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MaerzMusik 2014 Das diesjährige Festival wurde mit Enno Poppes "IQ", der "Testbatterie in acht Akten", eröffnet. Der Komponist stand am Dirigentenpult

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Eine gute Woche lang berichte ich wieder von der Berliner MaerzMusik, dem "Festival für aktuelle Musik" vom 14. bis 23.3., das sich diesmal schwerpunktmäßig mit Berlin als einem "globalisierten Ort innovativer Musikausübung" befasst und "Arbeiten besonders auch jüngerer musikalischer 'Immigranten'" vorstellen will. So unspezifisch das zunächst klingt, bietet es doch die Chance zu erfahren, wie die Gegenwart in der Kunst auftaucht und wie sich deren Sprache zur Zeit entwickelt. Interessant wird die Woche auch durch mehrere Musiktheater-Aufführungen und eine Stummfilm-Musik. Gestern bereits wurde IQ von Enno Poppe aufgeführt, die "Testbatterie in acht Akten", komponiert 2011/12, und da sieht man schon, dass auch bekannte Namen auf dem Festival nicht fehlen. Ich werde außerdem berichten von Mela Meierhans, Jenseitstrilogie III (2013), Michael Wertmüller, Anschlag (2012/13) und Johannes Kalitzke, Die Weber (2012, zum gleichnamigen Stummfilm von Friedrich Zelnik, 1927). Dazu kommen Konzerte, gespannt bin ich etwa darauf, wie sich ein Stück "für 9 Klaviere" anhören mag (Makiko Nishikaze, morepianos I, II, 2013). Das letztgenannte Konzert ist, wie ich hörte, längst ausverkauft, für IQ von Poppe aber, das heute Abend noch einmal aufgeführt wird, gibt es Karten.

Ich fasse mich deshalb kurz und empfehle nur, es sich anzusehen. Über diese musikalische Auseinandersetzung mit dem quantitativen Intelligenzbegriff lohnt es sich länger nachzudenken. Ich komme nächste Woche darauf zurück. Hier nur eine Skizze: Musik selber ist quantitativ, doch auf andere Art, und das wird vorgeführt. Eine Testaufgabe verlangt, "einer Reihe von Tönen aufmerksam zu folgen" und "die einzelnen Tonfolgen im Anschluss an das Hören so bald wie möglich ohne Aussetzer nachzuspielen". Dabei befinden sich die Tester, meist hinter ihren Apparaten verschanzt, auf der linken Bühnenseite, während rechts die Getesteten an Schulbänken sitzen. Zur Testung kommen sie einzeln nach vorn. Es sind die Musiker mit ihren Instrumenten, die vorher im Orchestergraben gesessen haben und dahin auch wieder zurückkehren. Wahrlich folgen sie den Tonreihen aufmerksam. Auch damit, so bald wie möglich und ohne Aussetzer zu reagieren, haben sie kein Problem. Aber wie fassen sie den Ausdruck "nachspielen" auf? Nicht so, wie man beim Ohrenarzt ein geflüstertes Wort wiederholt.

Die "Intelligenz" der Musiker besteht sicher auch darin, dass sie eine Vorgabe so identifizieren können, wie sie ist, geht aber doch ein wenig darüber hinaus. Schon wo sie anfangs wirklich nur wiederholen, wird das deutlich. Die Vorgabe ist von maschineller Eindimensionalität, gefühllos trockene Klänge, die sich elektronisch anhören, aber wohl von einer Orgel herrühren. Die Wiederholung der Musiker hält sich an den Tonhöhenverlauf, bringt etwa ein Vibrato hinein und schon haben wir eine sensible Melodie. Bald gehen sie dazu über, die Vorgabe polyphon zu begleiten, zuletzt auch im kleinen Ensemble. Nachspielen heißt variieren - das ist die Art, wie Musik auf Musik reagiert. Man vergleiche das Anfangsmotiv der Fünften von Gustav Mahler mit dem Anfangsmotiv der Fünften von Beethoven. Wenn Nachspielen Verändern heißt, wird dennoch nicht "das Thema verfehlt", obwohl wir uns dem Augenschein nach in der Schule befinden. Wie berechnen wir nun aber den "Intelligenzquotienten"?

Von Poppes Musik sei nur gesagt, dass sie gewohnte musikalische Gesten und Farbtöne, häufig auch aus dem Jazz, von ferne anklingen lässt, so dass der Zugang trotz avantgardistischer Kompositionsweise nicht schwer fällt, und dass sie ein überzeugendes Beispiel der Synthese von gewohnten Instrumentalklängen und mehr oder weniger puren Geräuschen bietet. So unmerklich fließt das Eine ins Andere, dass man sich noch den "Klang" der Schreddermaschine gefallen lässt. Er reißt im kompositorischen Geflecht keine Wunde auf. Es selbst, könnte man sagen, ist im Ganzen verwundet.

Berichte über die Berliner Festivals "MaerzMusik" und "Musikfest" ab 2010 finden Sie hier.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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