Gauck, die zweite?

Amtszeit Falls der Bundespräsident nicht weitermachen sollte, muss die SPD Farbe bekennen
Ausgabe 20/2016
Wird Joachim Gauck mit seinen 76 Jahren für eine weitere Amtszeit bereit stehen?
Wird Joachim Gauck mit seinen 76 Jahren für eine weitere Amtszeit bereit stehen?

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Am besten heute noch soll sich Joachim Gauck für eine zweite Amtszeit als Bundespräsident entscheiden – das könnte der SPD so passen. Angeblich versucht die ganze Regierungskoalition, die Bundespräsidentenfrage aus dem kommenden Bundestagswahlkampf herauszuhalten. Am 12. Februar 2017 tagt die Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt, die Bundestagswahl wird an einem noch nicht festgelegten Sonntag im September desselben Jahres stattfinden. Tatsächlich gibt es nur eine Partei, die das nervös machen muss, eben die SPD. Soll sie sich für eine Fortführung der jetzigen Regierung aussprechen oder für Rot-Rot-Grün? Das zu beantworten wird ihr im nächsten Februar so wenig gefallen wie jetzt, da sie von Sahra Wagenknecht aufgefordert wird, einen rot-rot-grünen Kandidaten zu benennen.

Es ist auch klar, dass die SPD die Unionsparteien nicht bewegen wird, sich hinter einen möglichen Kandidaten Frank-Walter Steinmeier zu stellen, während es der CDU/CSU egal sein kann, ob sie ihren Kandidaten Norbert Lammert jetzt oder erst im Wahlkampfjahr präsentiert. Denn der amtierende Bundestagspräsident verträgt sich mit Schwarz-Rot so gut, wie er sich mit Schwarz-Grün vertragen würde, und die Union ist für beide Optionen offen. Arme SPD – nur wenn Gauck weitermacht, muss sie nicht Farbe bekennen.

Aber Gauck ist 76. Warum sollte er die Last des Amtes weiter tragen, nur um der SPD das unausgesetzte Herummogeln zu erleichtern? Wie man hört, ist ihm die „italienische Lösung“ angeboten worden: Er könne das Amt nach der Hälfte der nächsten Amtszeit niederlegen, wie es der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano 2015 getan hat. Aber Napolitano, der 2013 sogar schon 88 Jahre alt war, ließ sich zum zweiten Amtsantritt nur deshalb bewegen, weil Italien in eine echte Staatskrise geraten war. Davon kann in Deutschland überhaupt keine Rede sein.

Und wem eigentlich will ausgerechnet die SPD weismachen, dass es in jedermanns Interesse sei, die Bundespräsidentenfrage aus einem Bundestagswahlkampf herauszuhalten? Muss man nicht gerade die SPD daran erinnern, dass sie in Zeiten, als sie noch politikfähig war, ganz anders gedacht hat? Willy Brandt, ihr erster Kanzler, kam nach der Bundestagswahl vom 28. September 1969 ins Amt. Am 5. März war der Sozialdemokrat Gustav Heinemann zum Bundespräsidenten gewählt worden. Die SPD regierte da in Bonn noch mit der Union, aber Heinemann sagte gleich nach seiner Wahl, sie sei „ein Stück Machtwechsel“.

Es waren auch sonst andere Zeiten. Heute erzählt man uns, die Bundeskanzlerin einer Großen Koalition könne gegen den Koalitionspartner entscheiden, wenn mit der Entscheidung keine Weisung an einen sozialdemokratischen Bundesminister verbunden sei. Das Märchen wurde lanciert, als Angela Merkel die Ermächtigung für Ermittlungen gegen den Satiriker Jan Böhmermann erteilte – und die SPD es geschehen ließ, obwohl sie dagegen war. Hätte sie sich gewehrt, wäre ja schon der Wahlkampf eröffnet gewesen. Willy Brandt hingegen hatte als Vizekanzler der schwarz-roten Koalition (1966 – 1969) offen erklärt, es sei nicht zu befürchten, „dass eine Richtlinienkompetenz gegen uns geltend gemacht werden könnte in Fragen, die wir für wesentlich halten“.

Die SPD unter Sigmar Gabriel ist am Ende. Sie hat so lange gezaudert, bis es vielleicht zu spät geworden ist. Denn nach dem jetzigen Stand der Umfragen würde Rot-Rot-Grün die parlamentarische Mehrheit verfehlen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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