Gregor Gysi oder keiner?

Parteitag der Linken Über Sahra Wagenknechts Aussagen und Gregor Gysis Sonderrechte wurde viel berichtet – über die wirklich interessanten Themen des Parteitages hingegen kaum
Ausgabe 22/2016
Die wiedergewählten Vorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping
Die wiedergewählten Vorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping

Foto: Christian Schroedter/Imago

Es gibt Unsitten der politischen Berichterstattung. Ist es interessant zu erfahren, wie der Parteitag der Linken zur rechtspopulistischen AfD Stellung bezieht – und dazu, dass sie bei den letzten Wahlen Stimmen an sie verloren hat? Ohne Zweifel, ja. Aber wem hilft der Hinweis, eine Debatte über Sahra Wagenknecht und ihre „Gastrecht verwirkt“-Sentenz sei wegen des Tortenwurfs nicht zustande gekommen?

Auch dass Gregor Gysi ein Sonderrederecht wollte, nicht bekam und den Parteitag deshalb nicht besucht hat, durften wir ausführlich vernehmen. Von der Position des Parteitages erfahren wir wenig, ausführlich hingegen Gysis Urteil, die Partei sei langweilig. Hängen bleibt, dass die Linke die Regierung scheut. Das klingt nach „Gysi oder keinen!“

Indes ist der Parteitag autonom, und er hat seine Position in einem Beschluss „für Demokratie und Solidarität“ sowie „gegen den Rechtsruck“ festgehalten. Er scheut die Regierungsverantwortung keineswegs. SPD und Grüne werden nur aufgefordert, ins „Lager der Solidarität“ mit den Flüchtlingen umzuschwenken. Zugleich wird die Politik der Regierungskoalition kritisiert. Auch die Grünen bekommen ihr Fett weg, weil sie die Verschärfung des Asylrechts nicht verhindert haben. Unausgesprochen liegt darin die Aufforderung an die SPD, sie möge die Regierung verlassen, und an die Grünen, sich nicht weiter auf ein schwarz-grünes Bündnis vorzubereiten. Denn der Regierung wird vorgeworfen, dass sie den Versuch, die Flüchtlinge zu integrieren, nicht mit einer „sozialen Offensive“ für die schlechter gestellten Deutschen verbindet. Es ist klar, dass die SPD diese Offensive, die der AfD das Wasser abgraben würde, nicht an der Seite Wolfgang Schäubles beginnen kann.

Das ist nicht langweilig, sondern benennt die zentrale Frage: Hat der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann recht, wenn er sagt, der Zusammenhalt aller demokratischen Parteien sei ein Wert an sich? Oder wäre es besser, wenn sich wieder zwei demokratische Lager bekämpfen würden? Lange sah es so aus, als gehe mit der „Willkommenskultur“, zu der sich die Linke vorbehaltlos bekennt, eher ein Linksruck durch die Gesellschaft, der sogar Angela Merkel erfasse. Deren Politik wird im Beschluss differenziert beurteilt: „Ja, wir hatten begrüßt, dass sich die Bundeskanzlerin der von der CSU und weiten Teilen der CDU geforderten Grenzschließung verweigert hatte. Aber mit dem Türkei-Deal hat sie diese Position obsolet werden lassen.“ Auch ist ihrer „bemerkenswerten Initiative, Geflüchtete aufzunehmen“, kein Ende der Austeritätspolitik gefolgt, inländisch nicht und auch nicht Griechenland gegenüber. Die Folge ist, dass der Linksruck sich immer mehr in einen stürmischen Rechtsruck verwandelt. Im Auge des Sturms agiert die AfD. Diese Partei „betreibt geistige Brandstiftung für rassistische Gewalttaten“ und wird mit Wählerzulauf belohnt – auch, wie gesagt, aus den Reihen der Linken, die sich aber nicht beirren lässt.

Wenn die Einschätzung richtig ist, wäre eine Neuauflage des Kampfs zweier demokratischer Lager wirklich besser. Das aber heißt, die SPD müsste auf der Stelle die Kanzlerin stürzen, durch ein konstruktives Misstrauensvotum im Bundestag. Natürlich wird sie das nicht tun, und auch ob die Grünen mitziehen würden, ist fraglich. Es ist dennoch gut, dass die Linke die Frage aufgeworfen hat. Denn der Rechtsruck geht weiter, und niemand soll später sagen können, er habe die Gefahr übersehen, die er heraufbeschwört.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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