Was den Komponisten Hans Werner Henze angeht, mag ein Gedankengang Theodor W. Adornos hilfreich sein: Es gab nach dem Zweiten Weltkrieg Kompositionen, die ihren geistigen Gehalt so sehr herausstellten, dass sie die Sinnlichkeit der musikalischen Details, in der dieser sich doch manifestieren müsste, fast verschmähten. Es gibt aber auch solche, die sich im Sinnlichen so verlieren, dass sie es gerade dadurch transzendieren: indem sie etwas wie „Gottverlassenheit“ zum Ausdruck bringen.
Dass Henzes Kompositionen von der letzten Art sind, wird von einigen religiösen Äußerungen seiner Spätzeit nur unterstrichen. So nannte er den zweiten Satz seiner zehnten Symphonie einen „Lobgesang“ an einen Menschen, die Natur oder deren Schöpfer und fügte fragend hinzu, ob man denn wirklich glaube, „ich dürfte mir einen wie auch immer gedachten und tätigen Schöpfer nicht vorstellen, nur weil ich der alte Henze bin“. Dass er ihn sich vorstellt, heißt noch nicht, dass er an ihn glaubt.
Die Aufnahme von Hans Werner Henzes zweiter und zehnter Symphonie, die nun vorliegt, ist übrigens nicht zuletzt wegen des Dirigenten interessant. Marek Janowski, dem Leiter des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin seit 2002, ist erneut eine große Gesamteinspielung gelungen, denn mit dieser CD liegen nun alle Henze-Symphonien in seiner Interpretation vor. Im letzten Jahr erst hat er die Neueinspielung der Musikdramen Richard Wagners abgeschlossen, jedesmal mit exzellenter Aufnahmetechnik und in einer Mischung aus sinnlicher Klangfülle, Durchsichtigkeit und nüchterner Orientierung am musikalisch Konstruktiven, die trotz aller sonstigen großen Dirigenten immer noch erstaunen kann.
Mit dem Ausdruck „Lobgesang“ nimmt der Komponist Henze auch eine Satzbezeichnung des späten Beethoven auf. In der Zehnten folgt er der viersätzigen Form Beethoven’scher Symphonik und ihrer Abfolge: stürmischer Anfang, stilles Besinnen, Tanz und froher Ausklang.
Von Kämpfen gezeichnet
Diese Symphonie, die 2002 uraufgeführt wurde, ist trotzdem nicht traditionalistisch. Schon damit, dass Henze nach der Neunten noch eine Zehnte schrieb, geht er ja über die Vorgabe Beethovens hinaus. Das musste er aber tun, wenn er ihm folgen wollte, denn die Neunte, die an deutsche KZs und Antifaschisten erinnert, konnte schwerlich wie Beethovens Neunte auf den Satz „Lasst uns angenehmere Töne anstimmen“ hinauslaufen. Wie Henze ausdrücklich erklärte, wollte auch er sein symphonisches Werk nicht düster klagend abschließen. Tatsächlich klingt seine Zehnte wie der Rückblick auf ein von Kämpfen zwar gezeichnetes, aber im Frieden angekommenes Leben.
Interessanterweise nimmt sich die doch wohl längste Lebenszeit, die im ersten Satz unter dem Titel „Ein Sturm“ rekapituliert wird, wie eine Folge von Traumszenen aus. Und noch in diesem Chaos, das die Sinne betört, kann Janowski viel Konstruktion hervorheben. Es bietet sich nicht von selbst an, denn der Satz beginnt zwar mit Aufschwüngen, aber das bricht bald ab und macht wirren Wechseln Platz, die zugleich eine „zwingende“ Abfolge bilden. Nur dem Traum und der Musik kann so etwas gelingen. In den nachfolgenden Sätzen geht es entspannter zu. Der vierte endet gar im Triumph, den freilich ganz zuletzt eine Blue Note relativiert.
Symphonies 2 & 10 Hans Werner Henze Wergo 2014
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