Finanztransaktionssteuer? Ohne Merkel (Tagebuch der Krise)

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Um die "Tobin-Tax" durchzusetzen, war Attac gegründet worden. Der US-amerikanische Ökonom James Tobin hatte 1972 eine Sondersteuer auf Devisengeschäfte gefordert, um die Märkte vor negativen Auswirkungen kurzfristiger Kapitalbewegungen und Spekulationen zu schützen. Man hörte nicht auf ihn, man fuhr munter fort, die Börse noch weiter zu deregulieren. In Deutschland hat bis 1991 eine Börsenumsatzsteuer bestanden. 0,1 Prozent vom Kurswert wurden für öffentliche Anleihen, 0,25 Prozent für andere festverzinsliche Papiere und für Aktien berechnet. Die damalige schwarz-gelbe Regierung schaffte sie ab.

Zwanzig Jahre später ist wieder eine schwarz-gelbe Regierung am Ruder, die nun, so scheint es, der Tobin-Tax zum Durchbruch verhelfen will. Und man ist geneigt, ihr zu glauben. Seit dem Ausbruch der der Weltwirtschafts- und -finanzkrise haben sich ja immer wieder Spitzenfunktionäre zur "Finanztransaktionssteuer" bekannt. Bei nicht wenigen handelt es sich freilich um ein Lippenbekenntnis, denn nie vergessen sie den Zusatz, die Steuer habe natürlich nur Sinn, wenn sie weltweit eingeführt werde. Diese Menschen wissen genau, dass damit auf absehbare Zeit nicht zu rechnen ist, da die gesamte angelsächsische Welt dagegen ist - die USA, Kanada, Australien, Großbritannien. Und auch einige Schwellenländer wie Indien, Mexiko und die Türkei sind dagegen. Im September vorigen Jahres hat aber die EU-Kommission Vorschläge vorgelegt, die zeigen, dass auch eine nur in der EU eingeführte Finanztransaktionssteuer hinreichend viel Wirkung erzielen würde. Großbritannien legte zwar Widerspruch ein, der französische Staatspräsident Sarkozy machte jedoch Druck, indem er ankündigte, Frankreich werde die Steuer notfalls auch im Alleingang einführen. Nachdem er das getan hatte, gab Angela Merkel erstmals zu Protokoll, sie befürworte den europäischen Alleingang, ja mehr noch, sie sei dafür, dass die Steuer notfalls nur in der Eurozone eingeführt werde, also ohne Großbritannien.

Das war der Stand der vorigen Woche, und da schien es, als habe sich die Kanzlerin an die Spitze eines Zuges gesetzt, der bereits "abgefahren ist", wie man zu sagen pflegt. Wer wollte die deutsch-französische Initiative noch aufhalten? Die FDP stellte sich zwar quer, aber über deren Widerstand hat sich die Union schon häufiger hinwegsetzen können. Das ist ja der Grund, weshalb die Westerwelle-Partei auf zwei Prozent abgesackt ist. Da auch die SPD Unterstützung für die Kanzlerin signalisierte und da der FDP nicht daran gelegen sein kann, den Trend zur Großen Koalition noch mutwillig zu befördern, deutete alles darauf hin, dass ein windiger Kompromiss zustande kommen würde, in dem die FDP-Position faktisch geopfert wäre und die Union wieder einmal, bei einigen kosmetischen Zugeständnissen, den Ton angegeben hätte. Es kam jedoch genau umgekehrt.

Was am Wochenende ausgekungelt wurde, erfuhr die Öffentlichkeit aus diesen Worten des Regierungssprechers Steffen Seibert: In der Bundesregierung werde jetzt über eine Steuer nur auf den Aktienhandel nachgedacht. Dies könne helfen, auch die Briten ins Boot zu bringen. Bundeswirtschaftsminister Rösler, FDP, habe es vernünftigerweise vorgeschlagen.

Rösler selbst hatte sich deutlicher ausgedrückt. Es gehe darum, "gemeinsam mit den Briten und den anderen europäischen Staaten über das britische Modell zu sprechen", sagte er der Rheinischen Post.

Mit andern Worten, der Widerstand der Briten wird dadurch gebrochen, dass man den eigenen Widerstand gegen die Briten aufgibt. Der Position Sarkozys, Merkels, der EU-Kommission und übrigens auch des EU-Parlaments wird dadurch zum Sieg über die britische Position verhelfen, dass man diese übernimmt. Ein schöner Sieg wäre das, ganz ohne Streit würde man ihn erzielen, das ist immer wünschenswert. Streit? War da was? Es stellt sich ja heraus, dass man immer schon einig war!

Was sich in diesem Manöver zeigt, ist, dass auch Angela Merkel der Finanztransaktionssteuer nur zum Schein zugestimmt hat. Sie will sich verständlicherweise nicht gegen die Öffentlichkeit stellen, aber davon, dass sie der Steuer zum Durchbruch verhelfen will, kann keine Rede sein. Ihr hilft, dass sie die Unklarheit der Terminologie gezielt ausnutzen kann. Es wird ja nicht mehr von der Tobin-Tax gesprochen, sondern von der "Finanztransaktionssteuer". Eine solche hat, rein etymologisch gesehen, in der Tat auch Großbritannien, sie wird dort "Stempelsteuer" genannt. Auf den Kaufpreis von Aktien werden 0,5 Prozent erhoben. Handelsgeschäfte von Zwischenhändlern sind jedoch ausgenommen, und damit der gesamte automatisierte Hochfrequenzhandel an der Börse. Auch derivate Geschäfte auf Aktien sind ausgenommen. Mit andern Worten, genau das, was mit der Tobin-Tax verhindert werden würde, wird nicht verhindert - genau die Gefahren, die in der Weltfinanzkrise für jedermann sichtbar geworden sind, bleiben bestehen. Und die Regierung Merkel schließt sich dem an.

Merkel hatte sich bis zur vorigen Woche ohnehin nie positiv zur "Finanztransaktionssteuer" geäußert. Nur von Finanzminister Schäuble war sie befürwortet worden. Einen nationalen Alleingang, wie ihn Sarkozy jetzt erwägt, schloss er zwar aus, doch für einen europäischen Alleingang setzte er sich frühzeitig ein. Er hat sogar schon die Milliardeneinnahmen, die aus der Steuer zu erwarten wären, in den Bundeshaushalt eingestellt. Die Kanzlerin indessen reagierte jetzt nur auf den französischen Vorstoß. Sie konnte gar nicht anders. Sarkozy hatte gesagt, er wolle notfalls a u c h o h n e D e u t s c h l a n d handeln. Vielleicht drückt er seinerseits nur aus Wahlkampfgründen aufs Tempo, aber das war für die Kanzlerin kein Trost, da Hollande, der sozialistische Präsidentschaftskandidat, wenn er siegen sollte, erst recht aufs Tempo drücken würde. Also musste Merkel wenigstens zum Schein Ja sagen. Sie fügte freilich gleich hinzu, sie habe auf die Position der FDP Rücksicht zu nehmen. Da hätte man schon misstrauisch werden können. Ihre eigene Partei wurde es nicht, mehrere Granden äußerten, mit der FDP werde man schon einig werden. Für die SPD erwartete der Parlamentarische Geschäftsführer Oppermann, dass das Übliche passieren würde: "Die FDP kippt bei der Finanztransaktionssteuer um." Ist nun stattdessen Angela Merkel umgekippt? Sollen wir das glauben? Aus Angst vor der Zwei-Prozent-Partei? Nein, sie hat sich durchgesetzt, mit Hilfe der FDP.

Wogegen sie sich durchgesetzt hat, wurde von Peter Wahl, dem Leiter des Arbeitsbereichs Finanzmärkte bei Attac Deutschland, in einem soeben erschienen lesenswerten Aufsatz der Schweizer Zeitschrift WIDERSPRUCH, Ausgabe 61/2012, noch einmal in Erinnerung gerufen. Zunächst einmal gegen die Bevölkerungen. Selbst in Großbritannien wird die Finanztransaktionssteuer, und damit ist nicht die "Stempelsteuer" gemeint, von 65 Prozent befürwortet. In Frankreich von 69 Prozent, in Deutschland von 71 Prozent, in Österreich von 80 Prozent. Sodann hat sich Merkel durchgesetzt gegen die Einsicht, mit der die EU-Kommission den sehr guten Sinn einer Finanztransaktionssteuer auch nur innerhalb Europas - und der Schluss drängt sich auf: auch nur innerhalb der Eurozone - dargelegt hatte. Tatsächlich sind die Chancen der Umgehung gerade bei dieser Steuer geringer als bei anderen: "Grund dafür ist, dass die Finanzindustrie für ihre Geschäfte selbst sehr sichere Verfahren für die Durchführung von Transaktionen entwickelt hat. So wurden technische Plattformen [...] entwickelt, über die alle Transaktionen durchgeführt werden. Damit hätten aber die Zentralbanken elektronischen Zugang zu allen Transaktionen und könnten - ähnlich einem elektronischen Strichcode, wie man ihn auf jedem Preisschild im Supermarkt findet - automatisch und praktisch ohne Mehrkosten die Steuer abbuchen und an den Staatshaushalt überweisen."

So einfach wäre das. "Bei der Erhebung der Steuersoll die sogenannte accrual rule angewendet werden", stellt Wahl den Vorschlag der EU-Kommission dar. "Das bedeutet, dass die Steuer in Echtzeit anfällt, sobald eine Transaktion stattfindet. [...] Damit werden vor allem häufig wiederholte spekulative Operationen, vorneweg der Hochfrequenzhandel, getroffen. Wenn ein Computer also tausend Transaktionen am Tag durchführt, fällt auch die Steuer tausend mal an." "Ein weiterer Pluspunkt der Direktive ist das Sitzlandprinzip. Das bedeutet, dass jede Transaktion, bei der zumindest der Käufer oder Verkäufer aus dem Geltungsbereich des Gesetzes kommt, besteuert wird. Kommen beide aus dem Geltungsbereich, wird die Steuer auf beide aufgeteilt. Ist nur einer steuerpflichtig, so hat er den Anteil des anderen mit zu übernehmen. Damit wird auch ein Geschäft mit einem Partner in Singapur oder auf den Bermudas besteuert, wenn ein Handelspartner aus Europa kommt."

Mit solchen Regeln könnten sehr viele, wenn auch nicht alle Umgehungen verhindert werden. Das wäre ja wohl ein Grund, sie einzuführen. "Nun kann jede Steuer umgangen werden", schreibt Wahl, "und wird ja auch tatsächlich umgangen. Deshalb käme aber niemand auf die Idee, die Lohnsteuer, die Mehrwertsteuer oder andere Massensteuern abzuschaffen." Warum hört man dann so oft das Argument, eine Finanztransaktionssteuer sei nur sinnvoll, wenn sie weltweit eingeführt werde, ohne Schlupflöcher, ohne Umgehungsmöglichkeiten? Aber man hört es ja nur von den Vertretern des Finanzkapitals. Die werden nicht müde, vor der Steuer zu "warnen", die ihnen den Profit schmälern würde. Die Kanzlerin, statt sie in die Schranken zu weisen, gibt ihnen nach.

In der Reihe "Tagebuch der Krise" schon erschienen:
Stuttgarter Impressionen (2.11.2010)
Protest ohne Partei (9.11.2010)
Atempause in Deutschland (6.1.2011)
Plan C (19.10.2011)
Wie ist es zur Finanzkrise gekommen? (2.11.2011)

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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