Joachim Fests Begegnungen sind eine Art Autobiografie in Gesprächen: In 15 Kapiteln werden 15 Personen portraitiert, die sich mit dem Autor über Politik, Kunst oder Geschichte ausgetauscht haben. Man könnte sie mit den Enigma-Variationen von Edward Elgar vergleichen, in denen 13 Freunde des Komponisten als Brechungen ein und desselben "eigenen Themas" vorgestellt werden. Auch durch die "Portraitskizzen" des Publizisten, Historikers und früheren FAZ-Herausgebers Fest zieht sich ein Thema: "Einigkeit ergab sich durchweg in der Verneinung alles Ideologiewesens und zumal der utopischen Wut der siebziger und beginnenden achtziger Jahre." Es geht, anders gesagt, um Hitler und die 68er, die aus der Nazi-Katastrophe ganz andere Schlüsse gezogen haben als Fest und seine Freunde.
Die "Portraitskizzen" sind mal mehr, mal weniger gelungen. Manche erfüllen literarische Ansprüche, so die Geschichte des Kunsthändlers Hans Pels-Leusden, der eines Tages all seine Freunde zu einem Treffen ohne Inhaltsankündigung lud: Daselbst gestand er ihnen, er habe immerzu gemalt, um sein Talent, das die Nazis unterdrückt und praktisch zerstört hatten, noch verspätet zur Geltung zu bringen. Seine Bilder hingen nun an der Wand, und die Freunde fanden sie nicht gelungen. Nicht weniger anrührend als diese Geschichte, die ein wenig an die letzte Versammlung Adrian Leverkühns in Thomas Manns Doktor Faustus erinnert, sind die Berichte vom Tod Horst Janssens und Hannah Arendts. Die letztgenannten Portraits zeigen freilich auch Fests Schwäche am deutlichsten, hier und da in journalistische Effekthascherei abzugleiten. Dass Janssen ein Säufer war, dass Arendt und Heidegger tatsächlich miteinander gevögelt haben, wollten wir so genau gar nicht wissen. Im übrigen kann Fest über Tote besser schreiben als über Lebende, mit denen er diplomatisch umgeht oder boshaft wie im Fall Joachim Kaisers, den er sagen lässt: "Überall Cottbus!", womit der Musikkritiker seinen Ekel vor einer Kultur zu Billigpreisen zum Ausdruck gebracht haben soll.
Am interessantesten sind aber die beiden Hassobjekte, die das Buch beherrschen, obwohl ihnen keine Kapitel gewidmet sind, da Fest die Begegnung des einen nicht suchte, die des andern nach kurzer Berührung floh: Adorno und Dutschke. Dutschkes Gegenwart hielt Fest, als er ihn 1967 aufsuchte, nur zehn Minuten lang aus. Die Begründung, der Studentenführer sei zum Gespräch unfähig gewesen, fällt auf ihn selbst zurück, da man die Fernsehsendung kennt, in der sich Günter Gaus mit Dutschke sehr gut unterhalten konnte. Adorno ist geradezu als dummer Teufel gezeichnet. Dass er Golo Manns Berufung an die Frankfurter Uni verhinderte, erscheint als ganz ausgesuchte Schweinerei, als ob dergleichen sonst niemals geschähe. Dolf Sternberger hören wir Adorno "ein großes Unglück" nennen und von seinem "leichtfertigen Höllenspaß" sprechen; überhaupt ringen die meisten Freunde Fests immerzu mit dem metaphysisch Bösen. Joachim Kaiser soll als Student, höhnisch schmeichelnd, Adornos Mahlerbuch noch über Aristoteles gestellt haben, worauf der Professor geantwortet habe: "Ich habe mir aber auch viel Mühe gegeben, lieber Kaiser!" Und von Johannes Groß berichtet Fest, er habe Adornos Diktum, es könne nach Auschwitz kein Gedicht mehr geschrieben werden, mit den Worten kommentiert: "Die Wahrheit ist, dass Adorno auch vor Auschwitz kein Gedicht schreiben konnte."
Solche Ausfälle sind als Hass vielleicht noch zu harmlos beschrieben. Eher wirken sie wie das Zeugnis einer erlittenen Kastration. Es zeigt sich nämlich in fast jedem Kapitel des Buchs, dass Fest und seine Freunde unter dem Schock der Niederlage gegen die 68er Generation stehen. Und das Überraschende ist, sie scheinen sie für unumkehrbar zu halten. Die Darstellung Dutschkes und Adornos zeigt dann nur, dass Fest diese Entwicklung nicht nur nicht verstehen, sondern als traumatisch Gezeichneter nicht einmal untersuchen kann.
Mit Ulrike Meinhof konnte er trefflich streiten, sie war ihm sympathisch (er hat ihren Tod vor Augen), aber der Vietnamkrieg, mit dem ihre Wendung zur Gewalt etwas zu tun hatte, kommt in seinem Meinhof-Portrait nicht vor. So sieht er in dem, was sie befürwortete, noch heute weiter nichts als ein abstraktes Wiederaufleben des Naziterrors. Keine Reflexion verschwendet er auf den Umstand, dass Meinhof ihn, obwohl sie sich schon damals solche "Parallelen" aus seinem Mund anhören musste, für einen potentiellen Verbündeten der studentischen Sache hielt und deshalb empört war, weil er seine Fernsehsendung hinwarf, um ein Hitlerbuch zu schreiben. Was wirft das für ein Licht auf den Zustand der damaligen Bundesrepublik? Und dass ein Mann wie Sebastian Haffner, der lange ein überzeugter Kalter Krieger war, sich auf die Seite der Studenten schlug, kann Fest überhaupt nicht fassen. Er kann die 68er Revolte nicht auf historische Problemlagen, die sie verursacht und gefordert haben, zurückführen; sie erscheint ihm stattdessen als Spleen in vielen Köpfen und als Werk einiger satanischer Drahtzieher.
Das wirft natürlich ein schlechtes Licht auf sein Hitlerbuch, von dem er immerzu spricht. Dass Fest Geschichte erzählend und personenbezogen darbietet, dazu bekennt er sich. Die Methode von Altvorderen wie Gibbon und Mommsen gilt ihm nicht als überholt. Einmal deutet er an, dass man, mit ihr bewaffnet, die Dinge auch ein wenig zurechtrücken darf, und so kommt es vielleicht, dass Hannah Arendt ihm zufolge die 68er als rot-gleich-braun-totalitär beschimpft; ihre Bücher, mit denen sich dieses Urteil kaum vereinbaren lässt, hat Fest vielleicht nicht gründlich genug gelesen. Er ist tatsächlich auch als Historiker ein Portraitist, weshalb es kein Zufall war, dass er über die Nazizeit in der Form einer Hitlerbiografie reflektierte. Der kann man sicher nicht vorwerfen, sie suche Personen nicht auf historische Problemlagen zurückzuführen. Dennoch hat gerade auch sie eine gewollte Schlagseite aufs Persönliche hin. Und in diesem Fall muss man sagen: Das kann Vorteile haben. Fest fragt nach der polischen Konzeption des Menschen Hitler, den andere nur als Epiphänomen einer historischen Tendenz und persönlich daher nur als Machtopportunist begreifen.
Was er dabei entdeckt, wird in den Begegnungen noch einmal zusammengefasst: Hitler war ein Faschist im Wortsinn, also jemand, der die Geschichte zum Römischen Reich zurückdrehen wollte. "Gewiss bewunderte Hitler die antike Welt. Doch galt seine Bewunderung nicht so sehr ihrem Schönheitssinn. Weit davor rangierte ihre Härte und Grausamkeit, das barbarische Element, das die Tempel und Statuen nur verdeckten, sowie die Selbstverständlichkeit, mit der die Menschheit von Perikles bis Cäsar und noch einige Jahrhunderte darüber hinaus das Dasein als Überlebenskampf bewundert hätte."
Joachim Fest: Begegnungen. Über nahe und ferne Freunde. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2004, 383 S. 19,90 EUR
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