die Arbeiter waren als Rad im Getriebe des Kapitalismus zur Welt gekommen und verhielten sich entsprechend.
Auch dieses Thema ("die Arbeiter") ist hier in dankenswerter Weise fern vom Eribon-Hype und der Diskussion um die übliche Hype-Folge-Literatur besprochen. Dass Bourgeoisie-Fraktionen jetzt wie z.B. auch 1914 auf Nationalismus setzen, ändert nichts am globalen Charakter des Kapitals, dass diese Fraktionen und ihre politische Vertretung Teile der Klasse der Lohnabhängigen mit Hilfe von Sündenbock-Ideologemen zum mitmarschieren animieren können (auch wie 1914) ändert nichts daran, dass objektiv "die Arbeiter kein Vaterland haben".
>>Dass Bourgeoisie-Fraktionen jetzt wie z.B. auch 1914 auf Nationalismus setzen, ändert nichts am globalen Charakter des Kapitals,...<<
Ja. Während Kapital ganz frei immer dort investiert wird, wo die profitabelsten Verwertungsbedingungen vorgefunden werden wird die Arbeiterklasse in nationale Fraktionen gespalten, die im Lohnkrieg gegeneinander gehetzt werden. In der BRD wurde das unübersehbar deutlich mit der Agenda 2010. (Gleichzeitig fand eine innere Spaltung statt: Tarifarbeiter in den grossen Konzernen stehen sich besser als Arbeiter in den tariflosen Zulieferbetrieben und Leiharbeiter.)
Danke für den differenzierenden Beitrag. S. Wagenknecht ist weder Hexe noch Heilige (wobei die Begriffe sich gegenseitig bedingen), sondern eine Politikerin der Linken mit großer Verantwortung, nicht nur ihrer Partei gegenüber. Interessant ist Ihre Feststellung, dass die Theoretikerin kommunistisch, die Praktikerin aber bürgerlich argumentiert. Die Schulzens machen das - auf luftigerer Ebene - umgekehrt und haben offensichtlich Erfolg damit. Die German-Workers-First-Rhetorik Wagenknechts u. Lafontaines bringen nciht der Linken mehr Stimmen, sondern der AfD.
Ich verfolge mit wachsender Spannung den Wahlkampf des französischen Pendants Mélenchon. Der hat 2009 die deutsche Partei Die Linke quasi kopiert. Heuer legt er eine respektable Kampagne hin, im besten Sinne "linkspopulistisch". Ökologisch ("sauver le genre humain"), sozialistisch (Verstaatlichungen großer Banken und Unternehmen, Arbeiterassoziationen), aber immer die Freiheit jedes Einzelnen (auch und gerade der Migranten) betonend. Mélenchon war der einzige Politiker, der am 4. Februar der Aufhebung der Slaverei durch den Nationalkonvent 1794 gedachte. Die Spannung Nation-Internationalität erkennt er, wischt sie allerdings rhetorisch etwas zu schnell weg. Immerhin könnte die Linke von ihm lernen. Das "Von-Ihm" zeigt aber auch das Problem: Mélenchon ist ein Unikat. Und zudem ist die Begriffsgeschichte von Nation/Volk ist Frankreich eine andere. Vielleicht würde es (ein wenig) helfen, wenn die Linke sichtbarer als europäische Linke auftreten würde.
>>Vielleicht würde es (ein wenig) helfen, wenn die Linke sichtbarer als europäische Linke auftreten würde.<<
Es gibt eine Europäische Linke (EL). Ich weiss nicht, wer dort ausser den Partei „die Linke“, der KPÖ und der schweizer Partei der Arbeit alles drin ist.
Der Vorsitzende ist zurzeit übrigens Gregor Gysi. Trotzdem kennt hier wohl fast niemand die EL.
>>...dass eine Arbeiterorganisation, die sich statt auf Leitung der Funktionäre von unten auf Leitung der Mitglieder von oben einlässt selber ins Knie schiesst.<<
Noch mal dazu: In den Arbeiterkooperativen von Mondragon gilt der Grundsatz: "Das höchste Entscheidungsorgan ist die Mitgliederversammlung." Damit können sie sich seit 70 Jahren in einem kapitalistischen Umfeld behaupten, und zwar mit guten Einkommen und guten Arbeitsbedingungen. Hätten sie ihre Entscheidungsmacht an einen Vorstand abgegeben, dann hätten sich längst ein paar Gierlinge die Konten gefüllt und den Laden pleite gehen lassen.
Das nur als Beweis für die Überlegenheit der Demokratie gegenüber der Entscheidungsmacht von oben.
Die geforderte neue Politik ist in Ansätzen schon vorhanden. Mit dF/dFC und leider auch der PDL haben sie wenig zu tun.
Ein Kommentar zu den hier vorgestellten (sozialdemokratischen) Ausführungen über die Geschichte der europäischen Arbeiterbewegung erspare ich mir...
Nix sagen und großkotzig tun. Da sage ich nur ein Wort: Scheiße.
Nun, zumindest hält sich mein Bedürfnis Sie zu beleidigen in Grenzen und das nicht, weil ich Sie so furchteinflößend, bewundernswert oder sympathisch finde.
Einen schönen Tag noch.
Ausgezeichneter Artikel!
In der Regel - d.h., wenn es gut geht - folgt auf eine Identifikation mit sich selbst eine, mit der Umgebung: Familie, Freunde, Wahlverwandte, klassen-, religiöse-, regionale und nationale Gemeinschaften, in individuell unterschiedlicher Mischung.
Dass alle Menschen Brüder werden geht über die Ausdehnung der sozio- und ethnozentrischen Bande. Wo eine Identifikation wegbricht, weil man meint, es interessiere nicht mehr, dass man ein Arbeiter ist, tritt der Effekt ein, dass man sich abgelehnt fühlt und ist die Gefahr groß, dass man sich andere Identitäten sucht, die basaler sind, z.B. nationale.
Schimpft man nun aber auch darauf und bezeichnet die schon einmal Abgelehnten, die, was soziale Anerkennung angeht, sozusagen selbst auf der Flucht oder Suche sind, als Rassisten, wird der Ballon der Identifikation gewiss nicht weiter aufgeblasen denn nun fühlt man sich als missverstandenes Opfer. Erst vergessen, dann beschuldigt und nun soll man sich auch noch warmherzig für andere engagieren.
Damit andere den Ballon der Identifikation aufblasen und in sich und ihrer sozialen Umgebung Platz für andere schaffen, darf man ihnen nicht das, was identitätsstiftend ist wegtreten und dann gleich noch ein ums andere Mal. Man muss es erlauben und wertschätzen, dass sie Arbeiter sind, Deutsche sind, Franken sind dann geht es weiter von fundamentaleren Aspekten zu differenzierteren, den Wahlverwandtschaften.
Irgendwann braucht man gar keine Krücke mehr, sondern es reicht vielleicht, dass man ein Mensch ist. Eben das und die damit verbundene Würde aller Menschen zu sehen, ist aber keine grundlegende und primäre Erkenntnis, sondern eine tiefe und späte Einsicht. Diese zu fördern, da muss es hingehen.
Das wäre mein m.E. parallel laufender Versuch, der den Blick vom Äußeren ein wenig mehr auf das Innere richten möchte und ich will fragen, ob Sie Sich darin wieder finden und dem anschließen können, Herr Jäger.
Kann ich, ja. Die spontane oder ursprünglich angenommene Identät muß man anerkennen, bei anderen und sich selbst, und dann geht es weiter von fundamentaleren Aspekten zu differenzierteren, den Wahlverwandtschaften, wie Sie schreiben; und ja, die Würde aller Menschen zu sehen, ist aber keine grundlegende und primäre Erkenntnis, sondern eine tiefe und späte Einsicht. Diese zu fördern, da muss es hingehen. Die Formel Ernst Blochs wäre hinzuzufügen: „Ich bin. Aber ich habe mich nicht.“ Will sagen, der Einsicht muß die Veränderung der realen Verhältnisse folgen. Die Würde des Menschen ist ein Postulat, das der Realisierung bedarf. Was heißt heute Internationalisierung der Arbeitenden? Früher, in der Zeit der Internationalen, gelang das nicht zuletzt über ein gemeinsames Handlungsziel, die Herbeiführung einer neuen Gesellschaft, in der die Arbeiterklasse ihr Klassendasein real aufheben wollte; das Ziel war also, Verhältnisse herbeizuführen, in denen der oder die Einzelne „Mensch“ sein kann, statt sich über eine kollektive Sonderfunktion definieren zu müssen. Wenn jemand sich heute identifiziert über die Sonderfunktion „Arbeiter/in“, „Beschäftigte/r“ o. dgl., ist das ja nicht nur eine Krücke – das ist es auch -, sondern viel mehr noch eine Schranke, die in der gegenwärtigen Gesellschaft dann aber gerade festgehalten und betont werden muß, weil Interessen daran hängen. Und doch muß sie auch transzendiert werden können, mindestens zu einer neuen „Internationale“ der Arbeitenden hin. Was heißt das heute konkret? Was heißt es speziell hinsichtlich der Arbeitenden anderer Länder, die nun hierzulande als Flüchtlinge dazukommen? Was ist zu tun? Das ist meine Frage.
„... dass beide etwas richtig Gutes wollen. Sie wollen solidarisch sein mit der arbeitenden Bevölkerung.“
„Die Gewerkschaften ersparen ihnen Schlimmeres. Was nun aber, wenn „ausländische“ Konkurrenten dazukommen?“
„Wenn mich meine Interessenvertretung zu einer Solidarität auffordert, die meinem Interesse hier und jetzt in die Quere kommt – {...} –, dann ist das hier und jetzt ein Widerspruch, den die Arbeiter natürlich bemerken.“
„Wird die SPD mit ihm fertig? Nein, die macht auch nur Interessenvertretung. Ist ‘Kümmererpartei’, imaginiert sich als ‘Betriebsrat der Gesellschaft’“.
„Marx hat das Problem erfasst. Menschen, die das Kapital braucht, werden auf den Nutzen heruntergebrochen ...“
„Ihre Brüderlichkeit war ihr Nationalismus.“
* * * - )
- - -
• Wagenknecht und Lafontaine sind Sozialdemokraten.
• Die SPD hat spätestens 1914 mit der Zustimmung zur Finanzierung des (imperialistischen) Rüstungsprogramms die sozialdemokratische Emanzipationsbewegung der deutschen und internationalen Arbeiterklasse verlassen.
• Die Linke ist keine marxistische Partei und auch keine Arbeiterpartei. Sie ist allenfalls eine sozialdemokratische Reformpartei. Sie beabsichtigt in ihrer Mehrheit nicht den Kapitalismus zu überwinden und aufzuheben.
Wagenknechts und Lafontaines Problem ist es wohl auch, dass es keine Arbeiterpartei zu ihrer [der AK] sozialen Emanzipation und damit zur Überwindung der bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland gibt.
Die SPD und die DGB-Gewerkschaften sind letztlich nichts anderes, als von den Mitgliedern mitfinanzierte (halbstaatliche) Sozialeinrichtungen, – für die sozialen Verwaltungs-, Schlichtungs- und Regelungsaufgaben, im Verwertungsinteresse der Privatunternehmen, Großunternehmen, DAX-Konzerne und Aktiengesellschaften, der BDA-Wirtschafts- und BDI-Monopolverbände, - analog des Staates.
Mit ihrer Konzentration auf Parlaments- und Regierungsaufgaben [Posten, Beamten- und Pensionsansprüchen] bewegt sich letztlich Die Linke im klassischen bürgerlichen Fahrwasser der Sozialdemokratie. Dabei noch schneller als ihre Vorgängerin, die bürgerliche SPD.
Allerdings, Michael Jäger, wenn sie keine führende Rolle für das [heutige modifiziert differenzierte] Proletariat haben wollen, was wollen Sie dann auch nichts anderes haben, als die Fortsetzung einer verschönerten sozialdemokratischen Fassadenmalerei für den bundesdeutschen Kapitalismus?
Was ich Ihren richtigen Ausführungen noch hinzugefügt hatte, läßt sich kürzer sagen, mit den letzten Worten des obigen Artikels: Jedermann und so so auch die Arbeiter brauchen die Einsicht in ihr Menschsein, ja, aber sie brauchen dann auch eine Rolle als Menschen, und das eine läßt sich vom andern nicht trennen. Eine Rolle ist ein Handlungsschema. Und es geht hier um zielgerichtete Handlungen. - Ich sage das auch zu mir selbst. Mein Artikel wirft ja eine Frage auf, die ich selbst im Moment noch nicht zureichend beantworten kann.
"Jedermann und so so auch die Arbeiter brauchen die Einsicht in ihr Menschsein, ja, aber sie brauchen dann auch eine Rolle als Menschen, und das eine läßt sich vom andern nicht trennen."
Ja, das glaube ich auch. Es scheint so eine Art Kipppunkt zu geben - in diesem Fall die Erkenntnis des Menschseins, die das Menschsein der anderen impliziert -, an dem, wenn man ihn erreicht hat, das Ausfüllen einer Rolle keine Reduzierung allein auf die Rolle mehr ist. Man ist dann zuvorderst und immer Mensch, aber zugleich eben Frau, Arbeiterin, Mutter ...
Wie man dahinkommt, dass möglichst viele diese Einsicht gewinnen? Man muss es glaube ich aushalten, dass jeder sich eine Zeit lang durch oder über diese Rollen definiert, in der (begründbaren) Ahnung, dass der eine oder die andere dann zum Erkennen des Menschseins durchbricht.
Man kann seine Rolle dann weiterhin ausfüllen, ist sich aber immer auch bewusst, dass man in jedem Moment, der einem selbst definiert und verantwortet als der richtige erscheint, aus der Rolle heraustreten kann, um seiner höheren Verantwortung als Mensch gerecht zu werden.
Man ist immer total ein würdevoller Mensch, seine Rolle in der Welt kann man aber immer nur als Teil spielen. Aber zugegeben, das Verhätnis von Rollenspiel und reifem Ich ist vielschichtig.
Die Überwindung von Ego- und Ethno-/Soziozentrismen nur einzuüben und richtig zu spielen, erscheint mir aus verschiedenen Gründen zu wenig. Das löst zwar einen gewissen Gruppendruck aus, aber wenn der Wind dreht, ist alles schnell vorbei und vergessen. Im Rahmen einer echten Einsicht ist man vor Regressionen zwar nicht vollständig, aber doch besser geschützt.
Der wesentliche Punkt scheint für mich darin zu liegen, die Identifikationen mit Soziozentrismen zwar zu kritisieren, in dem Sinne, dass da noch mehr zu holen ist, aber nicht aggressiv zu verurteilen. Die Buddhisten sagen, dass es dazu der Weisheit und geschickter Mittel bedarf und das stimmt wohl.
Wo wenigstens die Tendenz zu sehen sei, dass gerade Flüchtlinge eine große Konkurrenz im Arbeitsmarkt darstellen, soll mir mal jemand zeigen! In Bayern ist jetzt die Order an die Kommunen ergangen, junge Afghanen nicht mehr in Ausbildung zu übernehmen.
Wagenknecht und Lafontaine treten in diesen Fragen leider nur Wege aus, die die Rechte schon längst vorgetrampelt hat.
"Trotzdem kennt hier wohl fast niemand die EL."
Weil das auch nur eine geschicktere Übung ist, sich die "Basis" vom Leibe zu halten und dennoch mit dem Dünnbierverkauf auf der linken Seite sein "living" zu machen. Th. Händel (MdEP) kommt von hier und auch Harald Weinberg (MdB)., beide PdL in der ich hier Mitglied bin. Dagegen mutet das Politbüro der SED wie ein Glasnostverein an.
Mit "eine Rolle als Mensch" hatte ich sagen wollen eine Rolle, die die Rolle des Menschen ist, statt nur die Rolle einer Sonderfunktion. Besonders ist die Rolle des Menschen nur darin, daß sie je und je von einem Individuum gespielt wird. Dieses Individuum verhält sich dann als Mensch, aber er tut das natürlich als das Individuum, das er ist. Noch einmal, es geht mir nicht nur um das "Erkennen des Menschseins" als "echte Einsicht", sondern um die Lebens- und Handlungsrealität von Menschen, die sich als Menschen verhalten. Jene Arbeiter, die im 19. und 20. Jahrhundert die Internationale sangen, wußten, daß es ihnen noch gar nicht möglich war, sich als Menschen zu verhalten - "die Rolle des Menschen zu spielen" -, sondern daß sie es wollten, aufgrund ihrer Einsicht, die aber die Einsicht in einem Mangel war, und daher dafür kämpften: "die Internationale erkämpft das Menschenrecht".
ist nicht jede arbeiter-politik,
die sich um bessere bedingungen
für lohn/gehalts-empfänger
im kapitalistischen system be-kümmert:
eine bürgerliche politik ?
solange mehr-wert-produktion und kapital-akkumulation
tat-sächlich in privaten händen und köpfen verbleibt:
ist das ringen um die höhe der -->revenue(einkommen für den lebens-unterhalt)
immer eine bürgerlich-kapitalistische veranstaltung,
die am system nix ändert,
aber für die betroffenen gleich-wohl bedeutsam ist.
es gibt wohl auch einen kipp-punkt,
an dem man sich nicht mehr anthropozentrisch
als mensch versteht,
sondern als geschöpf,
der hunde-blume und qualle gleich.
was ist damit gewonnen:
gegen die herrschenden konzepte
der verfügung über gesellschaftliche arbeits-kraft?
zum beitrag:
1) wer sich provozieren läßt und sich aufregt,
kann sich auch bekümmern um seinen anteil an der erregung.
2)die einschränkung der märkte(die konkurrenz-bedingungen
aller waren,auch der ware arbeits-kraft)
ist kein abgelegtes thema der geschichte.
3)nationale, europäische, zwischen-staatliche organisation des waren-verkehrs ist nicht obsolet,
kein windmühlen-kampf gegen den sturm des global-kapitals.
4) die erfolgs-aussichten von ab-schottungen wachsen mit
der klugheit von berechnungen.
nicht jeder schlag auf den schädel
endet die kopf-schmerzen
und führt zu wiksamen kopf-geburten(wiki: -->athene,familie).
die belastbarkeit von konzeptionen der internationalen art
ist nationalen träumen deutlich überlegen.
was aber liegt frieden-stiftend vorn,
gemessen an historischen real-crashs?
statt: wiksam wirk-sam, der wirk-lichkeit zugehörig,
spür-bar wirkend, die einbildungs-kraft übersteigend.
"Die German-Workers-First-Rhetorik Wagenknechts u. Lafontaines ..." - kann man die irgendwo nachlesen?
>>…sondern daß sie es wollten, aufgrund ihrer Einsicht, die aber die Einsicht in einem Mangel war, und daher dafür kämpften: "die Internationale erkämpft das Menschenrecht".<<
Falls ich das richtig verstanden habe:
Der Mangel existiert weiterhin: Die Notwendigkeit, mangels Besitz vom Verkaufe der Arbeitskraft zu leben, erzeugt Scheinidentitäten. Wenn Leute von sich sagen: „Ich bin Mechatroniker, ich bin Bäckereiverkäuferin“ usw. dann ist das kein Menschsein, sondern eine Funktion, die ein Mensch ausüben kann. Und unter kapitalistischen Bedingungen zwar zum Zwecke der Privatprofiterzeugung. (Gebrauchswert des Arbeitsergebnisses ist lediglich erlaubte Nebenwirkung) Ehrlicher sich selbst gegenüber wäre es, zu sagen: „Ich bin als Arbeiter/in und als Konsument/in Profitgeber/in“. Damit ist auch die Klassenidentität wieder hergestellt: Profitgeber sind Alle, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben. Und es wird klarer, dass Profitgeber kein erstrebenswertes Lebensziel ist, sondern eine Funktion, die nur notgedrungen ausgeübt wird, mangels eines Bessern. Somit kann das Streben nach besseren Verhältnissen wieder als richtig erkannt werden.
Um von der theoretischen Ebene herunter zu kommen, verweise ich noch mal auf Mondragon: Dort ist ein wesentlicher Schritt getan worden.
Bevor ich wieder vom Hölzchen aufs Stöckchen komme höre ich hier mal auf :-)
Ja, der Mangel existiert weiterhin. Und Mondragon ist sicher ein wesentlicher Schritt. Ich kannte das nicht. "Die Genossenschaften zeichnen sich durch Solidarität unter den Arbeitnehmern aus", lese ich dazu bei Wikipedia; wissen Sie etwas darüber, ob dort emigrierende Arbeitnehmer, etwa aus Afrika, oder auch nichtbaskische Spanier mittun und wie sie aufgenommen werden?
Wenn Leute von sich sagen: „Ich bin Mechatroniker, ich bin Bäckereiverkäuferin“ usw. dann ist das kein Menschsein, sondern eine Funktion, die ein Mensch ausüben kann.
Unter Bedingungen, wo Arbeitskraft als Ware gegen Lohn gehandelt und eingekauft wird zum Zwecke der Mehrwerterzeugung und privaten -abschöpfung, stimmt das. Ansonsten aber ist eine bestimmte Produktionskompetenz ein wichtiger Teil des Menschseins, weil eine konkrete, spezifische Qualität der Arbeitskraft, die wiederum ein Teil, ein Aspekt der Lebenskraft ist.
Gebrauchswert des Arbeitsergebnisses ist lediglich erlaubte Nebenwirkung
Das wahre Leben (von uns Menschen), für das der Kapitalismus auch nur eine (prekäre) gesellschaftliche Form ist, kommt nicht ohne Gebrauchswert aus. Der kapitalistische Warenverkäufer "weiß" sehr genau, dass es ohne einen erlebbaren Gebrauchswert keinen Warentausch geben kann. Insofern ist Gw nicht erlaubt, sondern anerkannte Bedingung. Allerdings werden auch allerhand illusionäre und imaginäre Gebrauchswerte als Anreiz verkauft, die nach dem Kaufakt im Gebrauch nicht wirklich eingelöst werden. Die warenästhetischen Strategien des Kapitals gehen inzwischen sehr weit über das klassische Warenstyling und die das Blaue vom Himmel versprechende Werbung hinaus. Es werden im Prinzip nicht mehr so sehr die Produkte als Waren hergerichtet, das auch immer noch, sondern die Gebrauchserwartungen manipuliert, die Gebrauchskompetenzen passend zugerichtet. Das bedeutet in dieser vorgeblich hedonistischen Kultur u.a. eine Verarmung der sinnlich-körperlichen Erlebnislust und -fähigkeit. Womit wir wieder beim Thema Menschsein vs. Produzent/Konsument sein wären... :-)
"Niemand will zwar zur „führenden Rolle des Proletariats“ zurück. Aber eine Rolle müssen Arbeiter schon haben. Als Menschen, nicht bloß als Arbeiter. Heute haben sie keine. Wie können sie wieder „das Menschenrecht erkämpfen“?"
Es gibt sie einfach nicht mehr, die klassischen Arbeiter. Selbst wenn man die Arbeiter und Angestellten in der Automobilindustrie noch als solche betrachtet, sind sie auch Kapitaleigner und haben Rentenansprüche über Kapitalmarktfonds.
"Arbeiter" im neuen Verhältnis sind alle abhängig Beschäftigten, wozu sogar die Managerkaste zählt. Die Diversifizierung in den Berufsgruppen (wozu ich auch die freien Berufe und kleinen Familienunternehmen mit persönlicher Haftung zähle), den verschiedensten Vertragsverhältnissen, Befugnissen und Bezahlung, lässt keine Engführung auf den klassischen Arbeiter mehr zu: diese Identität als Gruppe gibt es allenfalls noch in den einzelnen Berufssparten und dort auch nur, wenn sie real in Streiks erfahren wird.
Und wenn man sich trotzdem weiter auf das produzierende Gewerbe beschränken will, dann lässt sich aus der Arbeitsmarktstatistik sehen (Tabelle 13.2.1 Erwerbstätige im Inland nach Wirtschaftsabschnitten), was von „Arbeitern“ übrig geblieben ist; der Abbau wird sich weiter wie in der Landwirtschaft entwickeln.
Eine „Rolle“ braucht niemand, wohl aber eine Gesellschaft, in der sich die eigene Identität leben und erleben lässt, dass ist keine mir von Außen vorgegebene Größe! Das texte ich als ehemaliger „Arbeiter“ im mittleren Management.
Es gilt also eine übergreifende Identität zu finden, die sich nicht vom Arbeitsverhältnis her bestimmt! Letzteres ist eine abgeleitete Größe, die alle Menschen in mehr oder weniger gleichen Verhältnissen betreffen muss.
Aufgrund der aktuellen gesellschaftlichen (gesetzlichen) Machtverhältnisse ist das allerdings nur in Anfängen realisiert und die Aufgabe der Linkspartei wäre nun (im Verbund mit den Gewerkschaften und allen kritischen gesellschaftlichen Bewegungen), das Bewusstsein aller abhängig Beschäftigten und ihre Verbindung mit den Flüchtlingen zu sensibilisieren. Das ist wesentlich schwieriger, als es rechts vorfindet, da wir eine Medienlandschaft haben, die im Zweifel nicht links eingestellt ist. Und bevor der Schritt hin (Öffnung) zu den Flüchtlingen möglich ist, bedarf es erst einer vorlaufenden Solidarisierung mit den eigenen Prekären.
"Noch einmal, es geht mir nicht nur um das "Erkennen des Menschseins" als "echte Einsicht", sondern um die Lebens- und Handlungsrealität von Menschen, die sich als Menschen verhalten."
Kann man das denn trennen? Die Erkenntnis des Fehlenden kann man ja nur im Erkennen, mindestens aber in der Vision, eines zukünftigen Ganzen haben. Sie hängt als Leitstern über einem, auch wenn alles noch nicht umgesetzt oder mit Leben gefüllt ist.
Aber Ihre Differenzierung habe ich verstanden, danke, für die Erläuterungen.
So interessant diese ganze Diskussion für „Theoretiker“ auch sein mag – für die augenblicklich mögliche politische Veränderung in Deutschland bei der Bundestagswahl im Sommer bringt das ….außer Frust…. überhaupt nichts.
Wenn sich nach der Wahl nicht wenigstens das Mantra einer angeblich „alternativlosen“ Konstellation in Deutschland - nämlich die Gro-Ko von 2 mit ihren konservativen „Kompromiss-Beschlüssen“ kaum noch in den „Gravamina“ unterschiedlichen letztlich „konservativen“ Parteien – „wahl“-rechnerisch auflöst, werden die verehrten Diskutanten danach wieder mit ihrer Diskussion in die Tiefen der Sozialistischen Vergangenheit hinabsteigen dürfen – bis zur nächsten Wahl im Jahr 2021.
„Erwartungen an Sahra“
Vielleicht ist meine Aversion gegen dieses Theoretisieren meinem jahrzehntelangen Engagement für einen humanistischen Sozialismus geschuldet – unter Einschluss einer schmerzlichen Verarbeitung der Erfahrung des Scheiterns jener Versuche das mit Gewalt zu verändern, was in eben dieser Gewalteskalation dann wiederum inhuman werden musste. Es geht um einen dritten Weg zwischen Gewalt und Anpassung.
Ein Wort zu Sahra Wagenknecht – nicht zu ihrer „Ehrenrettung“ (das braucht sie nicht!) – aber zu ihrer humanistischen Kompetenz. Sie hat immerhin die Konsequenzen gezogen aus dem Scheitern des Versuchs im anderen Deutschland die klassenlose Gesellschaft per Verordnung zu installieren. Und sie kam in ihrem vorletzten Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ zu der für mich überzeugenden Erkenntnis, dass es durchaus kein Fortschritt war, die positiven Ansätze des Ordo-Liberalismus zu verlassen, und stattdessen eine Einladung an den inhumanen Manchester-Liberalismus in Gestalt des 20. Jahrhunderts auszusprechen, nun auch in Deutschland „endgültig“ das Szepter zu übernehmen (Thacher: Es gibt keine Alternativ - TINA).
Sahra Wagenknechts – für mich sehr realistische - Sicht der nahen Zukunft heißt letztlich: Die Chance ergreifen, zunächst Schlimmeres zu verhüten und im günstigsten Fall „Wege aus der Gefahr“ zu suchen und erste Schritte zu gehen, um aus dem „Teufelskreis“ des inhumanen nackten Kapitalismus herauszukommen.
Ich höre die großen Strategen rufen: Minimalist. Das ist für mich keine Schande, wenn einem Fortschreiten danach ein Tor geöffnet würde und auch offen bliebe!
"Ich höre die großen Strategen rufen: Minimalist. Das ist für mich keine Schande, wenn einem Fortschreiten danach ein Tor geöffnet würde und auch offen bliebe!"
Da sehe ich ein Problem. Momentan, man sieht es an dem Effekt, den Schulz mit deinem vagen Programm der sozialen Gerechtigkeit, reduziert sich wieder etwas das Interesse der Wähler an einem grundsätzlichen Richtungswechsel. Man könnte meinen, selbst kleine Schritte hin zu mehr Gerechtigkeit verfestigen das Problem. Als ginge es ausschließlich darum, dass jedermann ausreichend von der Ungerechtigkeit profitiert. Das Tor schließt sich also durch den Parlamentarismus wieder.
OK - Wer zu spät kommt bei einer Diskussion, den bestraft unsere schnelllebige Welt. Es ist ja auch wahr....unter den Vorzeichen unter denen diese Diakussion geführt wurde, haben die Teilnehmer eigentlich auch alles gesagt....sozusagen ihre "vorgefassten" Erkenntnisse abgeladen. "Auf zur nächsten Baustelle.
Ich sehe gerade auf dieser Webseite folgendes Foto, das ich einfach mal reinbringe.
/autoren/der-freitag/wohin-mit-dem-geld/@@images/1bb55bef-25ab-43d4-9ba8-a5bc4c7b80f1.jpeg
Ich weiss nicht, ob es im Kommentar erscheint? Der Untertitel heißt " Wohin mit dem vielen Geld". Ist doch cool. Ich liebe solche Zufälle sehr.
Ja,ja....schnellebiege Welt....das Geld ist ja auch ein scheues Reh.
Der Artikel war weg, Aber die URL habe ich gefunden:
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/wohin-mit-dem-geld - Ein Freitag - Beitrag vom 15. 2. ....leider bisher nur mit einem Kommentar...vom Verfasser. Ob es daran liegt, dass die meisten hier nicht zu den Kapitalisten gehören, und jedenfalls diese Sorge nicht haben. Ich geb zu: etwa ironisch - aber doch nicht schon "Fake-news" - oder?
Für Sie, vielleicht gefällt es Ihnen. Ich mag Ihre Kommentare. Und danke für die Info in dem anderen Blog. Ist eine schöne Sache.
"Viel wissen ist nicht klug sein", sagte mal einer, der Spaß am Denken hatte.
>>…wissen Sie etwas darüber, ob dort emigrierende Arbeitnehmer, etwa aus Afrika, oder auch nichtbaskische Spanier mittun und wie sie aufgenommen werden?<<
Mitglied einer Mondragaon-Genossenschaft wird man nach 6 Monaten Probezeit durch Einzahlung von 12 000 €. Irgendwo habe ich mal gelesen, man könne etwas länger angestellt dort arbeiten, um den Anteil als Vollmitglied zu erarbeiten. In Euskadi sollte man wohl baskisch sprechen, das dürfte eine Hürde für Nichtbasken sein. Allerdings gibt es auch MCC-Genossenschaften in Spanien und im Ausland.
Über zugekaufte Betriebe gab es immer wieder mal Diskussionen, weil die MCC diese nicht bald in Genossenschaften umwandelte. Einige Genossenschaften sind aus die MCC ausgetreten, weil sie, im Gegensatz zu den Einzelgenossenschaften, immer wieder kapitalistische Tendenzen zeigt und, wohl aufgrund der Grösse, oft intransparent handelt. Allerdings ist die MCC nicht starr, sondern wohl ziemlich dynamisch aufgrund der Impulse aus den Genossenschaften. Der Präsident ist ja nicht der Boss.
>>Unter Bedingungen, wo Arbeitskraft als Ware gegen Lohn gehandelt und eingekauft wird zum Zwecke der Mehrwerterzeugung und privaten -abschöpfung, stimmt das.<<
Ich ging ja von der Arbeiterklasse im Kapitalismus aus. Wir können es auch anders machen, das ist schon klar.
>>Allerdings werden auch allerhand illusionäre und imaginäre Gebrauchswerte als Anreiz verkauft, die nach dem Kaufakt im Gebrauch nicht wirklich eingelöst werden.<<
Ja. Das zeigt, dass im Kapitalismus nicht der Gebrauchswert Ziel des Arbeitens ist, sondern der Profit. Marketing ist nicht darauf ausgerichtet, Nachfrage möglichst optimal zu bedienen, sondern möglichst viele Kunden zu keilen, auch wenn die gar nichts nachgefragt haben.
Ich bin überzeugt, dass wir mit einer gebrauchswertorientierten Arbeit und Verteilung derselben mit wesentlich geringerer Lebensarbeitszeit alle nachgefragten Gebrauchswerte erstellen können.
>>Ich höre die großen Strategen rufen: Minimalist. Das ist für mich keine Schande, wenn einem Fortschreiten danach ein Tor geöffnet würde und auch offen bliebe!<<
Der Vorwurf ist mir auch schon gemacht worden, wenn ich über zurzeit offene „Baustellen“ rede. Wenn ich über weitergehende Ziele rede, dann bin ich eine weltferne Theoretikerin. Diem kleinen Schritte in die richtige Richtung und die weitergehenden Ziele sind abre nur die zwei Seiten derselben Medaille. Der Versuch, sie zu zersägen, weil man nur eine Seite haben möchte, führt regelmässig zum Scheitern des gesellschaftlichen Fortschritts: Die kleinen Schritte ohne Ziel führen allzuoft auf Irrwege. Das Fernziel ohne Weg führt zum Stillstand.
"Ich bin überzeugt, dass wir mit einer gebrauchswertorientierten Arbeit und Verteilung derselben mit wesentlich geringerer Lebensarbeitszeit alle nachgefragten Gebrauchswerte erstellen können."
Wir kämen mit sehr viel weniger Arbeitszeit aus. Dazu müsste aber eben auf Profit verzichtet werden. Qualitatives Wachstum zum Beispiel wird entweder zu mehr Arbeitslosigkeit führen, oder dem Unternehmer durch steigende Lohnnebenkosten auf der Tasche liegen. Schon aus ökologischen Gründen ist es aber notwendig.
Da seit Mittwoch nun CETA unter Dach und Fach ist, ist vernünftiges Wirtschaften aber wieder etwas unwahrscheinlicher geworden. Deutschland sollte aus dieser EU austreten.
>>Deutschland sollte aus dieser EU austreten.<<
Das alleine nützt allerdings nichts. Es müssen im Lande selber andere Wege beschritten werden. Davon sind wir noch weit entfernt.
Andererseits: Wenn wir hier anders wirtschaften könnte das auch der EU zugute kommen. Die BRD hat ja schon ein bisschen mehr Einfluss als Andorra.
Wir können uns ja nicht einmal erfolgreich gegen Glyphosat wehren. Das dient letztlich auch nur zum Einsparen von Arbeitskraft. Nötig wäre es nicht. Es setzt sich mindere Qualität durch. Ein gutes Beispiel dafür ist Microsoft.
>>Selbst wenn man die Arbeiter und Angestellten in der Automobilindustrie noch als solche betrachtet, sind sie auch Kapitaleigner und haben Rentenansprüche über Kapitalmarktfonds.<<
Es gibt auch welche, die aufgrund guten Einkommens mal ein paar Aktienfondsanteile gekauft haben.
Die Grenze zwischen Kapitalist und Proletarier verläuft dort, wo der/die Eine vom Kapitalertrag leben kann und der/die Andere auf den Verkauf der Arbeitskraft angewiesen ist.
Danke!
"Die kleinen Schritte ohne Ziel führen allzuoft auf Irrwege. Das Fernziel ohne Weg führt zum Stillstand."
*****!
Auf den Verkauf der (Ware) Arbeitskraft angewiesen zu sein ist allerdings immer weniger "objektive" Gegebenheit, sondern erweist sich als normative Setzung, deren einst stichhaltiges (Persistential-) Paradigma von der objektiven Notwendigkeit, wenn es vielen immer besser gehen sollte, wissenschaftlicher, geistig-kultureller und ethischer Fortschritt herrschen sollte usw., als Begründung zunehmend entfällt, ja Arbeit als Naturge- u. -verbrauch (und sei es fast aussschließlich die eigene, je individuell-menschliche, z. B. bei reiner Geistesarbeit) dem Wohlstand u. Fortschritt eher entgegensteht (immense Krankheitskosten unter anderem).
Mein Fernziel ist daher die Aufhebung der Norm, man müsse sich sich unter allen Umständen sein living "verdienen", entsprechende Transfers seien letztlich - auch ohne Notwendigkeit- widerrufbare Gnadenakte usw.
Das schließt i. d. R. temporäre gesellschaftliche (arbeits-) Ansprüche an bestimmte Personen(-Gruppen) nicht aus, deren Tranfers dann auch mal auf "bedingt" gesetzt werden könn(t)en.
Im großen und ganzen würde es uns allen um das Dreifache besser gehen, wenn diejenigen endlich zu Hause bleiben würden, die gar nicht "produktiv" sein WOLLEN, aber per Ellbogen, Kungelei und Korruption oder eben per Kündigungsschutz der eigentlichen Arbeit dann nur im Wege stehen.
Ein Problem ist die bisherige Ordnungsfunktion der Arbeit:
Wie eine "normative Gravitation" richtet(e) sie Menschen und Welt ziemlich einheitlich aus, machte dadurch menschl. Verhalten und z. T. gesellsch. Entwicklung berechenbar.
Und viele Ansprüche, die aus dem familiären und Wohn-Umfeld kommen, konnten eben durch das "muß ja arbeiten" gebrochen werden, was vielen sehr zu pass kam: sozusagen ein 2-Welten-Privileg für die Arbeitenden. An diese Stelle muß wohl ein "man darf/kann aber auch in anderen als familiär-wohnfeldlichen Welten tätig und dort verpflichtet sein" treten.
>„Nein, das ist die Wahrheit“, erwidert Wagenknecht. „Natürlich waren die unkontrolliert offenen Grenzen damals ein Anreiz.“ Weiter sagt sie nichts. Der Stern-Journalist beharrt: „Nein, das istinfam.“ Nun scheint sie das Thema zu wechseln<
Was soll sie denn auch dazu sagen?
"Nö das ist nicht infam"
"doch!"
"nein!"
"doch!"
"nein!"
"doch!"
"nein!"
..... so ungefähr?
Sachliche Antworten kann man erwarten, wenn man Argumente vorträgt. Wenn man seine Meinung nur als moralisierende Monstranz vor sich hertragen kann, hat es sich mit der Debatte erübrigt.
Was die Internationale angeht bewegen Sie sich auf sehr dünnem Eis. Wenn bei Marx vom internationalen Proletariat die Rede ist, dann sind damit die Arbeiter einer Hand voll Industriestaaten gemeint. Der Rest der Welt und damit die große Masser der Weltbevölkerung war zwischen den imperialen Mächten aufgeteilt und hat für die weiteren Überlegungen keine allzu große Rolle gespielt.
Man erkläre mir einmal, warum der deutsche Lohnarbeiter keine Interessenvertreter haben darf. Man nimmt selbstverständlich an, beim deutschen Lohnarbeiter müsse es sich um ein selbstloses Wesen handeln.
Und wenn er nicht heißa und hurra schreit wenn sich seine Konkurrenzsituation verschärft, dann ist der deutsche Lohnarbeiter ein ganz ein schlimmer. So spricht der bürgerliche Revoluzzer, von seinem Schreibtisch aus, weil er die Geschichte der Arbeiterklasse studiert hat.
;-)
Ich verstehe nicht, was Sie wollen. Die zitierten Äußerungen Wagenknecht habe ich doch gar nicht inhaltlich oder gar „moralisch“ kritisiert. Moral ist eine gute Sache, kommt in meinem Artikel aber gar nicht vor! Was versuchen Sie da für ein Totschlginstrument zu konstruieren? Was soll sie denn auch dazu sagen? Auf diese Ihre Frage habe ich im Artikel geantwortet: „Sie hat ganz viele Gesichtspunkte und kann nicht alles auf einmal sagen. Sie ist vielleicht eher eine gute Autorin von Büchern als eine gute Politikerin, die ihre Sache, mag sie noch so komplex sein, immer und jederzeit auf den Punkt bringt.“ Im weiteren Verlauf des Artikel erkläre ich, daß sie über diesen „Punkt“ eben offenbar noch gar nicht verfügt.
Was die Internationale angeht bewegen Sie sich auf sehr dünnem Eis. Schwerlich! Natürlich hat Marx vom Proletariat gesprochen, wenn er vom internationalen Proletariat gesprochen hat. Was soll das für ein Argument von Ihrer Seite sein? Und zwar hat er von dem Proletaiat gesprochen, das es gab, nicht von einem, das es nicht gab. Und daß der zwischen imperialen Mächten aufgeteilte Rest der Welt in Marx‘ Überlegungen keine Rolle gespielt habe, stimmt ganz einfach nicht, das haben Sie sich mal eben so ausgedacht. Aber selbst wenn es stimmen würde, würde das ja nichts daran ändern, daß die Überlegung gut und vorbildlich ist, es solle eine Internationale der Arbeiter geben, statt daß sie sich von Nation zu Nation bekämpfen. Oder? Sind Sie anderer Meinung? Diese Frage ist nicht „moralisch“ und müßte also von Ihnen beantwortet werden können. Und wenn man den Marxschen Gedanken auf heute überträgt, betrifft er ja doch die ganze Welt. Oder?
Man erkläre mir einmal, warum der deutsche Lohnarbeiter keine Interessenvertreter haben darf. Wer behauptet das denn? Ich habe es nicht behauptet. Im Gegenteil! Selbstverständlich „darf“ sie und muß sie sogar, und diese Interessenvertreter fordern sie dankenswerterweise zur Solidarität mit den Flüchtlingen auf, wie ich in Erinnerung gerufen habe.
Und wenn er nicht heißa und hurra schreit wenn sich seine Konkurrenzsituation verschärft, dann ist der deutsche Lohnarbeiter ein ganz ein schlimmer. Auch hier habe ich exakt das Gegenteil geschrieben: Ihre erste Forderung war: „Raus mit den Fremdarbeitern! Und es war sehr verständlich. [...] Sie sahen, wenn Unternehmer etwas gemeinsam taten, dann versuchten sie, die ausländische Konkurrenz möglichst draußen zu halten. Warum sollten sie nicht dasselbe versuchen?“ „Schlimm“ ist nicht der deutsche Lohnarbeiter, sondern daß die vorhandene Arbeiterpolitik – der SPD, aber leider auch der von Wagenknecht - ihn auf seine ökonomistische Existenz reduziert. Und um ganz deutlich zu sein, sag ich’s noch einmal: Wenn ich sage, daß er darauf reduziert wird, heißt das natürlich nicht, daß man diesen Teil seiner Existenz, der dazugehört und eine Interessenpolitik erfordert, nun etwa leugnen und ihm wegnehmen soll. Auch hier haben Sie nur versucht, ein Totschlagargument zu konstruieren.
Immerhin: Was man wohl nicht von allen, die hier kommentiert haben, sagen kann: Bei Ihnen ist mein Text offenbar angekommen. Sie haben sich nicht die Ohren verstopft.
"Ich bin überzeugt, dass wir mit einer gebrauchswertorientierten Arbeit und Verteilung derselben mit wesentlich geringerer Lebensarbeitszeit alle nachgefragten Gebrauchswerte erstellen können."
Deutschland beweist es, denn es produziert ständig mehr, als es selbst verbraucht (verbrauchen kann). Und das würde auch noch zutreffen, falls die Armut in Deutschland beseitigt würde.
Nicht sie moralisieren, sondern der Stern-Frager mit seiner Aussage "das ist infam". Was Wagenknecht darauf sachlich antworten solle war ja die Ausgangsfrage.
Internationale Solidarität ist zu begrüßen. So wie zB Vollbeschäftigung zu begrüßen ist oder Spaghettieis für alle. Die eigentliche Frage ist: Woher soll sie kommen, die Solidarität?
Einfach so, durch Beschluss? Dann sind wir zurück bei Hegels Zeitgeist, der durch den Raum wabert. Der Marxist weiß, dass das Bewusstsein aus den Verhältnissen erwächst. Und die sind, wie sie ja richtig beschrieben haben, derart, dass internationale Solidarität zumindest in der Form, wie sie Wageknechts Kritiker gerne an die Wand malen, den ökonomischen Interessen der Lohnabhängigen in Deutschland zuwiederlaufen. Übrigens insbesondere auch den Interessen der Nachfahren der Gastarbeiter, die die ersten sind, die am Markt in Folge einer Masseneinwanderung substituiert werden. So eine Solidarität wird sich folglich nicht einfach so einstellen. Da muss etwas mehr geboten werden, um das Proletariat Deutschlands zu begeistern. Genau das sprechen Lafontaine und Wagenknecht an wenn sie sinngemäß sagen, dass die beschworene "Solidarität" nicht immer und ausschließlich nur auf dem Rücken deutscher Geringverdiener stattfinden darf.
>Wer behauptet das denn? Ich habe es nicht behauptet. Im Gegenteil! Selbstverständlich „darf“ sie und muß sie sogar, und diese Interessenvertreter fordern sie dankenswerterweise zur Solidarität mit den Flüchtlingen auf, wie ich in Erinnerung gerufen habe.<
Wie sie selbst bereits erkannt hatten, läuft im Status Quo Solidarität mit Geflüchteten den Interessen der einheimischen Lohnabhängigen eher zuwider als konform. Sie bejahen also eine Interessensvertretung, die die Interessen ihrer Klientel zurückstellt.
Vieleicht bin ich zu müde um ihren Gedanken richtig zu würdigen, aber worauf sie hinauswollen mit der Reduzierung auf die ökonomische Existenz leuchtet mir nicht ein.
Und eins noch: Sie dürfen das nicht so sehr als Kritik an Ihrer Person lesen. Mir geht die Polemik gegen Wagenknecht und andere nur noch unglaublich auf den Sack. Und sie macht müde, einfach nur müde. Das heißt nicht, dass Sie sich an dieser Polemik beteiligten, wohl aber dass hier Schlüsselwörter fallen, die den Abkotzreflex betätigen.
Den Begriff "Interessenvertreter" halte ich für problematisch. Wichtig ist die Interessenvereinigung, die mit der Gründung von Gewerkschaften und der SDAP erfolgte. Ein Zusammenschluss um gemeinsame Interessen selbst zu wahrzunehmen. Wobei die Gewerkschaften im Grunde Verkaufsbündnisse der Arbeitskraft innerhalb der kapitalistischen Ökonomie waren, die SDAP darüberhinaus das Ziel einer nachkapitalistischen Gesellschaft verfolgte, sehr verkürzt gesagt das Ziel "Würde für Alle".
Vertretern ist zu misstrauen, falls nicht, wären ja bürgerliche Parlamente optimale Vertreter ihrer Wähler ;-)
Ja das ist besser formuliert.
Internationale Solidarität ist zu begrüßen. So wie zB Vollbeschäftigung zu begrüßen ist oder Spaghettieis für alle. Die eigentliche Frage ist: Woher soll sie kommen, die Solidarität? Nein, so lächerlich ist die Sache keineswegs. Daß es nicht lächerlich ist, sehen Sie es denn nicht auf dem ersten Blick daran, daß es diese Solidarität schon einmal gegeben hat?!! Es gibt eben nicht nur diese beiden Möglichkeiten, von denen Sie unterstellen, daß es die einzigen sind: entweder Einfach so, durch Beschluss oder aus den Verhältnissen „erwachsend“ wie Getreide. Nein, wir befinden uns nicht auf dem Gebiet der Botanik, sondern der Gesellschaft und in dieser gibt es die Möglichkeit, Politik zu machen. Womit wir wieder bei meinem Artikel sind, denn von nichts anderem habe ich gesprochen! Hätte S. Wagenknecht nicht beispielsweise Möglichkeiten, gemeinsame Demos von deutschen und in Deutschland befindlichen nichtdeutschen Arbeitern gegen die Sozialpolitik der Regierung anzuregen? Schon bei der ersten derartigen Demo, die der DGB bestimmt gern ausrichten würde, würden etliche deutsche Arbeiter mitmachen, bei der zweiten dann schon mehr, usw.
So eine Solidarität wird sich folglich nicht einfach so einstellen. [...] Genau das sprechen Lafontaine und Wagenknecht an wenn sie sinngemäß sagen, dass die beschworene "Solidarität" nicht immer und ausschließlich nur auf dem Rücken deutscher Geringverdiener stattfinden darf. Da machen Sie Lafontaine und Wagenknecht schlechter als sie sind, denn das würde ja bedeuten, daß sie sich direkt gegen die Solidarisierung der Arbeiter aussprächen! Denn wer nur sagt, weshalb Solidarität nicht geht, und weiter nichts, der sagt, daß Solidarität nicht geht, und der ist, da er wissen muß, daß die Behauptung falsch ist , ein Solidaritätsgegner.
Sie bejahen also eine Interessensvertretung, die die Interessen ihrer Klientel zurückstellt. Nein, ich bejahe, daß es außer der Interessenvertretung auch noch eine politische Vertretung gibt.
Mit der Reduzierung auf die ökonomische Existenz will ich darauf hinaus, daß jedermann außer seiner ökonomischen Existenz auch noch eine politische hat oder haben kann, d.h. eine Existenz, die die gesellschaftlichen Angelegenheiten gleichberechtigt mitzugestalten beansprucht und diesen Anspruch auch in die Tat umsetzt.
'„Sie haben Merkels Satz ‚Wir schaffen das‘ als ‚leichtfertig‘ bezeichnet und der Kanzlerin vorgeworfen, viele Flüchtlinge erst ins Land gelockt zu haben. Das ist populistisch“, wird sie angesprochen. „Nein, das ist die Wahrheit“, erwidert Wagenknecht. „Natürlich waren die unkontrolliert offenen Grenzen damals ein Anreiz.“ Weiter sagt sie nichts. Der Stern-Journalist beharrt: „Nein, das istinfam.“ '
Ich kann das Problem, das Wagenknechts Aussage verursacht, nicht sehen. Was Wagenknecht hier feststellt, ist doch nichts als die Wahrheit. Eine völlig neutrale Feststellung, weder rechts noch links, weder nationalistisch noch internationalistisch. Es ist einfach eine Beschreibung der Realität. Dass gerade der Stern, man könnte Jörges persönlich vermuten, auf diese Weise reagiert, scheint mir ein Indiz dafür zu sein, dass man dort genau weiß, was für ein Chaos er damit bei den Linken wieder anzetteln kann.
Natürlich hat die Grenzöffnung dazu geführt, dass viele Flüchtlinge ins Land kamen. Deshalb wurden sie geöffnet. Und leichtfertig war es vielleicht auch, denn es war ja bekannt, dass die zuständigen Behörden, wie alles andere, auf Sparkurs laufen, dass der Wohnungsbau versäumt wurde, dass keine Infrastruktur auf diese Maßnahme vorbereitet war.
Ich glaube, diese Diskussion, wie auch die um LaFontaine, dreht sich eher um die individuelle Interpretation der getätigten Aussagen. Aber es sollte doch jeder in der Lage sein, zwischen Fakten und deren Interpretation zu unterscheiden.
>>Natürlich hat die Grenzöffnung dazu geführt, dass viele Flüchtlinge ins Land kamen.<<
Völlig unvorbereitet, aber zeitlich begrenzt: Die Staaten auf der Balkanroute brauchten etwas Zeit um ihre Grenzen abzudichten. Mehr war da nicht.*
Der Vorwurf der Unvorbereitetheit trifft aber schon zu: Allerspätestens, als die Regierung des kaputtgesparten Griechenland erklärte, „wir schaffen es nicht und winken alle Neuankömmlinge nach Norden durch“, dann hätte man sich hier darauf vorbereiten können, dass sie kommen. Einfach abzuwarten und, wenn das Problem akut ist, nonchalant zu sagen: „Wir schaffen das“ (im Gegensatz zu den faulen Griechen): Das war schon fahrlässig.
Man konnte auch früher wissen dass die Situation eintreten würde.
Das Abkommen mit der Türkei halte ich immer noch für Geste gegenüber dem lieben NATO-Partner; „Seht, auch wenn es mit dem EU-Beitritt nichts wird: wir reden immer noch mit euch…“
*Als Mazedonien dicht gemacht hatte sassen 10 000 in Idomeni fest. Das hat dann schon wieder kein Schwein interessiert. Ausser den faulen Griechen, die neue Auffanglager bereitstellten.
Wagenknecht und Lafontaine sprechen auch darüber, wie und von wem die Fluchten verursacht werden. Und dass es inhuman ist zu behaupten, man könne an Fluchtursachen lustig hedonistisch profitieren und dann einfach alle "aufnehmen".
Das wollen ihre "Kritiker" eben nicht hören...
Das Thema wird von den Medien unverhältnismäßig hochgepusht. Als wären wir von einer unglaublichen Katastrophe getroffen worden. Damit tragen sie einen großen Teil der Schuld an der fremdenfeindlichen Stimmung.
Es gibt durch das Aufnehmen von Flüchtenden keine relevante Konkurrenzverschärfung auf dem Arbeitsmarkt, und die Wohnungskonkurrenz ist zunächst einmal durch die willkürlich festgelegten Mieten- und Flächenobergrenzen durch die Jobcenter verursacht. Hier bei uns sind im Durchschnitt 2 Wohnungen verfügbar, die innerhalb der gestatteten Miete anzumieten sind. Jedoch gibt es haufenweise Wohnungen mit, teilweise nur gering, höherer Miete.
Wenn man schon Begriffe wie 'Flüchtlingsstrom' hört...
Ob an dem Medienrummel nur die Quoten die Schuld tragen, oder ob es da nicht eher um Interessen geht, kann man diskutieren.
Ich kann das Problem, das Wagenknechts Aussage verursacht, nicht sehen. Das Problem ist, daß Wagenknechts Aussagen nicht hinreichen, auch wenn sie einzeln genommen wahr sind. Stellen Sie sich vor, Sie werden gefragt, warum Sie Ihren Vater heute wieder geschlagen haben, nur weil er seine Krawatte nicht richtig gebunden hat. Sie antworten: "Er hat seine Krawatte richtig gebunden." Weiter nichts. Ja, dann haben Sie wahrscheinlich wahr gesprochen. Aber Ihren Vater haben Sie nicht verteidigt.
>>Das Thema wird von den Medien unverhältnismäßig hochgepusht.<<
Na ja, die haben Verschiedenes in der Schublade, das sie je nach Bedarf rausholen:
Im Sommer 2016 wurde der alte „Fachkräftemangel“-Gaul geritten, dann die Willkommenskultur-Welle, und als genug da waren, die Flüchtlingsflutwelle.
Die Lohnkonkurrenz ist von Kapitalisten schon erwünscht. Zurzeit werden immer noch Asylsuchende zu Arbeitseinwanderern umgeschult. Die Lohnkonkurrenzeffekt wird in der nächsten Exportrezession voll durchschlagen. Aber das ist nicht die Schuld der Geflüchteten, das muss man „A“FD-Affinen immer wieder unter die Nase reiben…
Naja, meinen Vater habe ich nie geschlagen und kann es auch nicht mehr tun, weil er nicht mehr lebt.
Aber ja, es ist eben ein Problem der Interpretation. An Wagenknechts Aussage kann man allerlei Begründungen anfügen, und das ist wohl das, was ihr jetzt als Populismus ausgelegt wird.
Ich stelle mir eben die Frage, ob es sinnvoll ist, darüber nun solche Diskussionen zu führen. Ich kenne keine Partei, die sich solcher Techniken nicht bedienen würde. Damit zerfleischt man sich selbst, während man sich beim Stern amüsiert die Hände reibt.
Wenn Merkel sagt, wir schaffen das, dann formuliert sie auch nicht aus, wie sie dieses wir definiert. Denn von einem wir kann in unserer Gesellschaft keine Rede sein, im Durchschnitt trifft es aber zu. Das treibt beispielsweise der AfD Wähler zu, denn manche Menschen sind der Ansicht, dass ihre Lage dabei unerkannt bleibt.Dasselbe trifft zu, wenn sie sagt, uns gehts gut, und sich dabei auf ein Durchschnittsgehalt bezieht.
Wenn v. d. Leyen sagt, man muss von einer Position der Stärke aus argumentieren, dann schließt dieses man bestimmte Personen aus, die das anders sehen.
Wenn man so an die Sache heran geht, ist nahezu jeder Satz von Politikern als populustisch zu bezeichnen.
Die Frage ist eben, ob man sich auf eine solche Diskussion einlassen muss, besonders vor einer Wahl.
>>Stellen Sie sich vor, Sie werden gefragt, warum Sie Ihren Vater heute wieder geschlagen haben, nur weil er seine Krawatte nicht richtig gebunden hat. Sie antworten: "Er hat seine Krawatte richtig gebunden."<<
Das ist sicher ein Problem bei Interviews: Man könnte eine ganze Zeitung oder 2 Stunden Sendezeit füllen und ist dann mit Fragen konfrontiert, die schon wieder mehr Erklärungszeit erfordern als verfügbar ist…
Jetzt verstehe ich auch besser, warum es leichter ist, Bücher zu schreiben. War mir nicht so klar, denn von Betriebsversammlungen und Demos bin ich eher gewöhnt, minimalistisch zu formulieren…
Ein weiteres Problem, um an die Lanz-Petition zu erinnern, wollen Moderatoren eben genau solche 'populistischen' Antworten hören und fordern sie teilweise unverschämt ein.
Was waren Lanz Worte? Euro, ja oder nein. Euro, ja oder nein. Wagenknecht kam gar nicht zu Wort, weil Lanz in Zusammenarbeit mit Jörges eben nur ein ja oder ein nein hören wollten, um nachher sagen zu können, es handele sich um Populismus.
Wenn man so an die Sache heran geht, ist nahezu jeder Satz von Politikern als populustisch zu bezeichnen. Da haben Sie recht! Aber ich schließe mich der Meute, die Wagenknecht als populistisch verunglimpft, ja gar nicht an. Was ich versuche, ist einen Mangel in ihrem Ansatz aufzuzeigen und eine Verbesserung vorzuschlagen, im Interesse ihrer Adressaten wie ihrer selbst.
Die Lohnkonkurrenzeffekt wird in der nächsten Exportrezession voll durchschlagen.
Das könnte jedenfalls für den US-Markt ja bald der Fall sein. Wir müssen ja aber ohnehin vom Exportüberschuss runter.
Gab es die internationale Solidarität wirklich oder nur die Lippenbekenntnisse dazu? Ich meine der schöne und wünschenswerte Ansatz hat sich im Vorfeld des ersten Weltkriegs als wenig mehr als schöne Worte entpuppt. Keine der großen sozialistischen Parteien hat sich konsequent genug gegen den Krieg gestegestemmt. Es kam in der Folge zwar zur Abspaltung der kommunistischen Parteien, aber damit hatte sich die Einheit der Arbeiterbewegung endgültig erledigt. Das ist traurig, aber Realität.
Ich bin kein Solidaritätsgegner. Ich kenne Menschen die sagen: Ja, für eine Welt ohne globale Ungleichheit würde ich auf einen signifikanten Teil meines bisherigen Lebensstandart verzichten. Ich finde das sehr respektabel. Aber was ich nicht gut finde ist wenn so getan wird als müsse so eine Haltung für die Lohnabhängigen Deutschlands verpflichtend sein. Jede Gruppe hat selbstverständlich ihre Interessensvereinigung und niemand stört sich dran. Stiftungen, Parteien, Lobbyorganisationen ... Aber wenn der deutsche Proll sich selbst vertritt wird das regelrecht kriminalisiert. Das kann es nicht sein. Solidarität und selbstloses Engagement ist toll, keine Frage. Aber für die eigenen Interessen einzutreten gehört zu den grundlegenden Spielregeln unseres Wirtschaftssystems. Kann man ändern, dann aber für alle, nicht bloß für den Arbeiter.
Ich denke aber, dass eine gewisse Unschärfe in der Kommunikation einerseits notwendig ist, um bestimmte Wähler anzusprechen, andererseits aber auch eine ausformulierte Variante. Nur würde letztere wahrscheinlich so weit führen, dass ein zweiseitiger Artikel sich mit der Beantwortung einer Frage beschäftigt. Dann allerdings würde die PdL wohl ein akademischer Debattierclub ohne Basis bleiben.
Ich glaube auch nicht, dass AfD-Wähler sich sehr mit der Geschichte der Arbeiterbewegung beschäftigen, denn dann wählten sie wohl nicht die AfD. Allerdings würde ich mir auch etwas mehr Hintergrund, wenn auch kurz und knapp, wünschen. An der Kommunikation kann sich sicher noch vieles verbessern.
Ich verstehe nicht, was Sie sagen wollen. Eine "ausformulierte Variante" als Vorlage für einen "akademischen Debattierclub"? Wer redet denn von sowas? Wo nehmen Sie das her? Es geht um eine lebbare Arbeiterpolitik, in der sich die Arbeiter nicht gegenseitig vernichten, sondern gemeinsam stärker sind für einen gemeinsamen besseren Weg.
"Gab es die internationale Solidarität wirklich oder nur die Lippenbekenntnisse dazu?"
Ich denke, wer glaubt, Arbeiter wären nicht in Teilen nationalistisch, der hat selten einen Arbeiter gesehen, geschweige denn mit einem gesprochen. Sie fallen auch nicht plötzlich dort hinein, er ist immer da gewesen. Nur hatte man es im ausgebauten Sozialstaat (in Deutschland) nicht nötig, sich derart aggressiv abzuschotten. Auch deshalb empfinde ich das Ganze als rein akademische Diskussion, die frei von Realität ist.
Solidarität und selbstloses Engagement ist toll, keine Frage. Aber für die eigenen Interessen einzutreten gehört zu den grundlegenden Spielregeln unseres Wirtschaftssystems. Worauf Sie hinauswollen, verstehe ich noch weit weniger. In der Scheiße steckenbleiben?
Ich habe jetzt schon gefühlt fünfmal auf die Notwendigkeit, die eigenen Interessen zu vertreten, hingewiesen. Sie wollen es nicht hören. Wahrscheinlich weil Ihnen dann die Argumente ausgehen würden und Sie zugeben müßten, daß Sie ganz einfach den Krieg der Arbeiter gegeneinander befürworten, wie im Ersten Weltkrieg, auf den Sie denn ja auch hinweisen.
Diese Politik sehe ich in Umverteilung und Absicherung. Denn das ist es doch, worum es dem Arbeiter geht, um seinen Wohlstand. Aber das ist ja auch bei Wagenknecht zu finden. Was wäre die Alternative dazu?
Sie fallen auch nicht plötzlich dort hinein, er ist immer da gewesen. Genau das steht wörtlich in meinem Artikel. Und deshalb ist die Debatte hier überhaupt nicht akademisch. Sie sind akademisch, weil Sie sich eine Debatte ausdenken, die hier gar nicht geführt wird.
Daß man ihm nicht nur Segnungen von oben herab versucht zukommen zu lassen, sondern er selbst handelt - und zwar internationalistisch handelt - und man ihn dabei unterstützt.
"Die Setzung des Individuums als eines Arbeiters, in dieser Nacktheit, ist selbst historisches Produkt.“ Marx hat das Problem erfasst. Menschen, die das Kapital braucht, werden auf den Nutzen heruntergebrochen,"
Hier finde ich im Programm der PdL zwei Punkte, die dieses Problem angehen. Zunächst bricht selbst die SPD den Menschen (der arbeitet) auf seinen Nutzen herunter. Den Menschen, der nicht arbeitet, bricht sie auf die Kosten herunter, die er verursacht. Nur die PdL ist gegen das Instrument, mit dem das schamlos betrieben wird, die Hartz-Gesetze.
Gegen die verschärfte Lohnkonkurrenz ist ja die Umverteilung von Arbeit vorgesehen.
Meinten Sie solche Rahmenbedingungen mit der geforderten Unterstützung? Ohne die hat es der Arbeiter natürlich schwer, während dem Hartzer nahezu jedes Handeln unmöglich ist.
>>An der Kommunikation kann sich sicher noch vieles verbessern.<<
Wer über Massenmedien kommuniziert und keine „mainstream“-Aussagen macht, tut sich damit schwer.
Man kann natürlich, nur mal als Beispiel, ganz offen sagen: „Jeder Krieg, den die Terrororganisation Kapitalistischer Staat anfacht, erhöht die Zahl der Kriegsflüchtlinge. Und jeder Knebelvertrag, den die Terrororganisation Kapitalistischer Staat armen Ländern aufdrängt beschleunigt dort die Verarmung und erhöht die Zahl der Armutsflüchtlinge.“ So deutlich geht es aber nur einmal, denn wer es so sagt wird sich niemals wieder in einem kapitalistischen Medium äussern dürfen. Gewisse Eiertänze sind wohl unvermeidbar, und soweit ich Interviews mit Sahra Wagenknecht kenne, tappt sie wenigstens nicht jede Falle.
Am besten wäre es, die PdL hätte eine eigene Zeitung.* Dann könnten für Alle die es detaillierter wissen wollen, ausführliche Artikel geschrieben werden. Auch zur Geschichte der Arbeiterbewegung, zum Beispiel.
Die DKP hat ihre eigene werbefreie Zeitung, das müsste die Linke doch auch können?
http://www.unsere-zeit.de/
*die kann man abonnieren und, nachdem man sie gelesen hat weitergeben oder in der Ubahn ligegenlassen, sodass auch Andere mal einen Blick hineinwerfen.
>>Gegen die verschärfte Lohnkonkurrenz ist ja die Umverteilung von Arbeit vorgesehen.<<
Dafür könnte ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden, wenn die Linke mal 50+x % hätte. Davon sind wir weit entfernt.
>>Sie fallen auch nicht plötzlich dort hinein, er ist immer da gewesen. Nur hatte man es im ausgebauten Sozialstaat (in Deutschland) nicht nötig, sich derart aggressiv abzuschotten.<<
Wenn ich an die Stimmung der 70er Jahre zurückdenke: Ein Deutschnationalismus war fast gar nicht vorhanden, das stimmt. Vielen Kolleg/innen war aber der „deal“ gewärtig, bewusst oder unterbewusst: Sozialstaat gegen strammen Antikommunismus. Der Antikommunismus der BRD war auch eine Art Nationalismus, nur eben ein „West“-Nationalismus.
Zum Internationalismus: In den 80er Jahren schrieb die Gewerkschaftszeitung zwar durchaus mal über die Solidaritätsappelle der (verbotenen) malaysischen Elektronikarbeitergewerkschaft. Ein Solidaritätsstreik bei Siemens war aber völlig undenkbar, weil verboten. Ich weiss nur ein einziges Ereignis, bei dem der Legalismus durchbrochen wurde: Den Stahlarbeiterstreik 1969. Die Kollegen waren bereit, gegen ein gerichtliches Verbot für ihr Interesse weiterzustreiken.
Immerhin waren beim beim GdL-Streik 2007 Lokführer in Österreich und Tschechien trotz attraktiver Angebote der DB nicht bereit, sich als Streikbrecher anwerben zu lassen. Ganz tot ist der Internationalismus also nicht…
Noch ein Gedanke zum Internationalismus:
Eine vereinigte Arbeiterklasse kann die kapitalische Macht überwinden und ihre neue Gesellschaftsform errichten (wobei aus bisherigen Versuchen gelernt wird, weil man nicht jeden Fehler wiederholen muss).
Ich denke aber, dass Impulse dazu nicht von Europa ausgehen. Eher vielleicht von Südamerika.
"Jeder Krieg, den die Terrororganisation Kapitalistischer Staat anfacht, erhöht die Zahl der Kriegsflüchtlinge. Und jeder Knebelvertrag, den die Terrororganisation Kapitalistischer Staat armen Ländern aufdrängt beschleunigt dort die Verarmung und erhöht die Zahl der Armutsflüchtlinge."
Stimmt, das sagt man nur einmal. Und das stieße wohl auch bei der breiten Masse auf Unverständnis. Man ist doch der Ansicht, dass es eigentlich ganz gut läuft und die betroffenen Staaten ihr Elend selbst verschulden, durch ihren Terror, durch ihre Faulheit, durch ihre Religion... Besonders Kritische sehen ein paar reformierbare Auswüchse, die nicht der Rede wert sind. Den Abbau seltener Erden durch Kinder zum Beispiel wird auch als Wohlstandsfaktor relativiert und eigentlich interessiert es auch niemanden, weil es nicht in den Medien vorkommt. Der 'Flüchtlingsstrom' dann schon häufiger. Da braucht es bei den Medien ein Umsteuern.
"soweit ich Interviews mit Sahra Wagenknecht kenne, tappt sie wenigstens nicht jede Falle"
Ich finde sie eigentlich immer sehr souverän, und das passt vielen nicht in den Kram.
"Am besten wäre es, die PdL hätte eine eigene Zeitung."
Naja, es gibt ja die 'Klar', oder die clara.. Die kann man ja ausbauen oder daran anknüpfen.
"Dafür könnte ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden, wenn die Linke mal 50+x % hätte. Davon sind wir weit entfernt."
Das wäre auch eigentlich Sache der Gewerkschaften gewesen, aber da haben sie versagt. Die DGB-Gewerkschaften sind eh nicht das Gelbe vom Ei.
>>Das wäre auch eigentlich Sache der Gewerkschaften gewesen, aber da haben sie versagt.<<
Na ja, in den 80er Jahren haben IG Metall und IG Druck und Papier die 35-Stunden-Woche erstreikt. Die IGCPK immerhin die 37,5-Stundenwoche, ohne Streik. Einige andere sind bei 39 Stunden stehen geblieben. Aber mit dem Tarifausstieg vieler Zulieferfirmen wurde wieder die 40 Stundenwoche eingeführt.
Was das Versagen angeht: Eine Gewerkschaft kann nie besser sein als ihre Mitglieder. Das zeigten ja die GDLer, die sich nicht einschüchtern liessen...
Hier, in den Gewerkschaften, wäre der richtige Ort, Solidarität sowohl national als auch international einzufordern. Mit der Rolle der Gewerkschaften bei der Agenda haben sie sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Vielleicht sollten Gewerkschaften sich am Ziel der Vollbeschäftigung orientieren, bei ihren Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung, und eben über ihre Mitgliederschaft hinaus.
In manchen Unternehmen, ich war auch in einem, arbeitet man mit allen Mitteln, um die Bildung von Betriebsräten und gewerkschaftlicher Organisation zu unterdrücken. Das geht vom Bespitzeln, über Sterbezimmer bis zum Rauswurf.
"Es gilt also eine übergreifende Identität zu finden, die sich nicht vom Arbeitsverhältnis her bestimmt!"
Ja, eine Identität, die dann an differenziert ist und klar macht, was denn eigentlich Individualität und Identität ausmacht - dass ich ein Mensch bin, ist ja nichts, was mich hinreichend differenziert, auch nicht, dass ich essen und trinken muss - und da haben dann soziale Rolle und individuelle Vorlieben ihren Platz.
Ob das nun jeder, der die Internationale sinkt fest im Blick halt, halte ich für eher zweifelhaft - muss aber vermutlich auch nicht jeder, nicht mal eine Überzahl - ob nun der brave Arbeiter von Hause aus kein Rassist, Sexist, etc pp ist, da wäre ich auch eher skeptisch, natürlich geht das Ziel in Ordnung hier einen Bewusstseinsraum von internationaler Solidarität zu schaffen.
>>Vielleicht sollten Gewerkschaften sich am Ziel der Vollbeschäftigung orientieren, bei ihren Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung, und eben über ihre Mitgliederschaft hinaus.<<
Dass Arbeitszeitverkürzung hilft, die Arbeitslosigkeit zu verringern, das war damals ein Argument von IG Druck und ID Metall.
Kaum, dafür ist eine Interessenvereinigung nicht geeignet. Vor allem, weil sie mit Mitgliedsbeiträgen finanziert wird und nicht mit Spenden. Ein Gewerkschaft kann keine caritativen Züge entwicklen.
Die grosse politische Linie kann mit einer Partei der Arbeiterklasse vertreten werden. Vielleicht kann die Linke das ja werden...
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Bin jetzt für 4 Tage weg, also bitte nicht wundern, wenn keine Antwort mehr kommt...
Ich entschuldige mich bei Ihnen für diesen Kommentar. Wolte eh nur zuspitzen, aber das war zu viel des Guten.
Es ist Ihr Verdienst, daß die Debatte in die richtige Spur gekommen ist.
Für meine Antwort 00:20 entschuldige ich mich bei Ihnen. Wollte eh nur zuspitzen, aber das war zu viel des Guten.
Es ist Ihr Verdienst, daß die Debatte in die richtige Spur gekommen ist.
GELSE sagt: Eine vereinigte Arbeiterklasse kann die kapitalische Macht überwinden und ihre neue Gesellschaftsform errichten ... Eine Gewerkschaft kann nie besser sein als ihre Mitglieder. {...}
GONZO sagt: Das wäre auch eigentlich Sache der Gewerkschaften gewesen, aber da haben sie versagt. Die DGB-Gewerkschaften sind eh nicht das Gelbe vom Ei. {...}
Arbeiterklasse (?)
Was sagte sinngemäß in den 1970er Jahren mein älterer Tischler-Arbeitskollege: Ich bin kein Arbeiter. Ich bin (Tischler) Handwerker. Mein Kollege wurde im Kaiserreich geboren und machte in der Weimarer Republik in Berlin seine Lehre im [Schreiner-] Tischler-Handwerk. Im zweiten Weltkrieg gehörte er als LKW-Fahrer zu den rückwärtigen Versorgungstruppen. Nach dem Krieg arbeitete er als versierter Tischler vor allem im handwerklichen Fensterbau für die Instandhaltung der Dienstgebäude der Deutschen Reichsbahn [- bis zu seiner Rente in den 1970er Jahren].
Was will ich damit sagen? Von seiner (objektiven) sozialen und beruflichen Stellung in der Gesellschaft her, gehörte er natürlich zur Arbeiterklasse. Aber auf Grund seiner (subjektiven) Bewusstseinslage, sah er sich vor allem als gelernter Handwerker und distanzierte sich von den ungelernten Arbeitern [ein "Arbeiter" war für ihn ohne handwerkliche Berufsausbildung]. Entscheidend bleibt eben die Bewusstseinslage, das subjektive Klassenbewusstsein.
Dieses Klassenbewusstsein, das Selbstbekenntnis zur Arbeiterklasse, wird in der heutigen (modifizierten) Klassengesellschaft nicht mehr vermittelt. Nicht von den bürgerlichen rechtssozialdemokratischen Gewerkschaften , - den Sozialarbeitern der Bourgeoisie und der Administration des Kapitals, und auch nicht von allen bürgerlichen Parteien vermittelt. Dabei gibt es heute etwas anderes als bürgerliche Parteien nicht mehr in Deutschland. Die KPD wurde 1956 verboten und in Folge auch ideologisch nachhaltig liquidiert.
Nur aus der objektiven Stellung [sozioökonomischen Klassen-Zugehörigkeit] in der heutigen kapitalistischen Gesellschaft ergibt sich nicht das Klassenbewusstsein. Dagegen arbeiten alle bürgerlichen Erziehungs- und (Ver-)Bildungseinrichtungen, einschließlich Hochschulen und Universitäten, staatliche und private Medien.
Es bedarf also der persönlichen Suche nach (bewusst von der Administration verschütteten) Bildungsangeboten und der Wiederaneignung von (bürgerlicher) Aufklärung und deren progressiven [marxistischen] Weiterentwicklung. Jürgen Kuczynski nannte es Weltaneignung.
Die hier zitierten Aussagen Sahra Wagenknechts sind sicher nicht unmißverständlich*, aber ich sehe sie weniger kritisch. Dennoch möchte ich Deinen Argumenten nicht nur nachdrücklich zustimmen, sondern sie ein wenig auseinanderlegen und wie ich hoffe zum Ausweg aus dem Dilemma der Linken weisen.
Es ist überaus wichtig, daran festzuhalten, daß menschliche Solidarität für Linke und Marxisten unteilbar ist. Dh sie ist ein weltweit zu konstituierendes Menschenrecht, die linke Revolution der Gesellschaft muß die Klassenstrukturen bisheriger Gesellschaften, insbesondere die der kapitalistischen, überwinden, sie ist nicht im Interesse einer Klasse, sondern im menschlichen Allgemeininteresse durchzuführen. Desweiteren werden im Marxismus die Menschen in den entwickelten Gesellschaften zurecht als kollektiv agierende Produzenten ihrer eigenen Lebensverhältnisse angesehen mit der aus dem Begriff der (für die Subsistenzerhaltung) notwendigen Arbeit pervertierend abgeleiteten Kategorie der (auf dem Markt als Ware konkurrierenden) Lohnarbeit , deren Verständnis für die Einsicht in das Herrschaftssystem und seine Veränderbarkeit unerläßlich ist. Diese zwei Punkte sind auch bei Dir zentral.
An dieser Stelle muß man sich des Unterschieds von Früh- und Spätkapitalismus bewußt werden, erst letzterer bildet die ultimativ stabilisierte Gesellschaftsformation, auf die die kapitalistische Produktionsweise hinauslaufen mußte. Denn in ihr ist der Klassencharakter der Gesellschaft, der zum Aufstand führen müßte, optimal verborgen hinter einer Ideologie, die die kapitalistische Lebensweise als vollkommen natürlich und zweckmäßig, sogar als alternativlos erscheinen läßt. Anstelle der ursprünglichen Klassenspaltung von der Masse der Besitzlosen (die nichts als ihre Arbeitskraft haben und auf dem Markt feilbieten müssen) und der viel kleineren Gruppe der Besitzenden (die die Privateigentümer der Produktionsmittel sind), die eine eindeutige Zuordnung zu den Klassen (Kategorien) Lohnarbeit und Kapital erlaubt, ist eine differentiell differenzierte Individualgesellschaft (die stratifizierte Mittelstandsgesellschaft) entstanden, in der die Individuiertheit mehr Schein als Sein, aber auch nicht nur Schein ist. Ich sehe einmal von den vielen äußerlichen Unterscheidungsmerkmalen, Statusindikatoren usw ab und betrachte nur den harten ökonomischen Kern der sozialen Bestimmtheit, dazu entwerfe ich hier ein radikal vereinfachtes Modell**, das Lesern mit Marxkenntnissen nichts Neues bietet und überlesen werden kann, das ich darum und um den Kommentar lesbar zu halten, in eine Fußnote verbannt habe.
Hier stoßen wir nun auf den Kern des Problems der Überzeugungsarbeit der Linken für eine bessere Gesellschaft. Menschen kommen nicht als egoistische Antipathen zur Welt. Aber der dissoziierende Spätkapitalismus macht sie zu solchen Charaktermasken. Oder vielmehr, die meisten setzen solcher gesellschaftlichen Prägung keinen Widerstand entgegen. Aber nicht alle. Und in der Spätphase dieser Gesellschaftsformation, die nicht mehr so viele Belohnungs- und Beruhigungspillen zu verabreichen hat, entdecken immer mehr Bürger, daß das versprochene Paradies die Hölle ist, oder, um es weniger dramatisch zu formulieren, sie entdecken immer mehr und bedrohlichere Schattenseiten. Da tut sich, wie Du schreibst, die Alternative der immanenten und der transzendierenden Reaktion auf – die Linke muß letztere zu einem mächtigen politischen Willen formen und verstärken.
Immanent versuchen die Individuen weiterhin, sich individuell so viel wie möglich vom gesellschaftlichen Reichtum, in unserem Modell K, abzuschneiden, die Konkurrenz der Egoisten. Der transzendierende Weg setzt auf einen Wechsel des Geschäftsmodells, des Gesellschaftssystems. Dafür muß die Erkenntnis vorausgesetzt oder hervorgebracht werden, daß die kapitalistische Dynamik für die meisten negativ und für die Gesellschaft als Ganzer desaströs ist. Dazu ist übrigens der in Fußnote ** von mir beschriebene Begründungszusammenhang überhaupt nicht notwendig. Es reicht, wenn in Mehrgenerationenfamilien festgestellt wird, daß für die Jüngeren die Lebensbedingungen trotz großer technologischer Fortschritte nicht einfacher, sondern schwieriger, unsicherer geworden sind. Wenn wir sehen, daß es unseren Kindern keinesfalls besser ergehen wird als uns selbst. Es gibt nur den einen Weg zum Besseren, nämlich daß der gesellschaftliche Reichtum wieder gerechter verteilt wird, was das Ende des Kapitalismus bedeutet, und dazu ist die Gesamtperspektive auf die Gesellschaft,der Wille zur Solidarität unabdingbar. Und wie gesagt, dieser Wille entsteht nachweislich auch im Spätkapitalismus, wir dürfen davon ausgehen oder wenigstens hoffen, daß er mit dem Offensichtlichwerden der mangelnden Zukunftsperspektive des Systems rasant an Stärke gewinnt. Die Linke muß die Alternative „weiter so (nur verbissener) oder alles in seiner Grundlage ändern“ stellen und verdeutlichen, wie das „Andere“, eine solidarische Welt möglich ist.
Die Solidarität hat zwei nicht unabhängige Seiten, die Binnen- und die Außensolidarität. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß das höchstwahrscheinlich bei Wagenknecht und Lafontaine mitgedachte Primat der Binnensolidarität richtig ist, aber es steht nicht im Gegensatz zur Außensolidarität, sondern ist auch deren Bedingung. Beide zu trennen und zunächst letztere bedienen zu wollen, ist logisch und psychologisch unsinnig. Da sich die Solidarität nur aus dem Vorhandenen (im Modell K) speisen kann, müssen die Superreichen für sie aufkommen, den Reichtum nach unten umverteilen. Aber eben nicht als Konkurrenz um das größte Stück vom Kuchen (K), sondern als Vorstellung einer gerechten oder besser das allgemeine Wohl(befinden) und die Produktivkraft der gesellschaftlichen Kooperation optimal fördernden gesellschaftlichen Identität. Das gilt für beide Formen der Solidarität gleichermaßen. Die große Masse der Gesellschaft muß die Umverteilung als Gemeinschaftswillen erzwingen, und Außensolidarität ist möglich, weil sie keine Schwächung der inneren Solidarität, sondern eine Stärkung des Solidaritätsprinzips darstellt. Insofern hat die Solidarität mit Flüchtlingen oder mit den Menschen aus fernen Ländern zwar durchaus eine relative Grenze in der nach Innen praktizierten Solidarität, die sie nicht übersteigen und was realistischerweise nicht gefordert werden kann. Aber es bleibt das Fernziel der emanzipierten einen Menschheit, auch über alle Grenzen und Entfernungen (und das nicht nur räumlich, sondern auch psychisch und geistig) hinweg solidarisch zu sein. Und damit schließt sich der Kreis meiner Argumentation.
Um nicht mißverstanden zu werden: Das linke Ziel ist nicht eine Einrichtung der Gesellschaft nach dem vorgestellten ökonomischen Modell, das Ziel ist die Solidargesellschaft, das ist viel mehr und spiegelt sich allenfalls in solch einer ökonomischen Beschreibung. In diesem abstrakten Sinne kann man sagen, die Solidargesellschaft ist erreicht, wenn es das BGE (als eₒ) gibt und die Gesellschaft ohne Einkommensgleichheit erzwingen zu müssen sich neben diesem BGE(eₒ) nur ein geringes Vielfaches (von eₒ als max(eᵢ)) gestattet, eine von Not und Armut befreite Gesellschaft angeglichener Einkommen, in der ein substantieller Individualismus gedeihen kann. Und wissenschaftliche Untersuchungen, die zeigen, daß homogenere Gesellschaften höhere Produktivität, größeres Wohlbefinden, stärkere Zustimmung aufweisen, bestätigen diese Perspektive aufs Schönste.
Statt auf Konkurrenz im Inneren und Äußeren zu setzen, muß die Linke die innere und äußere Solidarität propagieren, sie muß formulieren, was sie im Inneren für hinreichend gerecht oder besser angemessen solidarisch erachtet, und wie viel Solidarität ihr unter diesen Bedingungen nach Außen möglich ist. Ganz konkret muß sie den Rahmen der Hilfsbereitschaft politisch entscheiden, das muß für eine solidarische Gesellschaft wesentlich mehr sein, als das realpolitische Geschachere und die Doppelmoral hergibt, aber es hat durchaus seine Grenze, alles ist nicht möglich. Aber es kann sich auch nicht an dem Wenigen orientieren, zu dem die unsolidarischen Gesellschaften bereit sind. Es sind aber auch Überlegungen nötig, wie man die Hilfe am Sinnvollsten organisiert. Und da ist es ganz sicher besser, man leistet die Hilfe in den Krisenländern selbst und vermeidet, daß die Menschen überhaupt fliehen müssen. Und dazu ist es vorrangig, Krieg und Bürgerkrieg zu vermeiden. Und das scheint mir der Kern der Merkelkritik von S. W. zu sein.
* Kleine Anmerkung. Ich liebe die sophisticated Dreifachverneinungen. In ihnen wie in den aus der Psychologie bekannten ähnlich iterativ gebildeten Dreifachaffirmationen (ich weiß daß du weißt daß ich weiß) kommt der wunderbar imprädikative, produktive Charakter der natürlichen Sprachen zum Vorschein, es gilt ┐┐a ≠ a, also ┐┐┐a ≠ ┐a, oder a ˄ a ≠ a, also a ˄ a ˄ a ≠ a ˄ a, usw.
** Nennen wir eₒ den Wert der Ware Arbeitskraft im Marxschen Sinne, dabei abstrahiere ich sowohl von der kulturell bedingten Relativität des Existenzminimums als auch von dem Spielraum des Preises der Ware Arbeitskraft. Auch im Frühkapitalismus schwankt die Größe eₒ, aber die Unterschiede sind vernachlässigbar, man kann eₒ als das Einkommen oder Vermögen aller Mitglieder der proletarischen Klasse betrachten. Nennen wir nun kₒ das Minimalkapital, dh den Wert der Produktionsmittel, die es erlauben, Arbeiter einzustellen und einen Profit zu erwirtschaften, der ein minimales Kapitalisteneinkommen generiert, das deutlich über, aber mindestens nicht unter eₒ liegt. Damit ist der Kapitalismus möglich. Die reale frühkapitalistische Gesellschaft ist dann die Klassengesellschaft aus den Proletariern, die über ein Einkommen/Vermögen von eₒ+Δ (mit vernachlässigbarem Δ), und den Kapitalisten, die über ein Einkommen/Vermögen von k=kₒ+Δ (mit ausgesprochen relevanter, weil die Produktivkraft der Arbeit definierender Differenzgröße Δ, die schließlich den monopolistischen Kapitalismus charakterisiert) verfügen, mit produktionstechnisch zeitlich wachsender Disparität von kₒ>>eₒ (k groß gegen e).
Wie sieht es nun im Spätkapitalismus aus? Wer die Marxsche Theorie kennt, weiß, daß Geld die reine Quantität, Wertgröße ist, Kapital darin das Surplus über die notwendige Arbeit darstellt. Dann kann man jedes Einkommen aufspalten in notwendige Arbeit und Surplus, und das ist die Lösung, die der Kapitalismus gefunden hat, um auf der Erscheinungsebene die Basisstruktur des Kapitalverhältnisses unsichtbar zu machen. Wir können erkennen, daß in dem Geldwert des Einkommens sich das Kapital versteckt hat. Jedes Einkommen setzt sich demnach aus einem mehr oder weniger konstanten Anteil eₒ und einem frei variablen individuellen Anteil kᵢ zusammen, eᵢ=eₒ+kᵢ, wobei Σkᵢ = K das gesamtwirtschaftliche Surplus, das gesamtwirtschaftliche Kapital ist. Die Einkommensverteilung ist eine stetige Kurve mit einem Bauch im unteren Bereich (nach der Vorstellung der bürgerlichen Ökonomie sollte es ein Mittelstandsbauch sein, mit vernachlässigbaren Anteilen ober- und unterhalb), in der Logik der kapitalistischen Entwicklung notwendig sich dem Wert eₒ annähernd, was aber unter der Bedingung der permanenten Produktivkraftsteigerung und dem Prinzip der relativen Mehrwertproduktion mit der konsumtiven Zufriedenstellung der Massen weiterhin die Stabilität des Systems garantiert. Während jedoch nach wie vor letzteres (die rel. MWProduktion) funktioniert, zeigen sich bei ersterem (PKSteigerung) Zeichen einer Sättigung (es bleibt abzuwarten, ob die informationstechnologische Revolution noch einmal einen Schub der PKSteigerung erzeugen kann), die letztendlich zum Zusammenbruch führen muß. Es gibt also eine offensichtliche gigantische Ungleichverteilung, aber keine abgrenzbaren Klassen, sondern ein Verteilungskontinuum. Jedes Individuum kämpft um seinen Anteil an K und realisiert sich so als Mitglied der bürgerlichen Konkurrenzgesellschaft (mit Unterstützung der Gewerkschaften). Jeder, auch der mit nur ein paar Aktien, einem Sparbuch als Notgroschen, einem Grundstück, ist also in Wahrheit auch ein (kᵢ/eᵢ)·100-prozentiger Kapitalist und fühlt sich, wenn er das nicht kritisch reflektiert, genötigt, entsprechend kapitalistisch zu denken. Und jeder in der reichen kapitalistischen Nationalgesellschaft ist kapitalistischer Profiteur an der Übervorteilung der ärmeren Nationalgesellschaften. Jeder kann in der Einkommenshierarchie aufsteigen (vom Tellerwäscher zum Millionär); die meisten steigen zwar ab, aber Mensch denkt ja positiv (würde sonst irgendjemand Lotto spielen?) und wenn er zu sehr auf die Wahrheit gestoßen wird, bekommt er Panik (und wählt AfD).
Das wäre wohl die ausformulierte Variante. Ich glaube nicht, dass viele AfD-Wähler damit erreicht werden können. Vielleicht fehlt es an einer Art Hochsprache, die diesen Inhalt breiten Schichten mundgerecht macht. Im IT-Bereich hat das zum Erfolg geführt.
In einer Hinsicht würde ich zuspitzen wollen. Wenn es auch wahr ist, daß erst die zukünftige Gesellschaft eine solidarische sein kann, ist Solidarität doch gerade das, was hier und heute beginnen muß, um den Weg dahin überhaupt möglich zu machen. Ich bestreite nicht, daß es objektive Grenzen der Wahrscheinlichkeit von Solidarität gibt, die man gleichsam wissenschaftlich zu erfassen versuchen kann, und daß es praktisch gewiß ist, daß unter der Bedingung von Nationalstaatlichkeit es weit eher noch zur Binnen- als zur Außensolidarität kommt. Dennoch muß es aber die politische Aufgabe sein, Solidarität im eigentlichen Sinn, nach dem diese Unterscheidung gar keinen Sinn macht – denn jede Solidarität ist eine nach Außen, das ist die Begriffsbedeutung; selbst dafür, mit Deinem Bruder solidarisch zu sein, der immer so frech ist oder den Du geradezu blöd findest, mußt Du Dich doch jedesmal überwinden – sofort soweit möglich zu erreichen. Was jeweils möglich ist, zeigt die besonnene aber nicht ängstliche Tat.
Mir scheint zum Begriff der Solidarität auch zu gehören, daß man sie nur delegieren kann, wenn sie zugleich und im Kern nicht delegiert ist, sondern von der Basis gelebt wird. Entweder die Arbeiter sind nicht solidarisch oder sie selbst sind solidarisch, statt daß sie einer politischen Klasse nur zuschauen in der fordernden Erwartung, ihnen das Solidarische zu richten, wobei sie ja in Unsolidarität verharren könnten. Deshalb meine ich alles in allem, eine vernünftige „Arbeiterpolitik“ müßte mit solidarischen Aktionen, in denen „biodeutsche“ und nichtbiodeutsche Arbeiter zusammenwirken, sofort beginnen. Ich habe dafür kein fertiges Konzept, beginne ja auch erst jetzt, es zu überlegen. Aber auch andere, zum Beispiel S.W., könnten mitüberlegen. Demos direkt von Deutschen und Flüchtlingen, um die Regierung in die Pflicht zu nehmen, sind wahrscheinlich keine gute Idee. Aber wenn es Biodeutsche und Deutsche „mit Emigrationshintergrund“ sind, erscheint es schon möglicher. Was die Flüchtlinge angeht, könnten sie sich eine Selbstvertretung geben und man könnte das fördern. Diese hätte natürlich allen Grund, sich der Regierung dankbar zu zeigen, kann aber trotzdem sehr vorsichtig einer beginnenden Solidarisierung von Bio- und Nichtbiodeutschen zur Seite treten. Und vor allem anderen könnten Begegnungen organisiert werden. Wozu ist die Linkspartei da, wenn nicht auch sie solche Überlegungen anstellt?
„... könnten sie sich eine Selbstvertretung geben und man könnte das fördern.“
Natürlich würde der Staats- und Verfassungsschutz und die “Ausländerbehörden“ (mit einer entsprechend angegliederten Abteilung) diese Selbstvertretung versuchen unter Kontrolle zu bekommen. Ihre Aktivisten wären ständig von Ausweisung (und mehr) bedroht.
„Wozu ist die Linkspartei da, ...“ Das wäre eine der zentralen Aufgaben für eine (bodenständige) Linkspartei. Ob die existierende bürgerliche Linkspartei hierzu den Mut und die Ausdauer entwickeln könnte?
Aber die drei von Michael Jäger aufgeführten und noch stark voneinander getrennten Gruppen der (werktätigen) Bevölkerung, die sog. Bio-Deutschen, die Nachgeborenen, der vormaligen Gast-Arbeiter und die große Mehrzahl der heutigen Flüchtlinge, sie müssten zu einer gemeinsamen gesellschaftspolitischen und solidarischen Bewegung zusammengefasst werden.
Allerdings sollte wir nicht die traditionell Konservativen und die Dankbaren, - unter den Flucht- und Vertreibungsopfern, unterschätzen. Aktuell erleben wird das erneut bei unseren Brüdern und Schwestern mit türkischem Migrationshintergrund, selbst noch in der zweiten und dritten Generation, wenn sie in großen Teilen ihren Oberbruder Kronprinz Erdoǧan huldigen. Auch hier ist es immer noch nicht gelungen, nach fünfzig Jahren, ein solidarisches Miteinander zwischen den Biodeutschen und türkischstämmigen Bürgern zu entwickeln. Allenfalls in den Gewerkschaften, aber nicht in tieferen familiären Beziehungen. Dabei ist offensichtlich die patriarchale türkische Traditionslinie stärker als bei den Biodeutschen.
Ja, dann müssen wir besser werden (S.W.s vereinfachende Einsichtshäppchen sind sicher noch nicht mundgerecht). Mein Kommentar allerdings galt nur unserer Selbstverständigung, so würde ich das auch nicht einer breiteren Öffentlichkeit unterbreiten.
ist Solidarität doch gerade das, washier und heute beginnen muß ….. Solidarität im eigentlichen Sinn, nach dem diese Unterscheidung gar keinen Sinn macht – denn jedeSolidarität ist eine nach Außen, das ist die Begriffsbedeutung
Selbstverständlich. Solidarität ist die Einheit der Ganzheit. Ohne ein im Ansatz solidarisches Motiv gibt es keine links zu nennende Haltung. Aber ich möchte zu Deinem Argument, der Begriff Solidarität schließe eigentlich eine Differenzierung von Innen- und Außensolidarität aus, eine Erläuterung geben, warum es doch sinnvoll sein kann, mit dieser Differenz zu arbeiten. Dazu betrachte ich eine altruistische Handlung H eines Individuums i. Daß sie altruistisch ist, heißt, daß sie primär nicht im Eigeninteresse (von i), sondern zugunsten einer Gruppe von Individuen (die Gruppengröße kann auch 1 sein), der ich nicht angehöre, erfolgt (indirekt kann sie auch mir, langfristig, zugute kommen, aber eben nicht unmittelbar). Andernfalls ist H nicht korrekt als altruistisch beschrieben, sondern sie ist eine Erweiterung meines Egoismus: ein Gruppenegoismus. Aber selbst den muß man (wie den Individualegoismus) nicht negativ beurteilen, denn er muß sich nicht gegen die anderen (Nichtgruppenmitglieder) richten. Wenn dann für einen Handlungstyp H gilt, daß bis auf einzelne Abweichler für alle Mitglieder der Gruppe H zutrifft, in diesem und nur in diesem Fall darf man von einer Innensolidarität reden.
Das erste solidarische Verhalten abgesehen von einem angeborenen Altruismus lernt man in der Familie und es bezieht sich auf die familiäre Kleingruppe. Der angeborene Altruismus ist übrigens die materielle Basis dafür, daß sich Solidarität auf beliebig große Gruppen, auf die Menschheit als Ganzes, sogar auf die belebte Natur als Ganzes beziehen kann. Diesen bewußtseinsabhängigen Altruismus muß man in Sozialisations- und sozialen Erfahrungsprozessen lernen. Und – ein Nichtlinker wird das nicht anerkennen – ich betrachte solche universale Solidarität als das utopische Fernziel der autonom gewordenen Menschheit, unserer Zivilisation.
Ich bin vollkommen einverstanden. Meine Ausdrucksweise mit dem "eigentlichen Sinn" von Solidarität war zu mißverständlich. Es ist wie Du sagst: Diesen eigentlichen Sinn muß man in Sozialisations- und sozialen Erfahrungsprozessen lernen; das Lernen beginnt in der Situation des Unterschieds von Binnen und Außen und wir sind nun gerade dabei, erste Schritte über diese Situation hinaus zu diskutieren.
Sie erwarten doch gar nichts von Sahra, Herr Jäger, Sie nutzen ihre Interviewaussagen doch für nichts anderes, als eigene Exkurse durchzuführen. Sahra ist das Trapez, an dem Sie turnen. Ich weiß nicht warum. Vielleicht, weil Ihnen reale Politik wurscht ist. Keine Ahnung.
Sie ist vielleicht eher eine gute Autorin von Büchern als eine gute Politikerin, die ihre Sache, mag sie noch so komplex sein, immer und jederzeit auf den Punkt bringt. Ihr Ehemann Oskar Lafontaine hat es gekonnt, sie nicht. Aber das Problem liegt tiefer und ist genauso Lafontaines wie Wagenknechts Problem. Es rührt daher, dass beide etwas richtig Gutes wollen. Sie wollen solidarisch sein mit der arbeitenden Bevölkerung.
Was Lafontaine "gekonnt" hat, ist zu erschnuppern, was im Moment die Leute hören wollen. Das muss er der Sahra noch beibringen. Wenn die was "Gutes" wollen, dann wollen die vielleicht sogar solidarisch sein mit der arbeitenden Bevölkerung, vor allem aber wollen sie der Bevölkerung das Gefühl geben, dass ihre Sorgen bei der Linken besser aufgehoben sind. Damit das aber so ist, muss die Linke ihre Vorstellungen ändern. Die machen Wahlk(r)ampf und die spielen sich die Bälle zu über die Köpfe der LINKEN hinweg.
http://www.volksstimme.de/deutschland-welt/politik/sahra-wagenknecht-wir-muessen-wissen-wer-nach-europa-kommt
verkündet Sahra Wagenknecht eine Binsenweisheit und Lafontaine sekundiert bei der Welt
https://www.welt.de/politik/deutschland/article161818446/Staat-muss-entscheiden-koennen-wen-er-aufnimmt.html
Die spielen sich dabei allerdings jene Bälle zu, die Lafontaine - seit Jahrzehnten - zu diesem Thema schon immer geworfen hat. Und die Sahra Wagenknecht spielt da brav mit, was mich wundert.
Aber, - ist egal: Führen Sie den Diskurs ob Solidarität immer nach "Außen" geht: Das freut Oskar, weil der überhaupt dafür ist, dass man solidarisch übernational ist, den Konkurrenzkampf aber national führt. Da hat er schon mal konstatiert, dass Jesus in Deutschland wohl kein Asyl bekommen würde, weil es ihm gerade ins gesinnungsethische Gemüt passte, aber gleichzeitig dem Asylkompromiss von 1993 zugestimmt. Da hat er gemeint, ein Schwarzafrikaner könnte bedrohter sein, als manche deutschstämmigen Osteuropäer. Je nach politischer Absicht. Dass Sahra Wagenknecht das mit macht, dass die beiden sich zu einer Art "Max und Klärchen" oder auch "Bonny und Clyde" des Stammtisches machen, das ist gewiss kein akademisches Thema.
Sie merken wohl selbst, daß Ihr Kommentar leicht widersprüchlich ist: Sie erwarten doch gar nichts von Sahra, Herr Jäger, und dann: Und die Sahra Wagenknecht spielt da brav mit, was mich wundert. Ja, mich wundert’s eben auch. Weil ich von ihr etwas erwarte. So einfach ist das.
Wo sie mitspielt, das ist nicht Lafontaines Bosheit, weiter nichts als Wahlkampf und Vorteile für die Linkspartei zu wollen – der Mann ist nämlich nicht im Mindesten böse -, sondern das ist, wie ich dargestellt habe, der normale politische Diskurs, in dem Lafontaine als Sozialdemokrat schon immer gefangen war und in dem sich Wagenknecht jetzt auch verfängt, was aber nicht so bleiben muß.
Aber Sie wollen ja gern böse Leute sehen. Vielleicht, weil Ihnen reale Politik wurscht ist, rufen Sie mir zu, völlig grundlos. Das ist echt widerlich.
Echt widerlich? Na wunderbar Ein harsches Wort und die Friedfertigkeit ist dahin.
Gibt es einen “angeborenen Altruismus“ tatsächlich? Ist nicht auch das solidarischste Verhalten am Ende nie völlig selbstlos? Ich denke dabei auch, dass das ideale Ziel einer vollkommenen exogenen Solidarität nie Altruismus sein wird. Was freilich die Vollkommenheit einer Solidarität auch wieder arg beschneidet. Ich bin zwar auch kein Freund rein biologistischer Begründungen fürs Soziale - denke aber, dass eine maximal breite Solidarität nur möglich wird, wenn der Einzelne oder die kleinere, geschlossene Gruppe stets auch den eigenen Vorteil sieht. Nach Neusprech: Die echte Win-Win-Situation. Altruismus hingegen halte ich tatsächlich für ein nur theoretisches Ideal-Konzept. Es gibt ihn nicht und er wird auch nicht möglich werden (oder ich habe eine falsche begriffliche Vorstellung von “Altruismus“...).
Sowohl Wagenknecht als auch Lafontaine sind solidarisch mit Linken und linker Programmatik. Dabei bleiben sie stets realitäsbezogen. So ist es kein Wunder, dass sie von vielen Seiten angefeindet werden, sowohl von denen, die sich vor den Schwierigkeiten realisierbarer linker Politik drücken, als auch von denen, die linke Politik grundsätzlich ablehnen. Hinzu kommt, dass im Zuge der Neolibaralisierung die wesentliche Grundlage linken Seins, Solidarität, entkernt und in eine kurzzeitige Daumen-hoch, Daumen-runter Denke der jeweiligen persönlichen Wunschvorstellung verkommen ist, die kein solidarisches Handeln in Verantwortung nach sich zieht.
"Ich bin zwar auch kein Freund rein biologistischer Begründungen fürs Soziale - denke aber, dass eine maximal breite Solidarität nur möglich wird, wenn der Einzelne oder die kleinere, geschlossene Gruppe stets auch den eigenen Vorteil sieht."
Genau daraus ud das als Ausgangspunkt nehmend, ist tatsächlich ein altruistisches Verhalten erwachsen, was sich mittlerweile so verfestigt hat, dass es signifikante Unterschiede zwischen Menschen und Menschenaffen gibt, die offensichtlich genetisch fixiert sind.
De Keimzelle war offenbar ein Altruismus, der daraus erwachsen ist, dass man zusammen mit dem anderen ein gemeinsames Ziel erreichen wollte. So wird aus zuerst egoistischen Motiven schrittweise ein Altruismus, der sich dadurch auszeichnet, dass innerlich erstmalig Ideale errichtet werden, in dem der andere mir wichtig wird, ich mit ihm teile, auch wen er nicht bei der Jagd war, in dem ein "Wir" wichtig wird und nicht nur gemeinsame Erfolge ausgenutzt werden, bei denen jeder für sich, seinen Teil bekommt, wie bei zufälligen Jagden, oder Signalrufen, bei denen für ein rufendes Tier Reste bleiben.
Diese Theorie stellt Michael Tomasello vor.
"Statt auf Konkurrenz im Inneren und Äußeren zu setzen, muß die Linke die innere und äußere Solidarität propagieren, sie muß formulieren, was sie im Inneren für hinreichend gerecht oder besser angemessen solidarisch erachtet, und wie viel Solidarität ihr unter diesen Bedingungen nach Außen möglich ist"
Hier gerät man zum Beispiel, je nach Grad der Abstraktion, schnell in den Verdacht, nationalistisch zu argumentieren. Das scheint auch LaFontaine gerade zum Verhängnis zu werden.
Eine Ausführung wie die Ihre so zu verdichten, dass dieses Problem ausbleibt, der Inhalt aber grundsätzlich erhalten bleibt und um Details gekürzt wird, scheint mir das eigentliche Problem.
Wagenknecht sagte ja nichts Falsches, nur fehlten einige ergänzende Informationen.
Eine Art programmatisches Wiki, ausgehend vom aktuellen Programm der PdL, mit drill downs zu Detailinformationen könnte die Kommunikation vereinfachen und zugleich als Quellennachweis dienen, den man oberflächlichen Stern-Journalisten als knappe Antwort geben könnte. Das wäre zugleich Werbung fürs Wahlprogramm.
Das ist sicher richtig.
Dann mache ich mal so weiter: Um zu verstehen, wo ich hinwill, muss wohl der Begriff vom "Altruismus" etwas gespalten bzw. differenziert werden: Da wäre zum einen der, den die Biologen haben, wenn sie etwa beobachten, dass Ameisen-Arbeiterinnen auf eigenen Nachwuchs zu Gunsten der Beihilfe beim Nachwuchs anderer Ameisinnen verzichten um so einen effektiveren Nutzen für die Gesamtheit zu erzielen. Und zum anderen der Begriff, der die Entwicklungsstufen des Menschen weg vom instinkthaft Tierischen mit kennzeichnet und den Sie ansprechen. Zwar haben wir hier dann nicht grundsätzlich verschiedene Begriffe. Jedoch, so unterstelle ich, ist das was wir Menschen heute für uns in einer solchen Diskussion als Altruismus besprechen und diskutieren zu scheiden von dem, was uns eben allein als Menschen vom Tierischen trennt. Es geht hier, in einer Diskussion um Solidarität, darum, was im Sozialverhalten allein zwischen Menschen bewusst strukturell geändert und als sozialer Wert erkannt werden kann und nicht um biologische Evolution, die von uns eben auch nicht bewusst beeinflussbar ist. Dabei mag es ja sein, dass ein "angeborener" Altruismus sogar irgendwo da ist - denn wir helfen ja z.B. tatsächlich auch hier und da anderen Menschen, ohne einen unmittelbaren Eigennutz davonzutragen. Nur ist, was bestimmt niemand bestreiten würde, Altruismus effektiv in der sogenannten Gesellschaft, und damit in der Breite, ein zumindest enorm unterrepräsentierter Wert. Es geht also um soziale Werte, die nur entlang der Realität von uns Menschen und unter uns Menschen und nicht im Abstand zu Tieren oder unseren unmittelbaren Vorgängern in der Evolutionsgeschichte gemessen werden können.
"Zwar haben wir hier dann nicht grundsätzlich verschiedene Begriffe."
Aber doch um ziemlich verschiedene.
"Jedoch, so unterstelle ich, ist das was wir Menschen heute für uns in einer solchen Diskussion als Altruismus besprechen und diskutieren zu scheiden von dem, was uns eben allein als Menschen vom Tierischen trennt."
Zurecht.
"Es geht hier, in einer Diskussion um Solidarität, darum, was im Sozialverhalten allein zwischen Menschen bewusst strukturell geändert und als sozialer Wert erkannt werden kann und nicht um biologische Evolution, die von uns eben auch nicht bewusst beeinflussbar ist."
Ja. Darum antworte ich auch knapp, schon weil ich Herrn Jäger seinen Beitrag nicht zerschießen möchte. Der Spagat geht also vom Putzerfisch zur menschlichen Solidarität und dem allgemeinen Menschenrecht, das in der Internationalen besungen wird.
Und es ist ein breier Spagat. So gut wie alle Biologisten fallen in den Abgrund irgendwelcher Fernsteuerungen durch Gene, Gehirn und Triebe. Tomasello ist Biologie (und kein Biologist) und arbeitet heraus, was den Menschen auf dem Weg zur Solidarität tatsächlich unterscheidet, ihm gelingt die theoretische Annäherung von Biologie, Psychologie, Philosophie, wenn es um basale Vorstellungen von Fairness und Gerechtigkeit geht und darum, was vom Frühmenschen, wie empfunden wurde und was neu entstehen musste.
Das sind weniger genetische als psychologische Grundmotive, die hier (bei Tomasello, im neusten Buch insbesondere, die Moral betreffen) eine Rolle spielen, die man sehr gut auch auf Fragestellungen hier und heute anwenden kann.
"Nur ist, was bestimmt niemand bestreiten würde, Altruismus effektiv in der sogenannten Gesellschaft, und damit in der Breite, ein zumindest enorm unterrepräsentierter Wert."
Kann man das wirklich so global sagen? Dass wir niemandem helfen, nicht spenden, wenn wir Gefallen tun, nur auf unseren Vorteil schielen? Sind Sie so ein Egoschwein? Bestimmt nicht ausschließlich, Ihr Umfeld vermutlich auch nicht, aber "die Gesellschaft" dann schon? Ich habe auch solche und solche im Umfeld, Radikalegoisten und äußerst altruistische Menschen und ein wie immer breites Mittelfeld.
Müssen wir immer mit allen gleich solidarisch sein? Nun, zunächst sind wir es offenbar nicht, aber wo steigen wir aus und warum? Heißt grundsätzliche Solidarität und Anerkennung der Würde eigentlich einen Freibrief für jede Art von Verhalten auszustellen? Oder impliziert nicht die Forderung schon Wechselseitigkeit? Das sind doch interessante Fragen.
"Es geht also um soziale Werte, die nur entlang der Realität von uns Menschen und unter uns Menschen und nicht im Abstand zu Tieren oder unseren unmittelbaren Vorgängern in der Evolutionsgeschichte gemessen werden können."
Richtig, mir auch. Nur, wenn wir verstehen, wie Menschen ticken, bevor sie "verbildet" oder "neoliberal entstellt" werden, verstehen wir vielleicht besser, was da gerade schief läuft.
Ich habe persönlich mit Leuten die Wagenknecht und Lafontaine überhaupt nichts am Hut und halte die eher für einen Teil des Problems als seiner Lösung, dennoch kann es Kooperationen geben und auch idealisitische Projekte wie Würde und Grundrechte für alle bedürfen einer Fundierung einerseits im Materiellen, aber eben auch in einem Verständnis basalen Moralempfindens, als einem von vielen wichtigen psychologischen Aspekten, die kurioserweise im linken Lager schwer unterrepräsentiert sind.
Davon abgesehen: Ich "sehe" nicht gern böse Leute, aber ich fühle mich manchmal böse verheizt in diesem unsolidarischen Laden.
Da muß ich inhaltlich und auf der Metaebene widersprechen, nicht total, aber entschieden. Um nicht den Thread zu überfrachten, werde ich es hier mit wenigen Hinweisen bewenden lassen, zumal Moorleiche schon im letzten Kommentar einiges erwidert hat. Bei anderen Gelegenheiten bin ich schon auf diese Aspekte ausführlicher eingegangen.
Gibt es einen “angeborenen Altruismus“ tatsächlich?
Ich verweise auf die vergleichende Verhaltensforschung und die frühkindliche Kognitionsforschung, Moralentwicklung. Und ich benutze die Unterscheidung angeborener, also unwillkürlicher, biologischer und bewußter, also wertgestützter, kultureller Altruismus.
Ist nicht auch das solidarischste Verhalten am Ende nie völlig selbstlos?
Das Verhalten ist selten ganz frei von Nutzenmotiven. Das nie bestreite ich. Wichtiger aber ist, daß ein Großteil des Verhaltens nicht vorrangig durch Nützlichkeit bestimmt ist. Wer das leugnet, behauptet eine höchst problematische Monofunktionalisierung, die mich an die psychologische Immunisierungsstrategie erinnert, mit der die Zurückweisung einer Zuschreibung oder Deutung ihrerseits als Abwehr gedeutet wird, die die Zuschreibung umso mehr bestätigt. Oder an die Eigennutz-der-Gene-Theorie, die sich auf eine biologische Monokausalität verstieg.
…. wenn der Einzelne oder die kleinere, geschlossene Gruppe stets auch den eigenen Vorteil sieht. Nach Neusprech: Die echte Win-Win-Situation.
Wo ist im konformistischen Verhalten, und das ist der Großteil des Verhaltens, das dominante Motiv der Vorteilssuche, und wo realisiert es sich im win-win?
Altruismus hingegen halte ich tatsächlich für ein nur theoretisches Ideal-Konzept. Es gibt ihn nicht und er wird auch nicht möglich werden
Wer das behauptet, muß sich die Frage gefallen lassen, ob er nicht der bürgerlichen Ideologie auf den Leim gegangen ist. Freilich, so hätte der Kapitalismus uns gerne, als Marionetten am Gängelband manipulierbarer Interessen und unstillbarer Gier nach unserem Vorteil.
Altruismus hingegen halte ich tatsächlich für ein nur theoretisches Ideal-Konzept. Es gibt ihn nicht
Dann ist für Sie die Hingabe der Künstler an ihre Kunst nur gigantische Selbsttäuschung, die interesselose Hingabe des Kunstpublikums an das Schöne nur Heuchelei? Oder die Flucht vor der Wahrheit wie die verbissene Suche nach ihr nur Eigeninteresse? Ist also der gemeinsame Nenner aller Handlungen und Gegenhandlungen der Eigennutz? Ist schließlich alles ethische und moralische Handeln, wie Danton es Robespierre vorhält, nur sich selbst überhöhende Eitelkeit? In einer solchen Welt möchte ich nicht leben, und ich bin froh, daß ich mir plausibel einbilden kann, es nicht zu tun.
@ W. Endemann
@ Miauxx
@ Moorleiche
Am Verlauf der Diskussion sehe ich, daß ich W. Endemann doch zu pauschal zugestimmt habe. Denn wie Miauxx denke ich, daß Solidarität nicht dasselbe ist wie Altruismus. Altruismus ist Selbstlosigkeit; für Solidarität gibt es eine brauchbare Umschreibung bei Wikipedia, daß sie nämlich „den Zusammenhalt zwischen gleichgesinnten oder gleichgestellten Individuen und Gruppen und den Einsatz für gemeinsame Werte aus[drückt]“. Das ist nun etwas ganz anderes als Altruismus. Nebenbei gesagt wird nicht einmal Moral über Altruismus definiert, bei Kant jedenfalls nicht (Kategoricher Imperativ) und nicht einmal bei Jesus („Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“). Was Solidarität ist, wird im Solidaritslied von Brecht/Eisler deutlich: „Vorwäts und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht“, nämlich eben in der darauf sich reimenden Solidarität; „unsre Herrn, wer sie auch seien, sehen unsre Zwietracht gern, denn solang sie uns entzweien, bleiben sie doch unsre Herrn“; „wer im Stich läßt seinesgleichen, läßt ja nur sich selbst im Stich“.
Das ist Solidarität. Ohne Solidarität wäre gar keine Gesellschaft möglich, d.h. schon die, die wir haben, beruht nicht bloß auf der invisible hand der Privatkonkurrenz, sondern auch auf ihr, weshalb es solche Begriffe wie Solidaritätsprinzip (-> Sozialversicherung), Solidaritätsaabgabe, Solidaritätsabzug usw. gibt. Solidarität ist also nicht primär eine Frage der Selbstüberwindung, obwohl es das auch ist, sondern zuvörderst eine des Erkennens und Begreifens, und erkennen sollte man eben auch, daß die Welt aus den Fugen gerät oder nie in sie hineinkommt, wenn man glaubt, sie, die Solidarität, könne sinnvollerweise an den Grenzen des Nationalstaats haltmachen. Wenn wir z.B. mit Bangladesh, das überflutet werden wird, nicht ökologisch solidarisch sind, wird es uns selbst treffen. Oder man denke an die Kriege, wie Brecht/Eisler daran gedacht haben: „Schwarzer, Weißer, Brauner, Gelber! Endet ihre Schlächterein! Reden erst die Välker selber, werden sie schnell einig sein.“ Das ist denn auch das Wort zur Flüchtlingsfrage.
Zu Tomasello hätte ich eine Rückfrage. Ich habe mich auch mit ihm beschäftigt, sogar über ihn geschrieben, komme da aber im Moment heran. Spricht er wirklich vom Altruismus? Nach meiner Erinnerung hebt er hervor, daß es menschliche Errungenschaft sei, und in der Tat schon auf biologisch-evolutionärer Ebene, daß der Mensch sich in den andern Menschen hineinversetzen kann und es auf dieser neuen Grundlage zu vorher unerreichten Kooperationsfähigkeiten und –leistungen kommt. Mit Altruismus im Sinn von Selbstlosigkeit hätte auch das nichts zu tun. Gebraucht er denn überhaupt den Ausdruck Altruismus?
Den neuesten Kommentar von W. Endemann werde ich jetzt erst lesen.
Eigennutz ist etwas anderes als Zusammengehörigkeitsgefühl. Handeln aus dem Zusammengehörigkeitsgefühl heraus etwas anderes als altruistisches Handeln. Altruismus etwas anderes als Ekstase („interesselose Hingabe an das Schöne“). Man sollte diese Begriffe nicht gegeneinander ausspielen, wir sollten uns im Gegenteil alle zu eigen machen. Aber was das Verhältnis von biodeutschen, nichtbiodeutschen und aktuell hergeflüchteten Arbeiter(inne)n angeht, geht es, so scheint mir, nicht um sie alle zusammen, sondern nur um das zu erweckende Zusammengehörigkeitsgefühl.
Ich glaube, Sie neigen dazu, Privat- und öffentliche Sphäre zu vermischen. Hier ist Öffentlichkeit und da sind "harsche" Worte, mit denen Sie vielleicht zuhause die Atmosphäre entgiften können (ich habe den entsprechenden Beitrag gelesen), überhaupt nicht am Platz. Hier hat man höflich zu sein. Wenn Sie sich entschließen können, das auch so zu sehen, werden wir gut miteinander auskommen, und ich glaube, auch andere hier würden es begrüßen.
"für Solidarität gibt es eine brauchbare Umschreibung bei Wikipedia, daß sie nämlich „den Zusammenhalt zwischen gleichgesinnten oder gleichgestellten Individuen und Gruppen und den Einsatz für gemeinsame Werte aus[drückt]“"
Und diese Solidarität ist prima, wenn man was durchsetzen will nur eben zumeist angetreiben von einer Binnenmoral. Das schließt nicht aus, dass man diese erweitert oder umgekehrt fordert, dass das was für die anderen schon gilt, bitte auch für uns zu gelten habe, aber ein wenig hat das eben immer von "America first".
Dazu zu gehören ist eine gar nicht so unwichtige Form der Identität, der Nachteil ist, dass Solidarität oft groß geschrieben wird, wenn Ich zu den Betroffenen gehöre, während sie recht schnell wieder vergessen wird, wenn dies nicht mehr der Fall ist.
Aber das ist nur der eine kritische Punkt, der andere ist, dass Solidarität oft ein "Wir" gegen "Die" meint und das bleibt auch so, wenn sich die Proletarier aller Länder vereinigen. Damit wäre das Nationale zwar abstrakt überwunden, mehr (das Klassendenken) aber auch nicht (und oft nicht mal das, wenn es das Werk in Schweden trifft, "unseres" aber erhalten bleibt).
"Wenn wir z.B. mit Bangladesh, das überflutet werden wird, nicht ökologisch solidarisch sind, wird es uns selbst treffen."
Was letztlich egoistisch ist, aber warum sollte man diesen Anteil nicht nutzen?
"Zu Tomasello hätte ich eine Rückfrage. Ich habe mich auch mit ihm beschäftigt, sogar über ihn geschrieben, komme da aber im Moment heran. Spricht er wirklich vom Altruismus?"
Ja, defintiv. Und zwar wirklich in dem Sinne, dass man ein Interesse am Wohlergehen des anderen hat (was die Definition für Altruismus ist), weil man, durchaus vom Egoismus her kommend, erkennt, dass "Wir" (um die Fähigkeit ein kooperatives, mehr als zufälliges "Wir" zu entwickeln geht es Tomasello primär) zusammen mehr erreichen, als ich alllein und dass es daher in meinem Interesse steht, dem anderen etwas Gutes zu tun, weil er für mich als Partner unentbehrlich ist. Deshalb füttere ich ihn auch dann, wenn er an der letzten Jagd nicht teilnehmen konnte. Das ist Tomasellos zentraler Punkt und jener, der Menschenkind und Primaten in zig Punkten unterscheidet.
Tiere können zusammen jagen und dann ist jeder für sich und frisst, was er bekommt, gemäß einer Hackordnung oder dem, was man sich ergaunert hat, manche auch beliebig. Affen teilen mit anderen, wenn sie sich beobachtet wissen, sie teilen nicht, wenn sie sich unbeobachtet fühlen, usw.
Ebenfalls wichtig ist, wann der Mensch nicht kooperiert. Er ist hilfsbereit, wenn jemand will, aber nicht kann und recht allergisch, wenn jemand kann/könnte, aber nicht will.
Durchfüttern um jeden Preis ist die Sache des Menschen nicht, die Anerkennung muss schon wechselseitig stattfinden.
"Mit Altruismus im Sinn von Selbstlosigkeit hätte auch das nichts zu tun. Gebraucht er denn überhaupt den Ausdruck Altruismus?"
Ja, aber er möchte da durchaus drüber hinaus, bzw. spricht davon, dass Altruimus nicht das Potential habe sich zu entwickeln. Er beschreibt die Entwicklung der menschlichen Moral als eine die sich aus der Kooperation in der Besorgung des Alltäglichen (Nahrung) mehr oder minder beiläufig ergeben hat. Da gab es gute Partner und schlechte. Wer ungeschickt und raffgierig war, schied als beliebter Partner aus, ebenso waren Trittbrettfahrer nicht gerne gesehen, anders als bei Tieren, die da kaum Unterschiede machen, was einige vielleicht als Anzeichen einer ersten Degeneration bewerten mögen, Tomasello jedoch nicht, er lässt auch keinen Zweifel daran, dass der allgemeine Modus bei den nichtmenschlichen Primaten die Konkurrenz um Doninanz, Nahrung und Paarung ist, anders als man zuweilen hört, bei Schimpansen und Bonobos.
Der Mensch ist nach Tomasello "ein ultrakooperativer Primat", dessen Kooperationsfähigkeit "psychologische Prozesse der Kognition, sozialen Interaktion und Selbstregulation" mit sich brachte/erforderte. Der Altruismus spielt auch eine Rolle, wurde aber im Zuge der Kooperation erschaffen bzw, eingewoben. Irgendwann wurde der anderen nicht nur für mich wichtig, was immer noch ein instrumenteller Ansatz ist, weil es für die Jagd eben auch wichtig ist, dass der Speer nicht zerbrochen ist, sondern es trat der Aspekt der Sorge um sein Wohlergehen auf und damit ein Aspekt der Idealisierung. Der selbstloseste Aspekt in diesem Zusammenhang ist die Liebe, Sorge und Wertschätzung liegen irgendwo dazwischen, Instrumentalisierung und kalter Funktionalismus allein, stellen das untere Ende da.
Ich sehe allerdings auch nicht, dass maximale Dysfunktionalität zu lieben nun die höhere Oktave des Altruismus sein sollte. Wie gesagt, die Trittbrettfahrer sind allgemein unbeliebt. Kompetent und kooperativ zu sein, hat einen hohen partnerschaftlichen Wert.
"Altruismus hingegen halte ich tatsächlich für ein nur theoretisches Ideal-Konzept. Es gibt ihn nicht und er wird auch nicht möglich werden (oder ich habe eine falsche begriffliche Vorstellung von “Altruismus“...)."
Die haben Sie vermutlich, aber sie beruht auf einem häufigen Missvarstädnis.
Das Missverständnis liegt darin, dass viele denken, Altruismus läge nur dann vor, wenn man selbst keinerlei Lohn aus einer Handlung zieht, sei es in Form von Geld, Anerkennung, Lob, oder auch nur einem guten Gefühl. Doch dann müsste jeder wahre altruistische Akt ja im Kern masochistisch sein. Nur wenn ich bespuckt, beschimpft werde und mich schlecht fühle, bin ich Altruist. Das kann es nicht sein.
So wird Altruismus in aller Regel auch so definiert, dass eine Handlung durch ein primäres Interesse am Wohlergehen oder der Vegrößerung des Wohlergehens des anderen motiviert ist. Unabhängig davon, wie es mir dabei oder damit geht.
Diese Definition macht einen auch unabhängig von der letztlich zirkulären Unterstellung, dies oder das täte man ja nur weil ... .
Aber auch wenn es nicht zwingend ist, dass der Altruist eigenen Lohn oder Glück als Motiv für eine Handlung gehabt haben muss, so ist es doch sehr häufig der Fall, dass wir uns mit und an dem Glück anderer erfreuen können. Das tut gut, auch als Zeuge. Das ist bei uns leider in Vergessenheit geraten und man frönt dem etwas irrsinnigen Projekt, dass man meint, gut ginge es einem dann, wenn oder weil es anderen schlecht(er) geht. Das ist einerseits etwas asi, was aber niemanden interessiert, der etwas asi ist, jedoch ist es auch nicht zielführend, wenn ich selbst glücklich werden will. Hier hat man die Rechnung ohne den Wirt gemacht und das haben viele nicht verstanden. Und das kann man ruhig betonen, denn die höheren Aspekte der Empathie muss man trainieren, wenn sie verschüttet wurden.
Die erste Lektion ist, dass der Glaube daran, dass es einem selbst besser geht, weil es anderen schlechter geht, ein Irrtum ist. Kurze Triumpfgefühle führen nicht zu dauerhafter Zufriedenheit, egal von welcher Seite man sich dem Thema nähert.
Dann muß ich einmal auf meinen Kommentar 19.2.13:54 zurückkommen. Da hatte ich mich auf Altruismus bezogen, nicht als Synonym für Solidarität, sondern als eines sich mit Solidarität überlappenden Begriffs, der mir erlaubt, Gruppenegoismus von Binnensolidarität zu unterscheiden. Dazu ist das altruistische Moment geeignet. Mein Kommentar zu Miauxx sagt auch beides: 1. nicht alles Handeln läßt sich auf Egoismus als Gegenbegriff zu Altruismus zurückführen (nicht aller Altruismus ist in Wahrheit verbrämter Egoismus) und 2. sind Menschen so frei, jenseits der Alternative Altruismus/Egoismus zu handeln, dem Handeln einen (Eigen-)Sinn zu geben, der jenseits dieser Alternative liegt. Und wenn das aus meinen Bemerkungen nicht deutlich genug hervorgegangen ist, wiederhole ich es noch einmal explizit:
Es gibt Solidarität auf ethischer Basis, auf der ich das Gute will, welches mein Individualinteresse transzendiert. Ich bin froh, daß wir einen ethischen und erstaunlich zurückhaltend moralischen Papst haben, sein menschenfreundlicher Altruismus überschneidet sich mit dem linken Prinzip der Solidarität, aber es ist im Kern nicht links. Links ist das „Interesse“ an einem an den Aufklärungsidealen des Wahren, Schönen, Guten orientierten autonomen, also dem Selbstzweck des Wahren, Schönen, Guten folgenden Handelns, und in einer objektiv reichen Welt, in der der Kapitalismus künstlich massenhafte Armut und Not konserviert, ist nach der Befreiung aus den Fesseln des Kapitalismus das gute und damit insbesondere moralische Handeln überflüssig geworden, die Solidarität wird sich mehr durch die Orientierung am Wahren auszeichnen, ein Handeln steht im Vordergrund, das dem objektiv und subjektiv (die ästhetische Wahrheit) Richtigen verpflichtet ist.
Wenn man diese Perspektive verneint, wie es denke ich Miauxx tut, fällt man hinter die Ideen der Aufklärung zurück in ein konservatives oder utilitaristisches Menschenbild.
Ach Herr Jäger, dass Sie glauben, mich so von oben herab abkanzeln zu können, sagt was über die Verhältnisse hier aus.
und ich glaube, auch andere hier würden es begrüßen.
Super, jetzt fehlt nur noch das Wort "vorlaut", dann haben wir alles beisammen. Herzlichen Glückwunsch. Wer die "anderen hier" sind, kann ich mir gut vorstellen.
Finden Sie Zuschreibungen wie "echt widerlich" im Zusammenhang mit einer polemischen Anmerkung nicht sehr persönlich? Und finden Sie Ihre Art der verdeckten Parteinahme nicht ziemlich unsolidarisch? Nebenher habe ich gar keinen speziellen Beitrag im Sinne gehabt.
Glauben Sie mir , ich ändere mich nicht mehr, ich bin damit ganz gut gefahren.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Wenn Sie meinen Protest "von oben herab" empfinden, tut mir das leid. Ich sehe es eher horizontal, derart daß Internt 2.0 keine Einbahnstraße ist. Also ganz einfach noch mal die Bitte, solchen Stil wie diesen hier zu unterlassen:
Sie erwarten doch gar nichts von Sahra, Herr Jäger, Sie nutzen ihre Interviewaussagen doch für nichts anderes, als eigene Exkurse durchzuführen. Sahra ist das Trapez, an dem Sie turnen. Ich weiß nicht warum. Vielleicht, weil Ihnen reale Politik wurscht ist.
Das ist pure Boshaftigkeit und durch nichts begründet. Bitte fahren Sie so nicht fort, sonst bekommen Sie von mir noch schlimmere Dinge als "widerlich" zu hören.
Solidarität würde ich nicht mit Altruismus in Verbindung bringen, obwohl manche altruistischen Handlungen durchaus als solidarische betrachtet werden können. Solidarität zielt auf Gruppeninteressen und ist das Ergebnis sozialer Bewegungen, die vor allem auf die Arbeiterbewegung zurückzuführen ist. Allgemeiner eine "natürliche" (organische) Entwicklung von Gesellschaften als moralische.
Altruismus ließe sich natürlich als eine Ausprägung von Utilitarismus definieren, indem utilitaristische Handlungen zum Wohl der Gesellschaft beitragen und letztlich im Eigeninteresse sind. So ließe sich auch die Nächstenliebe einordnen und gleich die großen Heiligen dazu. Das erscheint mir aber als keine sinnvolle Kategorisierung, da es einige Kriterien gibt, die menschliche Handlungen hinsichtlich moralischer Qualität unterscheiden kann.
Altruismus geht über das hinaus, was als „normale“, moralisch erwartete „Pflicht“ betrachtet wird. Es kann auch bis zu einem gewissen Maß mit dieser „Pflicht“ in Deckung sein, wie es am Beispiel sich darstellen lässt.
Sehe ich ein kleines Kind auf einer verkehrsreichen Straße oder eine Person, die Schwierigkeiten hat, die Straße zu überqueren, dann ist die Sache klar. Wenn ich aber nun bei dem kleinen Kind keine Aufsichtsperson sehe, dann trennen sich die Wege, was ich hin zum Altruismus sehen würde.
Auch das Beispiel im Neuen Testament mit dem Samariter ist ein gutes Beispiel, an dem überprüft werden kann, an welcher Stelle wir von der „Pflicht“ zur Hilfeleistung (von mir auch aus Solidarität oder Nächstenliebe) vom Altruismus unterscheiden können. Das, was der Samariter getan hat, geht zumindest über das Maß einer durchschnittlichen Moral hinaus. Aber, auch hier hätte es noch eine Steigerung geben können, wenn er die Pflege und Versorgung selbst übernommen hätte.
Altruismus darf aber nicht in den Gegensatz zur Pflicht kommen oder sich gar über sie stellen. Denn die Folgen einer Handlung müssen auch hier bedacht und abgewogen werden. Denn es kann nicht sein, dass mit der Handlung soweit gegangen wird, dass es bleibende Schäden am Handelnden selbst hinterlässt, die dann von der Gesellschaft aufgefangen werden müssen.
Das ist aber nur ein kleiner Exkurs zu dem Begriffsverständnis. Ob angeboren oder nicht, jedenfalls lassen sich die Unterschiede im Verhalten beobachten (am besten bei sich selbst): sie sind einfach vorhanden. Aber, es lässt sich ändern und ist keine Konstante!
Ich habe zustimmend Wikipedia zitiert, daß Solidarität „den Zusammenhalt zwischen gleichgesinnten oder gleichgestellten Individuen und Gruppen und den Einsatz für gemeinsame Werte aus[drückt]“, und Sie wollen mit Tomasello, dass man ein Interesse am Wohlergehen des anderen hat (was die Definition für Altruismus ist), weil man, durchaus vom Egoismus her kommend, erkennt, dass "Wir" (um die Fähigkeit ein kooperatives, mehr als zufälliges "Wir" zu entwickeln geht es Tomasello primär) zusammen mehr erreichen, als ich alllein und dass es daher in meinem Interesse steht, dem anderen etwas Gutes zu tun, weil er für mich als Partner unentbehrlich ist. Wo ist denn da der Unterschied? Ich sehe keinen. Widersprechen würde ich lediglich Ihrer Definition von Altruismus. Altruismus wird m.E. als Selbstlosigkeit definiert und das ist etwas anderes als vom Egoismus herkommendes Interesse am Wohlergehen des anderen; dieses Letztere ist vielmehr die Definition von Solidarität. Aber nun sind wir schon beim Streit um Wörter und das braucht man, meine ich, nicht fortzusetzen. Der Sache nach sind wir einig. Meine Frage wäre aber, ich weiß nicht, ob das angekommen war, ob Tomasello das Wort „Altruismus“ irgendwo hinschreibt. Wo tut er das? Ist nicht weiter wichtig, offenbar auch nicht für unsere Diskussion, wie Sie ihn referieren, aber es würde mich interessieren.
Tomasello stellt keine moralische Forderung auf, sondern versucht de Entstehung von Moral nachzuzeichnen. An der zitierten Stelle sehe ich auch keinen Unterschied, ich habe nur allgemein darauf hingewiesen, dass Solidarität oft Binnenmoral bedeutet. Wir sind aber hier am Anfang der Nachzeichnung.
Tomasello benutzt den Begriff "Altruismus" in dem Buch "Eine Naturgeschichte der menschlichen Moral" mehrfach und ausdrücklich.
Selbstlosigkeit ist als Definition oder Synonym für Altruismus etwas unglücklich, weil es so verstanden werden könnte, als ob ein altruistisches Motiv dann nicht mehr vorläge, wenn man selbst etwas erhält. Wenn selbstlos in dem Sinne gemeint ist, dass der Lohn oder Schaden des Selbst unerheblich ist, weil es um den anderen geht, fällt das mit der von mir vorgeschlagenen Definition zusammen.
oben, an Sie.
oben, an Sie.
Danke.
Anmerkung zur Terminologie
Es wurde im Thread mehrfach geäußert, der Unterschied von Altruismus und Solidarität sei der von individueller Selbstlosigkeit und gemeinsamen Werten, von Moral einerseits und Stärke der (des) Zusammengehörigkeit(-sgefühls) andrerseits. Das sollte man problematisieren, denn sonst könnte man die stärkste Solidarität im Faschismus, im religiösen Fundamentalismus, im vitalen Interesse der Herrschenden an der Aufrechterhaltung der Herrschaft oder in der Mafia mit ihrer unerbittlichen Ganovenmoral orten, alles auf ethisch widersinnigen "Werten" beruhende Gemeinschaften. Will man vermeiden, Solidarität derart zu entsubstantialisieren, sind es nicht nur die gemeinsamen, sondern die Gemeinsamkeit erzeugenden allgemeinen Werte, die Solidarität begründen. Hier ist durchaus auf Kant zu verweisen: Sein kI ist kein moralisches Desiderat, sondern ein geistiges Kriterium für die Möglichkeit ethischer Aussagen (den Begriff Moral verwendet Kant allerdings noch vorkritisch). Diese Einsicht Kants sollte nicht vergessen werden, auch wenn man über die Idee, es gäbe eine objektiv erkennbare Position des Moralischen, hinausgehen muß. Ich halte es für gleichermaßen falsch, Altruismus (Selbstlosigkeit) auf Moral wie in Solidarität um die ethische Dimension der Universalität zu verkürzen.
@Moorleiche
@W. Endemann
"Wenn wir z.B. mit Bangladesh, das überflutet werden wird, nicht ökologisch solidarisch sind, wird es uns selbst treffen." [M. Jäger]
"Was letztlich egoistisch ist, aber warum sollte man diesen Anteil nicht nutzen?" [Moorleiche]
Wir sind hier alle wohl nicht wirklich weit auseinander - eher doch recht nah beisammen. Es ist mehr die genaue Füllung der Begriffe, die hier und da ein wenig auseinander geht.
M. Jägers Beispiel einer ökologischen Solidarität - auch hier, bei uns, bereits etwas tun, auch wenn nicht wir bereits so verheerend überflutet werden - trifft exakt, wie ich oben Solidarität beschrieben wissen wollte und Win-Win-Situation nenne. Dabei würde ich aber auch nicht sagen, dass hier auf der einen Seite ein Egoismus vorliege - Egoismus möchte ich doch als die Absicht des ausschließlichen Eigennutzes verstehen. Und ich würde mich selbstverständlich nicht verzweifelt dagegen wehren, es auch Altruismus zu nennen, wenn man sich bereits gegen die menschengemachte Beschleunigung des Klimawandels einsetzt, obwohl noch keine verheerenden Überflutungen im eigenen Lande einsetzen. Aber ich würde es, im Gegensatz, auch nicht egoistisch nennen.
Vielleicht fasse ich Altruismus tatsächlich zu eng ... Denn natürlich gibt es den Einsatz für andere unter der gänzlichen Zurückstellung des eigenen Benefits (in welcher Form auch immer) - was ein Masochismus wäre, wie Sie, Moorleiche, hier 20.02.2017 | 13:08 sagen - nicht wirklich.
Aber ganz und gar nicht möchte ich einem Biologismus nachgeben oder der "bürgerlichen Ideologie" (wie W. Endemann vermutet) - was wohl das kapitalistische Mantra eines genetischen gesetzten steten Wettkampfes unter uns Menschen meint - "auf den Leim gehen". Ich bin mir des Fatalismus dieser Formeln durchaus bewusst und diesen bei weitem nicht ergeben.
Doch wo es eine Diskussion um Solidarität wie eben hier gibt, finde ich es am zielführendsten, zunächst eine realistische Schau/Bestandsaufnahme anzustellen - auch wenn diese den Anschein haben mag, zuungunsten einer idealistischen auszufallen. Und wenn ich dann einen engen Begriff von Altruismus anlege, so fällt es doch enorm schwer, einen solchen in unseren gesellschaftlichen Realitäten zu erkennen. Es mag sich in unserem nicht-altruistischen und weitenteils auch nicht einmal solidarischen Verhalten um Konditionierungen handeln. Wie auch bereits weiter oben schon gesagt, genügen in meinen Augen die Abgrenzungen des sozialen und sich selbst reflektierenden Menschen vom "rein" Animalischen für eine Diskussion um unsere gesellschaftlich-soziale Organisation nicht.
Auch die Menschen, die noch nicht von Sturmfluten überschwemmt werden, müssen knallhart drauf gestoßen werden, dass das Symptome von Ereignisketten sind, die uns alle früher oder später existentiell ereilen. Die Frage ist halt nur, wann die Katharsis kommt und ob es dann nicht doch schon zu spät ist. Es reicht aber nicht, zu konstatieren, wir hätten eigentlich den sozialen Wert "ethischen und moralischen Handelns" ohne unmittelbaren Eigennutz.
Noch einmal kurz zurück zum Artikel und den früheren Kommentaren:
Wir haben heute wohl das Paradoxon, dass die Möglichkeiten zur Organisation einer Internationalen einerseits besser denn je sind und gleichermaßen - wie als Kehrseite der selben Medaille - schlechter als je zuvor. Nie war globale Vernetzung besser und für so viele Menschen möglich. Aber auch nie zuvor war die Welt diverser und feiner gespalten. Allein wenn wir nur nach Deutschland, oder ein anderes westliches Land, schauen wird es schon schwer, zu bestimmen, wo sich am widerstandslosesten auch nur eine 'Binnen-Solidarität' schaffen ließe. Es gibt schlicht keine proletarische Klasse mehr, die sich als solche begreifen würde. Zwar nähern sich die wirtschaftlichen Realitäten zwischen einfachen, niedrigqualifizierten Tätigkeiten, Arbeiten mittlerer Qualifikation und des Sektors höherer Ausbildung immer mehr an. Doch hat - so meine Wahrnehmung - der Eine mit dem Anderen nicht viel zu tun. Es wird sich nicht als eine Interessengruppe wahrgenommen.
"Rede des linken Kompensationsdiskurses: „So viel Markt wie möglich, (aber auch) so viel Staat wie nötig“"
Das dürfte eine der grossen Leistungen des neoliberalen Projektes darstellen, daß diese fundamentale bürgerliche Einsicht in die minimal nötigste Struktur eines Staates (um überhaupt noch einer zu sein) als "linker Diskurs" akzeptiert wurde.
Glanzleistung. Applaus.
Ein paar Zitate dazu, als linke Gleitcreme quasi:
„Es darf keine Zweifel
darüber geben, auf wen sich der Haß der Öffentlichkeit zu richten hat.“ Harold D. Lasswell (1927) Propaganda Technique in the World
War
„It’s time for the elites to rise up against the ignorant masses" Foreign Policy (28.6.2016)
„Die Eliten sind gar nicht das Problem, die Bevölkerungen sind im Moment das Problem" J. Gauck (19.7 2016)
“The aim of totalitarian education has never been to instill convictions but to destroy the capacity to form any"
Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft
„die Entwicklung einer Medienindustrie, der es nicht um richtig oder falsch geht, sondern die sich mit mehr oder weniger völlig irrelevanten Dingen beschäftigt. In anderen Worten: Die frühen Vorstellungen über Propaganda haben versäumt, den fast unersättlichen Drang des Menschen nach Ablenkung durch Nichtigkeiten zu berücksichtigen.“ A. Huxley
dazu noch etwas Feuchtgebiete zweier neoliberaler Strategen :
"Es kann nicht geleugnet werden, dass der Faschismus voll von besten Absichten war, das Verdienst, das sich der Faschismus damit erworben hat, wird in der Geschichte ewig fortleben.“ Ludwig Mises (1927). Liberalismus
"Friedrich von Hayek sprach sich zwar deutlich gegen eine Diktatur als dauerhafte Staatsform aus, brachte jedoch 1981 zum Ausdruck, dass in „Übergangsphasen“ – dabei bezog er sich insbesondere auf die Pinochet-Diktatur in Chile – eine Diktatur notwendig sein könne und dass er eine neoliberale Diktatur einer nicht-neoliberalen Demokratie vorzöge."
und weiter Bonmots:
„Der Pöbel verdient keine Aufklärung“ und schrieb 1766 an Voltaire: „Das gemeine Volk modert immer im Schlamm der Vorurteile dahin" König Friedrich II.
Die Frage ist nicht zu stellen, wo sich Lafontaine oder Wagenknecht also einordnen, es ist ganz eindeutig die Frage zu stellen wo die sPD und Schulz dahinmodern im Wahljahr 2017.
:-)
"Wir sind hier alle wohl nicht wirklich weit auseinander - eher doch recht nah beisammen."
Das Gefühl habe ich auch.
Zum fließenden Egoismus/Altruismus-Kontinuum noch mal: Es sind Biologisten, die glauben, dass wir, selbst wenn wir kooperieren, dies nur, auf der Basis eines Egoismus tun könnten, da wir genetisch bedingte Egoisten seien und so reiche unser Altruismus im besten Fall zum sogenanten reziproken Altruismus und der bedeutet: Ich helfe dir, aber nur, weil ich ahne oder weiß, dass mein indirekter Lohn weitaus größer ist. So sei er, der Mensch.
"Aber ganz und gar nicht möchte ich einem Biologismus nachgeben oder der "bürgerlichen Ideologie" (wie W. Endemann vermutet) - was wohl das kapitalistische Mantra eines genetischen gesetzten steten Wettkampfes unter uns Menschen meint - "auf den Leim gehen"."
Und genau das möchte ich auch nicht, darum ist es gefährlich und ideologisch das szientistische Märchen vom gezwungenermaßen egoistischen Menschen durchzuwinken.
"Und wenn ich dann einen engen Begriff von Altruismus anlege, so fällt es doch enorm schwer, einen solchen in unseren gesellschaftlichen Realitäten zu erkennen."
Das ist m.E. auch nicht nötig, da schwarz/weiß Betrachtungen oft nur zu unsinnigen Diskussionen führen. Ist der Mensch nun ein Wesen, was schläft oder wach ist? So sind wir eben auch oft etwas egoistisch und mal altruistisch.
"Wie auch bereits weiter oben schon gesagt, genügen in meinen Augen die Abgrenzungen des sozialen und sich selbst reflektierenden Menschen vom "rein" Animalischen für eine Diskussion um unsere gesellschaftlich-soziale Organisation nicht."
Richtig, da kann man gleich noch mit einem anderen Vorurteil aufräumen, nämlich dem, dass, wer nachdenkt, nicht hartherzig sein könne oder wenn er es ist, eben nicht richtig nachgedacht habe. Es gibt auch brillante Theoretiker faschistischer, stalinistischer oder szientistischer Ideen, die alle auf einem schwarz/weiß-Weltbild errichtet sind, sich an einzelnen Begriffen aufhängen und dann eine Assoziationsmaschinerie lostreten, die von hoher Aggression durchsetzt ist. Hat man den "Feind" erst ausgemacht, fallen alle Hemmungen. Das kann man mit einem IQ von 80 so gut praktizieren, die mit einem von 160.
"Auch die Menschen, die noch nicht von Sturmfluten überschwemmt werden, müssen knallhart drauf gestoßen werden, dass das Symptome von Ereignisketten sind, die uns alle früher oder später existentiell ereilen."
Nur wäre das wieder der Appell an die Vernunft (oder ein Beklagen des Mangels derselben), die hier nur zu einem geringeren Teil zuständig ist. Der Input fällt nicht auf ein weißes Tischtuch, sondern wird in einer verinnerlichten ideologischen Machinerie in uns verarbeitet, die uns an schon Bekanntes und verstanden Geglaubtes anknüpfen lässt, tendenziell sortiert nach: "Wer hat es gesagt?" statt: "Was wurde gesagt?"
"Es reicht aber nicht, zu konstatieren, wir hätten eigentlich den sozialen Wert "ethischen und moralischen Handelns" ohne unmittelbaren Eigennutz."
Den haben wir auch so nicht. Der Mensch kommt mit der Fähigkeit zur Aggression, zur Wut und sogar recht fundamentalem Hass auf die Welt, ebenso, wie mit der Fähigkeit zur Kooperation. Beides ist biologisch verankert. Und es gibt auch in der Folge nicht ein einziges und richtiges Verhältnis von Konkurrenz und Kooperation, sondern zig Arten, die gemäß einzelnen Entwicklungsstufen, die immer auch (von Anfang an) Affektregulation und nicht nur Theoriekompetenz bedeuten, dieses Verhältnis neu mischen.
Wenn wir wirklich etwas ändern wollen, dann kommen wir um das Verständnis dieser Bausteine - die inzwischen alle in einem ausreichenden Maße erforscht sind - leider nicht herum.
Die meisten wollen jedoch Weltdeutungen nach den gewohnten Codes: Szientisten/Biologisten/org. Atheisten rastern alles auf einen möglichen religiösen oder alternativmedizinschen Inhalt ab und sind dann im Kampfmodus, Linke suchen nach offenen oder versteckten rechten Codes und umgekehrt.
Es wäre mehr denn je der gute alte Diskurs und gute Wille, der uns erkennen lässt, dass wir eigentlich in vielen Fragen gar nicht weit auseinander sind, ein Heilmittel für die scheinbar über Nacht abhanden gekommenen Fakten.
Erst stirbt plötzlich und unerwartet die Zivilcourage, dann werden auf einmal alle aggressiv und unsolidarisch und nun fragen wir uns, warum Fakten von jetzt auf gleich keine Rolle mehr spielen. Der bittere Anteil ist, dass das vorher so ganz viel anders auch nicht war, nur gaben da andere Gruppen den Ton an. Die Revoluzzer heute haben bei den rhetorischen Mitteln und der medialen Vermarktung kräftig aufgerüstet und dazu gelernt, wie Sie es auch, zum Artikel zurückführen treffend anmerken:
"Nie war globale Vernetzung besser und für so viele Menschen möglich."
Richtig.
"Aber auch nie zuvor war die Welt diverser und feiner gespalten. Allein wenn wir nur nach Deutschland, oder ein anderes westliches Land, schauen wird es schon schwer, zu bestimmen, wo sich am widerstandslosesten auch nur eine 'Binnen-Solidarität' schaffen ließe. Es gibt schlicht keine proletarische Klasse mehr, die sich als solche begreifen würde."
Ja. Wir haben heute ein Weltbild Mulitikulti, bei dem viele schon davon überfordert sind, dass der typische Nazi nicht mehr artig Glatze und Springerstiefel trägt. Ob es noch mal gelingt die Marke des braven Arbeiters attraktiv zu machen, weiß ich nicht, wenn Merkel weggeweht wird, dann, weil sie niemand mehr sehen kann, nicht wegen eines neuen Selbstbewusstseins der Arbeiterklasse.
"Zwar nähern sich die wirtschaftlichen Realitäten zwischen einfachen, niedrigqualifizierten Tätigkeiten, Arbeiten mittlerer Qualifikation und des Sektors höherer Ausbildung immer mehr an. Doch hat - so meine Wahrnehmung - der Eine mit dem Anderen nicht viel zu tun. Es wird sich nicht als eine Interessengruppe wahrgenommen."
Auch das eine treffende Beobachtung. Die Welt ist da tatsächlich flexibler geworden und viele lassen die klassischen Modelle der Beziehungs- und Arbeitswelt mit ihren stereotypen Rollenzuschreibungen und auch dem Inhalt dessen, was sie zu denken und wie sie sich zu verhalten haben hinter sich. Die sind aber auch recht selbstständig und haben mit der Reduzierung auf den Proleten gar nicht so viel am Hut. Man kann sich auch mit youtube, Pro7 und Playstation hip fühlen.
Gut, daß Sie auf die Ausgangsfrage zurückgekommen sind.
Mir fällt dazu ein, 1. daß die Zerstreuung der Arbeiterklasse in Individuen auch schon im 19. Jh. der Ausgangszustand gewesen ist und 2. daß Marx bezüglich dessen das Begriffspaar „Klasse an sich“ / „Klasse für sich“ gebildet hat. Zweifellos haben wir heute einen ganz anderen Grad von „Individualisierung“ und auch die Wege des Fürsichwerdens sind ganz andere geworden. Auf der andern Seite geht unsere Frage von einem bestimmten Problem aus und das macht die Sache handhabbarer. Nämlich daß es Arbeiter gibt, in Europa und anscheinend mehr noch in den USA, die für Rechtspospulismus anfällig sind. Diese Bestimmtheit konfrontiert uns nun bereits mit einem konkreten Fürsichsein: Ein Teil der Klasse läßt sich von Trump / AfD repräsentieren, Milliardären / Steuerhinterziehern und Neoliberalen, und stellt sich gegen Immigranten. Eine neue „Arbeiterpolitik“ hätte natürlich genau hier zu beginnen, allerdings auch in der Form, daß nach den anderen Arbeiter/innen gefragt wird, die da nicht mitmachen (schon weil die europäischen Gewerkschaften den Rechtspopulismus klar ablehnen und flüchtlingssolidarisch sind, muß es solche Arbeiter/innen auch geben); das wäre schon mal ein wichtiger Aspekt von „Binnensolidarität“, daß das „Gespräch“ dieser beiden Gruppen wichtig wäre. Ansonsten waren mir bisher Demos und (Flüchtlings-) Vertretungen eingefallen, auch das wären Formen des Fürsichseins. Da mein Artikel an S.W. aufgehängt ist, wäre besonders auch nach den Parolen und Begründungszusammenhängen zu fragen, die von Politikern in die Welt gesetzt werden. Denn Wählen ist eben auch schon Form des Fürsichwerdens, sei sie auch noch so oberflächlich. Wo sind die Redner/innen der Linkspartei, die Touren durch die deutschen Produktionsstätten machen und Abend für Abend erzählen, was Arbeiter aller Länder gemeinsam haben, daß nicht die Flüchtlinge die Gegner der Arbeiter/innen sind, sondern sie ganz andere Gegner haben, usw. usf.?
Ach, es könnte einem doch so viel einfallen, wenn man wirklich nachdenken wollte. Schon länger frage ich mich, warum eigentlich nicht versucht wird, wieder so etwas wie ein „Milieu“ auf die Beine zu stellen. Wenn Sie nur einmal gesehen haben, wie sich im Wedding, oder wo auch immer, Arbeitslose im Sommer vor einen Getränkeshop auf eine kleine Mauer hocken und dort ihr Bier trinken, wovon sich dann manchmal die Anwohner belästigt fühlen, dann wissen Sie, daß da was fehlt. Oder nehmen Sie den Fußball: Die französische Regierung hat schon bei der seinerzeitigen WM, ich glaube es war 1998, versucht, mit der Zusammenstellung der les bleues für Weltoffenheit zu werben, Paris war voll von entsprechenden Plakaten; und auch hierzulande gibt es bis heute entsprechende Fernseh-Spots. Aber wieviel mehr könnte da geschehen! Ich bin sicher, daß es viele türkisch-, arabischstämmige usw. Spieler gibt, die sich da über die Bereitstellung von Fotos hinaus engagieren würden. Was könnte der Fußball für ein Anknüpfungspunkt sein. Mir fallen da auch Todenhöfers Berichte von seinen Reisen in Nahost ein: Der Fußball ist immer das erste Gesprächsthema, selbst im IS-Gebiet, selbst da kennt man die Namen der deutschen Spieler usw. Alles in allem meine ich, es ist wie immer: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Bzw. wäre, muß man ja leider sagen.
Den Ausführungen kann ich uneingeschränkt zustimmen bis auf die Bemerkungen zum Zusammenhang von Denken und seiner ethischen oder metaethischen Qualität. Die Aussage
gleich noch mit einem anderen Vorurteil aufräumen, nämlich dem, dass, wer nachdenkt, nicht hartherzig sein könne oder wenn er es ist, eben nicht richtig nachgedacht habe
ist zwar richtig, sie unterschlägt aber den wichtigsten Aspekt, an dem sich mE unmißverständlich links und nichtlinks scheiden, Aufklärung oder Nichtaufklärbarkeit der Welt, Fortschrittsmöglichkeit oder bloßer Formwandel des Ewiggleichen. Ohne Fortschritte des Denkens, und damit ist nicht bloß das elaborierte Denken, sondern Denken auf jedem Niveau und gleichermaßen das emotionale Denken gemeint, ohne Fortschritte des Denkens gibt es überhaupt keinen Fortschritt. Wenn allerdings Denken wertneutral gesehen wird (wie im Fall des zweckrationalen Denkens), kann man nicht mehr zwischen Denken und Mißbrauch des Denkens unterscheiden und folglich keine Fortschrittsrichtung ausmachen. Wir müssen also davon ausgehen, daß Denken nicht wertneutral ist und daher Denken den Mißbrauch überwiegt (wir reden implizit von Mißbrauch als Ausnahme, nicht als Regel). Daher die zentrale Maxime der Aufklärung, sich des eigenen Verstands zu bedienen. Und das Engagement für Bildung und Wissenschaft.
Nur kurz: Ich halte das Denken hier für überschätzt, würde das aber gerne an anderer Stelle weiter diskutieren, um im Thread nicht noch einen Schlenker zu machen.
die homogenität,
die gleich-stellung der abhängig-schaffenden
ist ein phantom, das nicht nur durch interessierte kreise
konterkarriert wird, nicht nur durch spezifische lagen
und individualisierende perspektiven.
die beschwörung der einheit der ausgebeuteten
hat für mich manchmal etwas
von der blind-heroisch-begeisterten zwang-haftigkeit
der volks-gemeinschafts-ideologie.
das absehen von einer materiell-begründeten pluralen struktur
der der kapitalistischen reproduktion unterworfenen
führt zu illusionären strategien und verleugnungen. oder?
hinzu kommen dann noch andere illusionen über ein
friedens-/harmonie-streben, das allen menschen
bedingungslos unterstellt wird und für egoismen keinen blick hat.
>>Mit der Rolle der Gewerkschaften bei der Agenda haben sie sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert.<<
Das hat viel damit zu tun, dass Funktionäre der DGB-Gewerkschaften gleichzeitig Mitglied, oft auch mit Funktion, der „S“PD sind. Immer wenn die „S“PD an einer Regierung beteiligt ist werden diese Doppelfunktionen für die Gewerkschaftsarbeit hinderlich, manchmal extrem kontraproduktiv.
>>Vielleicht sollten Gewerkschaften sich am Ziel der Vollbeschäftigung orientieren, bei ihren Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung, und eben über ihre Mitgliederschaft hinaus.<<
Die GDL hat das auf dem Schirm, nicht nur verbal: Eine Streikforderung war auch der Verkürzung der Regelarbeitszeit. Natürlich haben die GDLer für sich gestreikt und nicht für Andere. Eine Gewerkschaft ist ihrem Wesen nach eine Interessenvereinigung (wenn sie funktioniert) und keine karitative Institution.
>>In manchen Unternehmen, ich war auch in einem, arbeitet man mit allen Mitteln, um die Bildung von Betriebsräten und gewerkschaftlicher Organisation zu unterdrücken.<<
Das unternehmen sie gerne, ja. Damit durfte ich auch ein paar Erfahrungen sammeln.
>>…hinzu kommen dann noch andere illusionen über ein friedens-/harmonie-streben, das allen menschen bedingungslos unterstellt wird und für egoismen keinen blick hat.<<
Egoismus wäre, wenn lohnarbeitende Profitgeber ihre Interessen vertreten* und kein Interesse für die Belange der Profitnehmer haben. Von Profitnehmerseite wird altruistische Hingabe an die Bedürfnisse der Profitnehmerei verlangt. Allzuviele lassen sich darauf ein.
*und das geht eben nur organisiert und nicht als Einzelindividuen, die der geballten Macht des Kapitals hilflos gegenüberstehen...
Das ist eine andere Art Internationalismus, denn hier gibt es ja eine reale ökonomische Basis. Die tschechischen und österreichischen Lokführer wissen dass sie als nächste ausgebootet werden wenn sie der GdL in den Rücken fallen. Auch bei der Opelübernahme scheint es eine gewisse Solidarisierung der französischen Arbeiter zu geben. Wenn da Standorte gegeneinander ausgespielt werden kann man als Arbeiter langfristig nur verlieren, selbst wenn man kurzfristig auf der Siegerseite steht. Solidarität kommt hier letztlich allen zugute denn es geht um einen klaren Interessengegensatz und so eine Einsicht lässt sich auch leicht verbreiten. Solidariät mit Kriegsflüchtlingen oder auch Drittweltstaaten dagegen ist eine eindimensionale Sache. Sie kann nur an das Gewissen appellieren und hat es damit grundsätzlich schwerer.
Danke.
Wie ich heute auf ARTE (in ARTE und um ARTE herum...in einem Bericht) erfahren und lernen durfte, zählt nun wohl auch schon "das gegenseitige aufeinander Rücksicht nehmen" zu "sozialistischen Errungenschaften"!
Nur mal so als Ergänzung erwähnt^^.
Und mal sehen, was der neoliberal versaubeutelte Ungeist demnächst sonst noch so via ARTE (und auf ARTE,in ARTE und um ARTE herum...), dem Sender für die deutschen Intellentüllenstuben, als "sozialistisch" herabwürdigt. Andere mit "Guten Tag" grüssen oder Menschen ohne Arbeit leben lassen evtl.?