Nach der ersten Hochrechnung ist ein Scheitern der FDP an der Fünf-Prozent-Hürde schon recht wahrscheinlich geworden, während es nicht ausgeschlossen ist, dass der Alternative für Deutschland (AfD) der Einzug in den Bundestag knapp gelingt. Wie immer das amtliche Endergebnis ausfallen mag und welche Regierungskoalition immer auf seiner Basis gebildet werden wird, können wir jetzt schon festhalten, dass sich die Wählerschaft, die das bisherige Bündnis von Union und FDP trug, in bemerkenswerter und folgenreicher Weise neu ausdifferenziert hat.
Der Entstehung und Erfolgsgeschichte der AfD ist vorausgegangen, dass die Bundeskanzlerin, die bis dahin in den Umfragen nicht glänzend dastand, sich seit dem Herbst 2011 als Sachwalterin der europabezogenen deutschen Angelegenheiten aufbauen ließ und selbst aufbaute. Seit das geschehen war, stiegen ihre Werte unablässig und wurde sie schließlich uneinholbar für irgendeinen SPD-Konkurrenten. Sie war diejenige, die sich um den Euro sorgte; mit welchem Konzept, blieb in mancher Hinsicht durchaus zweideutig. Es war vor allem unklar, ob sie „zu viel“ deutsche Unterstützung für schwächelnde EU-Staaten wirklich ablehnte oder es ihr nur darum ging, deutsche Finanzzusagen verzögert abzugeben, damit die Wähler jedenfalls sahen, wie sehr sie sich um „deutsche Interessen“ sorgte. Diese Zweideutigkeit dürfte ihr mehr Wähler zugeführt haben, als ihr bei einem klareren Standpunkt gefolgt wären. Klar ist allerdings, dass sie Eurobonds ablehnt.
Nun hätte man meinen können, diese Selbststilisierung Angela Merkels als Europapolitikerin würde der FDP nützen. Vor dem Herbst 2011 hatte die Regierungskoalition immer wieder wegen der Frage in den Schlagzeilen gestanden, ob die FDP sich mit ihren Steuersenkungsplänen durchsetzen oder von der Union ausgebremst werden würde. Sie war entschieden, denn der Absturz der FDP in den Umfragen musste die FDP-Führung selber zur Suche nach einem neuen Image veranlassen. Indem die Kanzlerin Europapolitikerin wurde, entstand ein Windschatten für diese Suche. Das Themenfeld war verändert, andere – europa- statt innenpolitische – Kontroversen spielten sich in den Vordergrund. Es ging von da an viel mehr um den Euro als um deutsche Steuerfragen. Oder anders: Weil es um den Euro ging, war die interessante Frage nicht mehr, ob Steuern gesenkt werden, sondern wie weit sie, als deutsche Steuern, für europäische Finanzhilfen haften sollten. Der Themenwechsel verringerte die Spannungen innerhalb der Regierungskoalition beträchtlich, und tatsächlich holte die FDP seitdem in den Umfragen auf. Noch vor kurzem schien es, sie würde ohne Schwierigkeit in den neuen Bundestag einziehen.
Doch die Veränderung des Themenfelds bedeutete, dass die Frage der Steuerpolitik nunmehr zur „nationalen“ Frage geworden war oder jedenfalls gemacht werden konnte. Das tat die AfD und war damit erfolgreich. Ihr Vorschlag, die Eurozone aufzulösen, traf offenbar einen wunden Punkt in Angela Merkels Konzept und brachte die Strategie, die sowohl ihr als der FDP hatte helfen sollen, zum Scheitern. Heute steht die FDP zwar weniger in der Kontroverse als noch vor zwei Jahren, doch wie sich zeigt, ist sie nun überhaupt nicht mehr in brennend interessante Kontroversen verwickelt. Die Wähler, die Merkels Euro-Politik interessant finden, finden eben deshalb viel interessanter, wie die AfD dazu Stellung nimmt, als was von der FDP kommen mag.
Was bedeutet das? Eine erste Schlussfolgerung wäre, dass sich auch die linken Parteien, Linke, SPD und Grüne, noch viel stärker als bisher auf das Thema Europa fokussieren müssen. Und nicht nur stärker, sondern auch qualifizierter. Zur Zeit ist die Debattenlage noch so, dass sich Euro-Politik à la Merkel, Politik gegen den Euro (AfD) und für Eurobonds (linke Parteien) miteinander streiten. Es könnte vielleicht weiterführen – sowohl Merkel als der AfD das Wasser abgraben –, wenn die linken Parteien auch einige Zwischenwege prüfen würden. So den Vorschlag, schwächelnde Staaten zeitweise in jenes Vorstadium der Eurowährung zurückzuversetzen, wo man immer schon partiell an sie gebunden ist und sie später (erneut) übernehmen wird, vorerst aber die Möglichkeit gewonnen hat, eine (zwischenzeitliche) nationale Währung abzuwerten. Oder wenn es bei der Forderung nach Eurobonds bleiben soll, die eine Form von innereuropäischem Finanzlastenausgleich wären, müssten Schlussfolgerungen daraus gezogen werden, dass ein solcher Ausgleich die politische Union voraussetzt (wie an Deutschland zu sehen). So oder so wird deutsche Politik in den nächsten Jahren noch mehr als bisher europabezogene Politik sein. Alle linken Parteien sollten das ganz ernst nehmen.
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