Es wird ich sein

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"'Wüstenbuch' von Beat Furrer und Christoph Marthaler in Basel uraufgeführt", stand über der Besprechung der FAZ vom 17. März, unüblicherweise, als hätte Marthaler mitkomponiert. Doch nicht nur, weil er eine Berühmtheit ist, sondern auch wegen der Qualität seiner Inszenierung war es gerechtfertigt. Als das "Musiktheater" zehn Tage später in Berlin gegeben wurde, war das Bühnenbild dasselbe: der Keller eines Hotels, darüber drei große Fensterlöcher, durch die man in triste Hotelzimmer schaut, alles in der Hässlichkeit von Beton, Metalltüren und den furchtbaren Farben der Überdecken von Hotelzimmerbetten gehalten. Man kann sagen, das sei in der Tat eine "Wüste", doch Marthalers Hauptgedanke war es wohl, an Sartres Huis clos, Geschlossene Gesellschaft nach dem deutschen Titel, anzuknüpfen: das Drama, in dem ein Hotelzimmer die Hölle bedeutet. Deshalb ließ er die Schauspieler immer wieder vergeblich versuchen, sich oder anderen die Zigarette anzuzünden, was im physischen Nichts eines Totenreichs natürlich nicht geht; deshalb hielten sie die Fotoapparate direkt an die Wand, es war eben sowieso klar, dass die Bilder unbelichtet sein würden.

Bei Sartre entdecken die drei Höllenbewohner einmal, dass die Hotelzimmertür sich sogar öffnen lässt, einer rennt auf den Flur hinaus, kehrt aber bald um, denn die Flure sind endlos und führen nicht hinaus. Marthaler lässt die Schauspieler am Anfang einzeln und in großem Abstand voneinander rechts herein-, links herauslaufen und das hört nicht auf, weil sie im Kreis gehen; wer links verschwindet, kommt rechts wieder herein. Sartre schreibt: "Die Hölle, das sind die anderen." Er bringt einen Mann und zwei Frauen auf die Bühne, die eine ist lesbisch, die andere schwankt zwischen ihm und ihr, so haben sie einander das Leben vergiftet und das geht in der Hölle endlos weiter. Marthalers Schauspieler zerstören ihr Leben dadurch, dass sie nicht einmal in die Nähe einer Beziehung zueinander gelangen. Wenn mal zwei auf demselben Sofa sitzen, wendet sich die eine ab. Manchmal tanzen Mann und Frau miteinander und verschwinden anschließend hinter der Kellertür, doch die Stummheit und Ausdruckslosigkeit, in der es geschieht, sagen schon alles. Das brutale Hauptbild der Szene ist die Frau, die mit dem Feuerlöschgerät tanzt, immer wieder, ebenso stumm und von den anderen unbeachtet. Lauter Einzelne, nichts und niemand sieht hin, vor allem nicht die Nebenmenschen - ein grausiges Ballett.

Der Bühnenaufbau ist mehr Flächenmosaik in der Draufsicht, als dass er in die Tiefe führte. Damit man nicht primär auf den Bühnenboden schaut, ragen auch die Zuschauerbänke hoch hinaus wie in einer Arena. Wenn dann die Blicke von Rechteck zu Rechteck gleiten, weil mal im einen, mal im andern Hotelzimmerfenster jemand auftaucht und nichts geschieht, erweist sich das Verhältnis zu Furrers Musik, ja überhaupt zur aktuellen Musik als kongenial. Denn diese hat ebenfalls den Charakter zusammengefügter Bildteile, über welche die Musik mit Augen gleitet, ohne einen Zeitablauf zu suggerieren; ich habe es im vorigen Eintrag beschrieben. Ein "rissiges Ewigkeitsbild" ist diese Bühne allemal. Eben ein Bild der Hölle. Rissig, kann das denn alles gewesen sein? Einmal stellen sich die Schauspieler gebannt vor der offenen Kellertür auf, durch die ein Lichtstrahl fällt. Das bleibt folgenlos, aber immerhin, die Hoffnung ist doch nicht gebrochen. Bei dieser Szene denke ich an das Gemälde Die Erwartung von Richard Oelze, zu dem mein kleiner Kunstführer schreibt, es verschmelze "Jenseits-Landschaften mit anthropomorphen Strukturen".

Überhaupt gemahnt gerade ein Hotel, mag es noch so trist sein, daran, dass die Hölle wirklich nicht alles, sondern das Negativ des Himmels ist, von dem es in der Bibel so hoffnungsvoll heißt: "In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen." Aber der Himmel ist eben weit entfernt - was nicht heißt, dass man mit dem Raumschiff zu ihm gelangen könnte, wie jene andere Inszenierung vorschlägt, über die ich am 24. März geschrieben habe.

Auch Furrers Hoffnung bleibt sparsam, seine Musik, die wunderbar durchsichtig ist, erlaubt sich nur Übergänge zur etwas lieblicheren Klangfarbe bei gleichbleibend zackigem Motiv. Sie klingt, als sei sie aus ganz wenigen Bausteinen entwickelt. Das Projekt soll daraus hervorgegangen sein, dass Jan Assmann, der bekannte Ägyptologe, den Komponisten auf einen altägyptischen Text hinwies, den er im Programmbuch ausführlich erläutert und dessen entscheidende Passage ins Libretto eingearbeitet ist. Es geht um einen Mann, der unwillig den Tod nahen sieht; erst kämpft er darum, einen Aufschub zu erwirken, weil er sein irdisches Nachleben sichern will, dann erkennt er die Illusion - denn das Leben ist schon selber das Nachleben - und sagt schließlich: "Der Tod steht heute vor mir, / (wie) wenn ein Kranker gesund wird, / wie das Hinaustreten ins Freie nach dem Eingesperrtsein."

Die Frage bleibt, ob man zur Hölle oder zum Himmel hinaustritt und, näher an der Inszenierung, ob es möglich ist, von der Hölle aus in den Himmel zu kommen. Möglich allemal, es ist nur eine weitere Umschreibung von Utopie. Der Himmel, das wären die anderen. Im Libretto sind viele Texte zitiert, am meisten Ingeborg Bachmanns Erzählung ihrer Ägyptenreise, in der es Stunden des Glücks und Momente äußersten Entsetzens gibt, die einander nicht aufheben. "Auf dem Bahnhof in Kairo habe ich eine Frau gesehen, auf den Knien, gefesselt, mit Stricken gebunden", "mit einem langen schönen Kopf, der war so hochgereckt, weil der Mann ihre zusammengebundenen Haare gehalten hat", "ich habe gesagt, aber dieser Mann muss verrückt sein, aber der Mann hinter mir, der mich verstanden hatte und auch stehenblieb, sagte gutmütig, nein, sie ist verrückt, nicht der Mann." Sie hat eine Liebesbegegnung mit zwei Männern: "Wir haben aus einem Teller gegessen. Wir haben geteilt und nicht gebetet, nichts zurückgeschickt, keine Bohne stehengelassen, nichts weggenommen, nicht vorgegriffen, nicht nachgenommen."

Händl Klaus hat alle Texte zusammengestellt und auch eigene Lyrik eingearbeitet, zum Beispiel dieses Bild vom Lebensweg: "man gab mir Dinge zu kosten, / die ich nicht kannte, / Stücke, / von Schalen, / einmal, / und einmal, / waren es Federn, / einer toten Taube, / ihre Milben sprangen, / über meine Zunge, / oder man legte, / mir Salz auf die Lippen / ich kann nicht / sagen wo ich bin / weil ich mir / gesagt habe // dass ich / nicht wissen darf / wohin ich gelange / oder ich finde zurück // was ich nicht will / weil ich nicht / gegangen wäre / wenn es anders wäre" - und da ich mich, wenn ich das lese, ans vielzitierte Ende von Becketts Roman Der Namenlose erinnere, soll auch der hier ein weiteres Mal zitiert werden, schon weil es ein grandioseres Sprachbild von Utopie nicht geben dürfte:

"... ich weiß nicht, es ist ein Traum, es ist vielleicht ein Traum, es würde mich wundern, ich werde erwachen im Schweigen, nie mehr einschlafen, es wird ich sein, oder weiterträumen, ein Schweigen träumen, ein Traumschweigen, voller Gemurmel, ich weiß nicht, es sind Worte, nie mehr erwachen, es sind Worte, es gibt nichts anderes, man muss weitermachen, das ist alles, was ich weiß, sie werden aufhören, ich kenne das, ich fühle, dass sie mich loslassen, es wird das Schweigen sein, eine kurze Weile, eine ganze Weile, oder es wird meines sein, das währt, das nicht gewährt hat, das immer noch währt, es wird ich sein, man muss weitermachen, ich kann nicht weitermachen, man muss weitermachen, ich werde also weitermachen, man muss Worte sagen, solange es welche gibt, man muss sie sagen, bis sie mich finden, bis sie mir sagen, seltsame Mühe, seltsame Sünde, man muss weitermachen, es ist vielleicht schon geschehen, sie haben es mir vielleicht schon gesagt, sie haben mich vielleicht bis an die Schwelle meiner Geschichte getragen, vor die Tür, die sich zu meiner Geschichte öffnet, es würde mich wundern, wenn sie sich öffnete, es wird ich sein, es wird das Schweigen sein, da wo ich bin, ich weiß nicht, ich werde es nie wissen, im Schweigen weiß man nicht, man muss weitermachen, ich werde weitermachen."

http://img231.imageshack.us/img231/9591/wstenbuch.jpg
(Foto: Kai Bienert)

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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