Es war immer klar

Atommüll Gorleben kommt als Endlager-Standort nicht mehr infrage. Dass darum überhaupt jahrelang gerungen werden musste, ist ein ungeheurer Skandal
Ausgabe 40/2020
Metzingen im Wendland: Hier zeigt eine Installation, was wirklich über den Castor-Behältern schwebt
Metzingen im Wendland: Hier zeigt eine Installation, was wirklich über den Castor-Behältern schwebt

Foto: anemel/Imago Images

Es ist jetzt heraus: Im Zwischenbericht „Teilgebiete“ der Bundesgesellschaft für Endlagerung – von Atommüll – wird Gorleben, der über Jahrzehnte umkämpfte Standort, nicht mehr genannt. 90 Gebiete werden zur Untersuchung freigegeben, die sich zu 54 Prozent der Fläche der Bundesrepublik summieren, zum Salzstock Gorleben aber erklärt Steffen Kanitz (CDU), ein Aufsichtsrat dieser Bundesgesellschaft, der Ort sei ungeeignet wegen seiner Gewässerchemie, eines nicht intakten Deckgebirges und anderer geologischer Mängel. Das ist ein großer Sieg derer, die sich gewehrt haben, und nicht zuletzt der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, die ihre Organisationskraft einbrachte.

Dass dieser Kampf überhaupt ausgetragen werden musste, ist ein ungeheurer Skandal. Denn daran, dass Gorleben ungeeignet war, bestand nie ein Zweifel. Gab es nicht einen Bericht von Fachleuten, welche Orte infrage kommen könnten, schon Mitte der 1970er Jahre? In dem wurde auch Gorleben an den Kriterien gemessen, die vorgegeben waren, und erhielt 32 von 266 Punkten. Es schied also aus. Gorleben lag aber in einer wenig besiedelten Gegend, die zum an die DDR grenzenden „Zonenrandgebiet“ gehörte: Deshalb glaubte der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU), man könnte die Sache quasi unbemerkt von der Öffentlichkeit dort durchziehen. Dass der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) erhebliche Bedenken äußerte, scherte ihn nicht. Helmut Schmidt machte darauf aufmerksam, dass der Salzstock in die DDR hineinreichte und dass diese dort Erdgasbohrungen durchführen ließ, wodurch die Höhlen unter Gorleben noch zusätzlich gefährdet waren.

Noch am 8. November 1976 benennt eine vertrauliche Kabinettsvorlage des niedersächsischen Landeswirtschaftsministers Walther Leisler Kiep (CDU) unter drei Salzstöcken als möglichen Standorten Gorleben nicht mit. Am 11. November bringt aber derselbe Mann in einer Runde, zu der auch Bonner Minister angereist sind, Gorleben „als vierte Möglichkeit“ ins Spiel. Am 18. November wird der Ort handschriftlich in ein TÜV-Gutachten eingetragen, in dem er bis dahin nicht stand, und hat plötzlich, aus unerfindlichen Gründen, die zweithöchste Punktzahl. In einer zweiten Version desselben Gutachtens rangiert er ganz oben. Am 17. Februar 1977 schreibt Helmut Schmidt an Ernst Albrecht, Gorleben sei „ungeeignet“. Dennoch entscheidet sich die Landesregierung am 22. Februar für diesen Standort.

So wurde in der Bundesrepublik Politik gemacht – und wer nun glaubt, das sei Vergangenheit, kann sich gewaltig täuschen. Zeigt doch der Rückblick im Gegenteil, dass Politiker imstande sind, ein wissenschaftliches Gutachten, wie auch heute wieder eins vorliegt, ganz einfach zu ignorieren.

Es geschieht ja bereits. In seinem Land jedenfalls, so Markus Söder (CSU), der bayerische Ministerpräsident, gebe es keine geeigneten Standorte. Und dann hat er Nerven, die Herausnahme Gorlebens aus dem Suchprozess zu kritisieren. Dass die Ergebnisse einer jahrzehntelangen Erkundung in Gorleben nun nicht mehr berücksichtigt würden, könne er nicht nachvollziehen. Mit andern Worten, der Umstand, dass die Politik gegen jede Vernunft und Redlichkeit an Gorleben festhielt, soll ein „Argument“ sein – ja, er nimmt das Wort „Argumentation“ in den Mund –, es auch weiterhin zu tun. Bemerken wir nebenbei noch, dieser Mann will möglicherweise Bundeskanzler werden. Gute Nacht, Deutschland, kann man da nur sagen.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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