Garmisch und Stuttgart

Demokratie Das Ergebnis der Bürgerentscheide ist für Olympia-Kritiker eine Niederlage. Mitbestimmung und Urteilskraft haben jedoch gewonnen. Nun muss es nur noch mehr Wahlen geben

Bei den Bürgerentscheiden gestern in Garmisch-Partenkirchen haben sich die Befürworter einer Bewerbung für die Olympischen Spiele 2018 durchgesetzt. Thomas Bach, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, spricht von einer "deutlichen Mehrheit" – na ja. Es sind 58 Prozent, also wird man ebenso gut von einer äußerst starken Minderheit der Gegner sprechen dürfen.

Diese werden sich nun ärgern, und mancher fragt sich vielleicht, ob das Instrument Bürgerentscheid nicht ein zweifelhaftes sei, gar nicht immer geeignet, die guten, notwendigen Dinge durchzusetzen. Und wer denkt nicht sofort auch an Stuttgart 21, wo es den Gegnern ebenfalls passieren kann, dass sie beim möglicherweise anstehenden Bürgerentscheid im Herbst ganz knapp den Kürzeren ziehen. Um das zu vermeiden, wollen die Grünen ja, dass das Projekt schon vor dem Entscheid an den Kosten scheitert. Die SPD aber will ihn gerade deshalb, weil sie mit einem Sieg der Befürworter rechnet.

Nehmen wir einmal an – nur als Gedankenexperiment –, es stehe ganz sicher fest, dass sowohl die Olympiabewerbung als auch der Stuttgarter Tunnelbahnhof zu den schlimmen und unnötigen Dingen zählten. Wird man sie dann nicht auf jeden Fall zu verhindern trachten und sich aller legal möglichen Mittel dazu bedienen, gewiss auch des Bürgerentscheids, wenn er Erfolg verspricht, sonst aber auch anderer Mittel bis hin zu "Geschäftsordnungstricks"? Die Frage muss wohl bejaht werden.

Aber man bedenke auch, dass hier eine weitere Frage im Spiel ist, nämlich was wichtiger ist: der Erfolg im Durchsetzen oder Verhindern von Einzelgroßprojekten oder die Durchsetzung allgemeiner Wahlen für Großprojekte überhaupt, oder sogar für ökonomische Schlüsselfragen überhaupt. Letzteres wäre jedenfalls auch nicht unwichtig. Wenn es darum geht, Letzteres zu erkämpfen, wird man es im Einzelfall immer noch wichtig, aber doch etwas weniger ärgerlich finden, dass eine Abstimmung so ausgegangen ist, wie man es gerade nicht wollte; man wird hauptsächlich begrüßen, dass die Bürger sich ihres Wahl- und Entscheidungsrechts bewusst werden.

Wie sie entscheiden, muss dann hingenommen werden. Auch deshalb, weil wirklich nur in einem Gedankenexperiment vorausgesetzt werden kann, dass etwas evidentermaßen "gut und notwendig" ist. In der Realität darf es keine Autorität geben, die darüber qua Autorität zu entscheiden hätte. Da darf man nicht sagen, "die Bürger sind noch nicht reif, richtige Entscheidungen zu treffen". Sogar wenn wir in einem weiteren Gedankenexperiment unterstellen, dass sie die Reife tatsächlich nicht haben (und es irgendeine Prüfung gibt, nach der das mit Fug behauptet werden kann), selbst dann wäre es gerade gut, wenn sie regelmäßig wählten. Denn mit Wahlen sind Wahlkämpfe verbunden und diese schärfen die politische Urteilskraft.

Ob Garmisch gut daran tut, Olympia über sich ergehen zu lassen, wage ich als Außenstehender nicht zu beurteilen. Das ist ja nicht bloß eine Frage der Ökologie. Olympische Spiele sind ein wichtiges Kulturereignis und müssen irgendwo stattfinden können. Ökologische Bedenken gegen wichtige Kulturereignisse wären ein Unding. Vielleicht haben die Gegner recht, wenn sie meinen, ihre Stadt verkrafte die Spiele nicht. Aber das kann die Stadt nur selbst beurteilen. Oder vorsichtiger formuliert: An ihr war es, nur an ihr, die politische Urteilskraft an den Abstimmungsfragen zu schärfen.

Hoffen wir, dass sie demnächst auch ein Mitspracherecht fordert, wenn wieder einmal eine Bundesregierung "Abwrackprämien" verschenkt, um die Autoindustrie künstlich zu beatmen und dadurch, statt durch einen ökologischen Umbau, aus der Wirtschaftskrise herauszufinden.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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