Frau Merkel lügt

Kommentar Die USA-Reise der Oppositionsführerin

So hilflos rudert man hin und her, wenn man atlantische Partnerschaft - die sein muss - nur autoritär buchstabieren kann. Den Termin ihrer Reise nach Washington hat Frau Merkel nicht selbst bestimmt, sondern sich von der US-Regierung vorgeben lassen. Und sie spielte den ihr zugedachten Part. Sie war sich nicht zu schade, in einer US-Zeitung Gerhard Schröders Irak-Politik anzugreifen. Das fiel selbst im Unionslager unangenehm auf, denn Oppositionsführer sollen nicht in andere Länder reisen, um dort der eigenen Regierung in den Rücken zu fallen. Daher äußerte sich Frau Merkel, in Washington angekommen, auch zu Präsident Bushs Politik kritisch. In einer Rede warnte sie sogar die USA vor imperialen Gelüsten. Sie sieht also die Gefahr - aber sie tritt ihr nicht entgegen.

Zur Vorbereitung der Reise hatte sie am Montag, dem 17. Februar, eine neue Nebelkerze abgeworfen. Das war der Tag, an dem Frankreich und Deutschland die EU auf ihre Linie verpflichten konnten, die UN-Inspektoren müssten so viel Zeit erhalten, wie der Sicherheitsrat ihnen zuspreche. Dort ist eine große Mehrheit gegen die ultimative Begrenzung der Zeit, die den Schritt zum Krieg bedeuten würde. Frau Merkel aber stellte sich hin und behauptete, Schröder habe auf dem EU-Gipfel eine Kehrtwendung vollzogen, er folge jetzt der Politik des US-Präsidenten und der Union. Ihr Argument war ein Satz im Papier des Gipfels, ohne den Großbritannien es nicht unterschrieben hätte: Gewalt sei als letztes Mittel nicht auszuschließen. Frau Merkel weiß natürlich, dass jemand, der den Inspektoren Zeit geben will, zur Gewalt höchstens dann greift, wenn ihnen etwa die Einreise verweigert wird, was bekanntlich nicht der Fall ist. Sie kennt auch genau den diplomatischen Sprachgebrauch, hatte es doch in der Union selber eine Debatte gegeben, ob man Gewalt nur "nicht ausschließt" oder aber "befürwortet". Die Union entschied sich für letzteres! Da Frau Merkel das alles weiß, war die Behauptung der Schröderschen Kehrtwende eine glatte, bewusste Lüge.

Diese aber hatte eine Funktion. Denn in Washington unterstützte sie den Versuch der USA und Großbritanniens, den Sicherheitsrat doch noch zur Beschließung einer neuen Resolution zu bewegen, in der behauptet würde, der Irak habe die Chance der Inspektion bereits verspielt. Aber wiederum, sie tut das nicht, weil sie von der Richtigkeit der US-Politik überzeugt wäre, deren imperialen Charakter sie ja - siehe oben - wahrnimmt. Sie ist wirklich weiter nichts als gehorsam. Wenigstens hat sie ein schlechtes Gewissen. Man sieht es daran, dass sie den Militäraufmarsch der USA, der schon Millionen Dollar gekostet hat, als bloßen "Aufbau einer Drohkulisse" verharmlosen muss. Soll so jemand Bundeskanzlerin werden? Es wäre nicht der Untergang Deutschlands, aber zum Untergang der atlantischen Zivilgesellschaft, zu deren Werten unerschrockenes und unverlogenes Argumentieren gehören müsste, trüge es schon bei.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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