„Good bye, Lenin!“ Ein Film lässt der untergehenden DDR Gerechtigkeit widerfahren
Zeitgeschichte Tragikomische Familiengeschichte: Der Film „Good bye, Lenin!“ kommt ohne die üblichen Westklischees über den Osten aus und wird zum Erfolg. Einstige DDR-Bürger erhalten ein Identifikationsangebot. Über den Filmerfolg von Wolfgang Becker
Abschied oder Segnung, diese Frage bleibt ungeklärt
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In einem Film wird man normalerweise kein zeitgeschichtliches Ereignis sehen, doch Good bye, Lenin!, uraufgeführt auf der Berlinale 2003 (Regie Wolfgang Becker, der auch das Drehbuch zusammen mit Bernd Lichtenberg schrieb), ist vielleicht eine Ausnahme. Denn hier wird das Ende der DDR nicht nur kunstvoll gespiegelt, sondern auch ihren Bürgern ein Identifikationsangebot gemacht, das viele begrüßt haben dürften. Aber worin bestand es eigentlich? Von den meist nur gehässigen Rückblicken jener Jahre auf den untergegangenen Staat unterschied es sich jedenfalls deutlich. Zwar wird nicht übergangen, wie die Stasi unangemeldet in der Küche steht, Polizeiknüppel gegen friedliche Demonstranten eingesetzt werden und eine Mutter dem Vater nicht in den
icht in den Westen nachreist aus Angst, ihr würden dann die Kinder weggenommen, all das kommt aber mehr am Rande vor.Die Handlung zeigt sonst nur Personen, ältere und alte, die einer verlorenen Heimat nachtrauern, und jüngere, die sich schwertun mit der neuen. Wie auch immer, der Publikumserfolg war gewaltig: Good bye, Lenin! ist einer der meistbesuchten deutschen Filme, auch im Ausland übrigens.Die genannte Mutter, die sich nach der Ausreise des Vaters zur verdienten sozialistischen Persönlichkeit entwickelt hat, liegt zur Zeit der „Wende“-Wirren im Koma. Weil der Arzt nach ihrem Erwachen warnt, jede Aufregung könne sie töten, wird ihr von Alex, ihrem Sohn, verschwiegen, dass die DDR im Begriff ist, abgewickelt zu werden. Er sorgt für den Rücktransport der Mutter in die Wohnung, auch dort ist sie ans Bett gefesselt, und kann kontrollieren, was sie weiß und nicht weiß. Mit immer mehr Fantasie und Aufwand gaukelt er ihr eine DDR vor, die es gar nicht mehr gibt. Seine Schwester und seine Freundin spielen widerwillig mit, ein filmender Arbeitskollege tut es begeistert, nostalgisch trauernd lassen sich einige Nachbarn im Wohnhaus und ein früherer Schulleiter darauf ein. Am Krankenbett der Mutter feiern sie ihren Geburtstag, wie er immer gefeiert worden war, überreichen ihr den traditionellen Geschenkkorb mit DDR-Waren wie Mocca Fix Gold und Rosenthaler Kadarka. Zwei Jungen, von Alex für Geld engagiert, tragen das Pionierlied Unsere Heimat vor. Zuvor hat man in einer Rückblende gesehen, wie die Mutter es zu DDR-Zeiten mit einem Schülerchor einübte.Der Film hat ein Hauptthema: das Verschweigen. Wie er damit umgeht, ist gar nicht leicht zu verstehen. Alex war einer der Demonstranten, die zum 40. Jahrestag am 7. Oktober 1989 von der DDR-Polizei niedergeknüppelt wurden – die Mutter hat es gesehen, deshalb war sie, nach einem Herzinfarkt, ins Koma gefallen. Danach verhält sich Alex allerdings wie die untergegangene Staatsführung, gegen die er doch protestiert hatte. Zu deren Herrschaftsmethoden gehörte das Verschweigen. Der Film erinnert daran: Die Aktuelle Kamera behauptet, Erich Honecker sei freiwillig zurückgetreten. Gern hätte dieser Staat den Empfang des Westfernsehens verhindert, er konnte nur nicht. Alex kann es! Und setzt noch eins drauf, indem er die Mutter Nachrichtensendungen sehen lässt, die nicht nur Erfundenes zeigen, sondern selber erfunden sind. Sein filmender Freund hat die Sendungen gedreht. So führt sein Verschweigen zur Frage nach dem Verschweigen im realen Sozialismus überhaupt. Warum spielte es eine so wichtige Rolle?Eine der üblichen Antworten gab die Totalitarismus-Theorie. „Totalitär“, hatte Hannah Arendt geschrieben, „ist nicht der Anspruch des revolutionären Russland, dass unter den gegebenen Umständen die Diktatur des Proletariats die beste Staatsform sei“ – so weit ging sie selber mit –, sondern dass „der totalitäre Machthaber“ (Stalin) aus ihr die Folgerung ableite, „dass ohne dieses System man niemals eine Untergrundbahn bauen könne, dass daher jeder, der die Pariser Untergrundbahn kennt, verdächtig ist“.Im Totalitarismus, meinte Arendt, werde eine fiktive Welt zunächst propagiert und der Glaube an sie durch Terror erzwungen und dann auch gewaltsam zu realisieren versucht. Ein künstlicher Mensch, den es nur in der Ideologie gebe, habe blutig modelliert werden sollen. Wie Arendt selbst sah, war das Terrorsystem nach Stalins Tod ad acta gelegt worden, doch dass eine gewisse Neigung zum Verschweigen es überdauert hatte, war offensichtlich. Dennoch trägt Arendts Theorie zum Verständnis des Films nichts bei. Wie hängt Alex’ Verschweigen mit dem Filmtitel zusammen? Das heißt, mit der Schlüsselszene: Lenin, dessen abmontierte Denkmals-Büste am Hubschrauber hängend über der Mutter schwebt, die das Bett verlassen hat und auf der Straße zu ihm hochschaut, scheint ihr im Vorbeiflug die Hand reichen zu wollen. Ob das überhaupt ein „Good bye“ ist oder nicht eher eine Art Segnung wie in der analogen Szene in Fellinis Film Das süße Leben, wo eine abmontierte Christus-Figur auf Rom herabschaut, bleibt offen.Eher schon wird die Schriftstellerin und Publizistin Kathrin Lange dem Film gerecht, wenn sie eine Auseinandersetzung mit der Postmoderne in ihm sieht. Für sie ist das Verschweigen „Simulation“, die der französische Philosoph Jean Baudrillard (1929 – 2007) nicht dem Osten, sondern dem Westen attestiert hatte. Dass in der „Simulation“ Zeichen und Wirklichkeit ununterscheidbar werden, lässt an Arendts fiktive Welt des Totalitarismus durchaus denken. Kathrin Lange findet es im Film-Plot, denn hier „werden Postkartenmotive, Fotografien, Amateurfilmbilder, Originalmedienbilder aus dem Fernsehen und Zeitungen aus den Jahren 1978, 1989 und 1990 mit den Filmbildern und Film-im-Film-Bildern der gefälschten Nachrichten vermengt“. „Immer schon“ sind solche Bilder „Interpretationen und nicht Abbilder von Wirklichkeit“. Aber solche „Simulacren“ fallen im Westen gar nicht mehr auf. Man könnte formulieren, der Westen verschweige nicht bloß, wie der Osten es tat, sondern verschweige noch das Verschweigen. So gesehen hätten wir Alex dabei beobachtet, wie er herkommend von einer primitiven, gleichsam noch hausbacken-ehrlichen Form der Fiktion in eine weit raffiniertere, gegen die man wehrlos ist, hineinwächst.Das Pionierlied Unsere Heimat legt eine dritte Spur. Irritiert war ich über eine, wie es schien, unfreiwillige Komik in Gesang und Text, die der Film herausstreicht. Das Lied ist eigentlich eine eindrucksvoll gestaltete Alternative zum Heimatbegriff der Nazis, auch musikalisch eindrucksvoll in seiner Orientierung am Komponisten Hanns Eisler. In der Geburtstagsszene am Krankenbett der Mutter ist es aber ja zum Fake geworden und wird zudem in einer Weise geplärrt – „und die Vögel! und die Tiere!“ –, dass man leicht denkt, der Film wolle der ganzen untergegangenen DDR zuschreiben, sie sei kindlich gewesen. Andere Filmelemente, wie die Beteiligung der DDR an der realsozialistischen Raumfahrt, die sich schon in Alex’ Kinderspielen niedergeschlagen hat und am Ende als Thema des „Sandmännchens“ vorgeführt wird, unterstreichen es. Nach dieser dritten Deutung stünde Alex’ Umgang mit seiner Mutter für eine Haltung, die dem Menschen nicht zutraut, der Wirklichkeit ins Auge zu schauen. Vor Kindern manches zu verbergen, ist ja unvermeidlich, und nun glaubt man, auch Erwachsene müssten, in ihrem eigenen Interesse, wie Kinder behandelt werden.Der Film zeigt aber, dass Alex sich in seiner Mutter täuscht. Wie sich am Ende herausstellt, erträgt sie den Untergang der DDR sehr wohl. Sie macht auch den ganzen Film über einen so souveränen Eindruck – dargestellt von Katrin Sass, der bekannten DDR-Schauspielerin, die ja auch unsouveräne Frauen spielen kann (wie 2008 in einer Folge der Donna-Leon-Krimiserie) –, dass man sich schließlich fragt, ob sie denn jemals verraten hat, was sie wirklich dachte. Die Aufregung jedenfalls, an der sie nach einem zweiten Herzinfarkt stirbt, kommt von ihrem eigenen Geständnis, verschwiegen zu haben: den Kindern, dass sie Angst hatte, dem Vater mit ihnen in den Westen zu folgen.