Friedensnobelpreis: Zwölf Uhr Mittags

Meinung Das Friedensnobelpreis-Komitee hat in diesem Jahr einen Nobelpreis verliehen, aber keinen Friedensnobelpreis. Dafür hätte ein anderer Kandidat ausgezeichnet werden müssen
Berit Reiss-Andersen, Vorsitzende des Nobelpreis-Komitees, verkündet die diesjährigen Friedensnobelpreisträger
Berit Reiss-Andersen, Vorsitzende des Nobelpreis-Komitees, verkündet die diesjährigen Friedensnobelpreisträger

Foto: Heiko Junge/NTB/AFP/Getty Images

Seit Freitag zwölf Uhr wissen wir, an wen in diesem Jahr der Friedensnobelpreis verliehen wird, und ja, es sind preiswürdige Empfänger. Der Menschenrechtsaktivist Ales Bjaljazki hat eine Organisation gegründet (Viasna), die sich gegen die Folter an politischen Gefangenen engagiert. Er sitzt jetzt selbst als politischer Gefangener, unter dem Vorwand des Steuerbetrugs, in Belarus im Gefängnis. Dass das Nobelpreiskomitee seine Freilassung fordert, ist begrüßenswert.

Die russische Organisation Memorial wurde 1987 noch in der Sowjetunion gegründet, sie kämpft für Menschenrechte und gegen den Militarismus und tritt dafür ein, dass die Opfer des Sowjetstaates nicht in Vergessenheit geraten. 2021 wurde sie auf der Basis eines Gesetzes gegen „ausländische Agenten“ verboten. Zurzeit läuft in Moskau ein Prozess um die Beschlagnahme der Räumlichkeiten von Memorial. Dritter Preisträger ist die ukrainische Menschenrechtsorganisation Center for Civil Liberties, die russische Kriegsverbrechen gegen die ukrainische Bevölkerung dokumentiert hat.

Das ist alles schön und gut, und gerade auch gegen die erkennbare Parteinahme des Komitees für die Ukraine, gegen den russischen Überfall kann kein vernünftiger Mensch etwas haben. Nur: Es sollte doch nicht irgendein Nobelpreis, sondern der Friedensnobelpreis verliehen werden, und das ist nicht geschehen. Kann man denn im Zweifel sein über den Gegenstand eines Friedensnobelpreises? Sein Stifter Alfred Nobel hat ihn klar genug definiert: Seiner würdig ist die Person (oder die Organisation), die „am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt“ hat. Und nun raten Sie mal, welche Völker wären denn 2022 zu verbrüdern? Diese Frage, jedes Kind könnte sie beantworten, hat das Nobelpreiskomitee offenbar überhaupt nicht interessiert. Sollten es die Völker sein, die in der Ukraine Krieg gegeneinander führen?

Es hätte einen würdigen Friedensnobelpreisträger gegeben

Das Problem ist, dass, wer einen Friedenspreis verleihen will, erst einmal selbst für den Frieden sein müsste, statt für den Krieg. Das sind aber heute im Westen nur wenige, und das Komitee hat gezeigt, dass es zu diesen Wenigen nicht gehört. Es erhebt gegen die herrschende Tendenz, nach der es im Ukrainekrieg nur um Sieg und Niederlage geht, keinen Einspruch. Das hätte es aber tun müssen. Es geht natürlich um Sieg und Niederlage. Die Ukraine soll nicht verlieren. Aber auch Russland sollte nicht einfach gedemütigt werden, weil das nur, nach einen paar Jahren oder Jahrzehnten des Waffenstillstands, zum nächsten und noch schlimmeren Krieg führen würde.

Wenn das Komitee einen Friedenspreis hätte verleihen wollen, wäre der Papst ein würdiger Empfänger gewesen. Er hat den Schuldigen am Ukrainekrieg benannt und will trotzdem zwischen den Kriegsparteien vermitteln: weil es ihm wichtiger ist, gegen den Krieg selber, mit seinen sinnlosen Opfern, als gegen den Schuldigen aufzutreten. Die Kirche hat ja schon immer gewusst, dass man Menschen nicht deshalb verstoßen sollte, weil sie schuldig sind. Frei nach Christus könnte der Papst sagen: Wenn der Westen ohne Schuld ist, dann werfe er den ersten Stein! Oder besser: Dann hätte er irgendwann einmal, wann war das, den ersten Stein nicht werfen sollen. Frieden heißt, dass nicht die Waffen sprechen, sondern die Menschen miteinander. Der Papst weiß das, aber das Nobelpreiskomitee hat sich dumm gestellt.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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