Fordern und Fördern

Müntefering gegen Beck Altkanzler Schröder hält noch immer die Fäden in der Hand

Am Dienstag Mittag sah es für einen kurzen Moment so aus, als bahne sich ein Rücktritt des Vizekanzlers und Bundesarbeitsministers an. Das klärende Gespräch, das Franz Müntefering mit dem SPD-Vorsitzenden Beck am Vormittag hatte führen müssen, war im entscheidenden Differenzpunkt ergebnislos geblieben. Beck bleibt bei der Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld für ältere Arbeitnehmer, Müntefering lehnt dies weiter ab, will stattdessen mehr Fördermaßnahmen, besonders Weiterbildung. Schon schien es, als stünde die große Koalition auf dem Spiel. Doch als der Vizekanzler um halb Drei seine Pressekonferenz gab, wirkte er sehr entspannt. Er hält seine Position aufrecht, er weiß, dass Beck sich auf dem Parteitag in einer Woche durchsetzen wird, und er tritt nicht zurück.

Das bedeutet nicht, dass er den Parteisoldaten spielt, obwohl ihm eine solche Haltung durchaus zuzutrauen wäre. Vielmehr versuchen Beck und er, das Zwischenergebnis ihrer Auseinandersetzung als Kompromiss anzusehen und nicht nur zu verkaufen. Für jemanden, der nicht selbst Sozialdemokrat ist, ist das zwar schwer begreiflich. Aber man muss sich in die Seele einer Partei versetzen, die es schon immer liebte, die Positionen des politischen Gegners nach dem Muster "Ja, aber auch das" zu verarbeiten, das heißt, sich die stets ehrlich gequälte Zustimmung durch Kompensationsleistungen vergüten zu lassen. Das erste Beispiel in der Geschichte der Bundesrepublik hieß "Westintegration ja, aber auch Ostpolitik". Das vorläufig letzte heißt: "Fordern ja, aber auch fördern".

Gerhard Schröder, der Urheber der ganzen Malaise, hatte am Vorabend in einer Rede zum 15. Todestag Willy Brandts an dieser Saite gezupft. Die Agenda 2010 sei der Weiterentwicklung zugänglich und nicht mit den zehn Geboten zu verwechseln, sagte er. Damit wollte er nicht wie die Parteilinke Nahles, die Ähnliches erklärt hatte, dem Vizekanzler in den Rücken fallen, sondern seine Botschaft war: Was immer ihr an der Agenda weiterentwickelt, ihr müsst die Balance von Fordern und Fördern einhalten. Er hat damit seinen Nachfolgern gezeigt, wie sie die Partei mit wenig Aufwand klassisch sozialdemokratischer Ideologie vor dem Auseinanderbrechen bewahren können. Und diese haben es dankbar aufgegriffen. Die zehn Punkte, die Beck nach dem Gespräch mit Müntefering verkündete, enthalten tatsächlich dessen Positionen neben der seinen: Für die älteren Arbeitnehmer soll es mehr Weiterbildung geben, und außerdem sollen sie länger Arbeitslosengeld erhalten. Auch Münteferings Anliegen, die Frühverrentung nicht wieder einreißen zu lassen, ist berücksichtigt.

Ist diese Einigung nun ein Teilerfolg Becks, gar ein erstes Rütteln an der Agenda? Beides darf stark bezweifelt werden. Wir geben die Einigung nicht mit "Fördern ja, aber auch fordern" wieder, sondern umgekehrt. Denn die Position der herrschenden Macht, mit der sich die Partei herumschlagen muss, ist nicht das Fördern, nicht die verlängerte Auszahlung. Im Gegenteil, das ist nur die Kompensation, die der Parteivorsitzende herausholen will, damit das so genannte und angebliche Fordern, sprich Hartz IV - der enger geschnallte Gürtel, der nach der Phantasie dieser Leute zu aufgeregterer Arbeitssuche und folglich zu mehr Arbeitsplätzen führt - weiter in Geltung bleiben kann. So konnte Schröder gelassen reagieren, hatte er die Kompensation, eben das Fördern, doch schon selber in seinen Sozialstaatsabbau eingebaut. Etwas weniger oder etwas mehr Kompensation, was tut´s? Zumal eh alles Parteitagslyrik bleiben wird. Denn kaum wird sich die Kanzlerin Becks Vorschlag anschließen, für Fördern und Fordern eine zusätzliche Milliarde locker zu machen.

Und es bleibt dabei, dass Müntefering regiert, nicht Beck.


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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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