In den letzten Jahren sind die Strompreise immerzu gestiegen. Dass es so nicht weitergeht, stand seit Beginn des Wahlkampfs jeden Tag in der Zeitung. Die Menschen sind sehr besorgt. Über die Gründe ist eine undurchsichtige Debatte entbrannt. Die Zeitungen schreiben, es liege an der Ökostrom-Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Sie wurde am Dienstag abermals um einen Cent pro Kilowattstunde angehoben. Knapp zwei Cent betrug sie beim Regierungsantritt der schwarz-gelben Koalition, jetzt sind rund 6,3 Cent für das kommende Jahr angekündigt. Da auch die Kosten für den Netzausbau auf die Stromverbraucher verteilt werden, eine Ergänzung der Umlage um noch einmal die Hälfte, und hierfür die Mehrwertsteuer zu entrichten ist, wird der Strom um insgesamt sieben Prozent teurer. Wer oder was ist schuld?
Vergessen wir niemals die erste Ursache: Beim ökologischen Umbau entstehen Kosten. Nach dem Atomausstiegsbeschluss von 2011 war es notwendig, die seitdem als „Energiewende“ bezeichnete Erschließung von Strom aus erneuerbaren Quellen noch zu beschleunigen, damit künftig keine Versorgungslücken entstehen. In den letzten Jahren hat sich die Aufstellung von Windrädern, Solar- und Biogasanlagen in einem Umfang vermehrt, den sich die Erfinder des EEG nicht träumen ließen. Das ist ja wohl begrüßenswert. Denn lesen wir nicht in sämtlichen Parteiprogrammen, der Anteil dieser Quellen an der Stromerzeugung solle früher oder später, und jedenfalls so früh wie möglich, auf 100 Prozent steigen?
Das EEG ist nicht schuld
Man sollte meinen, eine Kostendebatte würde sich dann auf zwei Punkte konzentrieren: erstens die Gerechtigkeit bei der Verteilung der Kosten und zweitens deren Minimierung, indem einerseits die Organisation der Energiewende so effizient wie möglich gestaltet wird und man andererseits gegen unnötige Kosten- und künstliche Preisaufblähungen vorgeht. In den Zeitungen finden wir aber fast nur den letztgenannten Aspekt auf höchst einseitige Weise behandelt. Das EEG ist schuld – um diesen Vorwurf kreist die Debatte, in die sich dann auch ein anderes Thema mischt: „Wir müssen den Ausbau von Wind- und Sonnenenergie bremsen.“ So äußerte sich vor knapp zwei Wochen der EU-Energiekommissar Günter Oettinger (CDU). Es ist seine Antwort auf die steigenden Preise. Der Ausbau soll also nicht schnellstmöglich auf 100 Prozent erhöht, sondern gebremst werden? Da fragt man sich, ob die Angriffe gegen das EEG die gesamte Energiewende infrage stellen sollen.
Das EEG ist nicht schuld. Die Preiserhöhung hat verschiedene Ursachen, und die Entwicklung der Ökostrom-Umlage ist nur eine davon. In den letzten zehn Jahren ist der Strompreis um 11,5, die EEG-Umlage aber nur um 4,5 Cent gestiegen.
Zudem hat die Erhöhung der Umlage selbst wieder mehrere Gründe. Nach einer Studie, die von den Grünen im Bundestag in Auftrag gegeben wurde, gehen in diesem Jahr 13 Prozent auf den Zubau von EEG-Anlagen zurück (umgelegte Investitionskosten der Neubetreiber). Ein ganzes Viertel begründet sich aus der Umlage-Befreiung für derzeit 1.691 Unternehmen, die besonders viel Strom verbrauchen und ohne die Begünstigung angeblich im internationalen Wettbewerb nicht bestehen könnten.
An der Börse ist Strom billig
Immerhin die Hälfte des Anstiegs erklärt sich daraus, dass den Betreibern vorhandener und neu angemeldeter EEG-Anlagen ein Festpreis für den Stromverkauf über 20 Jahre garantiert worden ist. Dieser Regelung wegen wird das EEG angegriffen. Der Festpreis liegt zur Zeit deutlich höher als der Preis, der sich am freien Markt erzielen lässt. Die Differenz wird über die Umlage erstattet.
Man muss aber unterscheiden: Ist der Festpreis das Problem oder seine Höhe? Rainer Baake, ein Grüner, der im Jahr 2000 als Umweltstaatssekretär am EEG mitgeschrieben hat, schlägt heute eine generelle Festpreis-Obergrenze von 8,9 Cent pro Kilowattstunde vor, während tatsächlich noch, je nach Anlagetyp, zwischen neun und 30 Cent gezahlt werden. Baake hat durchrechnen lassen, dass neun Cent genug sind, sofern sich die Energiewende auf Wind- und Sonnenstrom konzentriert.
Doch auch der geringe Marktpreis – der an der Leipziger Strombörse ermittelt wird – ist keine naturgegebene Tatsache. Er rührt einerseits vom Erfolg der EEG-Anlagen her, der das Strom-Angebot steigen und den Preis daher sinken lässt. Andererseits liegt der Preis so niedrig, weil die CO2-Zertifikate im europäischen Emissionshandel so empörend billig sind. Den Unternehmen werden beim Ausstoß von Treibhausgasen faktisch gar keine Schranken auferlegt, obwohl genau dies das Ziel des Emissionshandels sein soll.
Und dann stellt sich auch noch die Frage, in welchem Maß der billige Leipziger Börsenpreis von den vier großen Energie-Konzernen, die den Stromverbrauchermarkt in Deutschland immer noch zu 80 Prozent beherrschen – E.ON, EnBW, RWE und Vattenfall –, an die Kunden weitergegeben wird. Wie hoch also ihre Gewinnspanne ist. Warum wird die Umlage wegen des niedrigen Marktpreises nur höher, warum wird der Strompreis für die Verbraucher nicht aus dem gleichen Grund auch niedriger? Vor noch nicht langer Zeit unterlagen die Konzerne einer Preiskontrolle, die ist aber abgeschafft worden.
Weniger Wind und Sonne
Die Gegner des EEG beherrschen die Zeitungsseiten, daher auch einen großen Teil der Wähler. Wenn sich heute, laut einer Umfrage, 42 Prozent der Deutschen als „Verlierer der Energiewende“ sehen, dann lässt sich das noch gut begreifen – es geschieht sicher auch wegen der steigenden Strompreise. Dass aber die Grünen bei der Bundestagswahl auf acht Prozent zurückfielen (von einst knapp 25 Prozent in Umfragen Ende 2010 und, nach Fukushima, Anfang 2011), hat ebenso sicher damit etwas zu tun, dass den Wählern eingetrommelt wurde, das EEG sei schuld und am EEG die grüne Partei.
Der Erfolg der Gegner geht aber noch weiter. Denn jetzt gibt es sogar in der EU-Kommission Stimmen, die das EEG komplett kippen wollen, weil eine Festpreisgarantie für Strom aus erneuerbarer Energie die Marktgerechtigkeit verletze. Dass ein Festpreis auch den Unternehmen, die in Norwegen Elektroautos produzieren, garantiert wird, ist der Kommission anscheinend noch nicht aufgefallen. Wahrscheinlich ist die Lobby der norwegischen Gegner nicht so stark.
Der Ausbau von Wind- und Sonnenenergie müsse gebremst werden, sagt Oettinger. Gutwillig interpretiert, lassen Äußerungen von ihm und anderen EU-Kommissions-Mitgliedern darauf schließen, dass er die Stromfrage nicht so sehr ökologisch denn als Frage der Stromversorgungssicherheit sieht. Da kommt er zu dem Schluss, es gebe zu viel Strom, und der Grund sei die Verletzung der Marktfreiheit durch den Staatseingriff, die Subventionierung der EEG-Anlagen.
Ist Oettinger gutwillig? In einem EU-Bericht für 2011 soll gestanden haben, nukleare und fossile Kraftwerke seien europaweit mit 101 Milliarden Euro subventioniert worden, erneuerbare Energien nur mit 30 Milliarden. Oettinger habe die Passage gestrichen, berichtete die Süddeutsche Zeitung.
Neue Kohle-Subventionen
Wie dem auch sei: „Zu viel Strom“ ist ein konfuser Gedanke. Er bedeutet, dass man sich vorstellt, der sich mehrende Ökostrom komme zum konventionellen Strom aus Gas und Kohle, diesem extrem umweltschädigenden Quellstoff, einfach noch hinzu. Da kann freilich der Topf überlaufen. Was aber wäre der Sinn der Mehrung von Ökostrom, wenn nicht, dass konventioneller Strom sich im gleichen Maß mindert, und zwar so schnell wie möglich, bis dahin eben, dass der erstgenannte 100 Prozent erreicht? Wo doch so viele ökologische Bekenntnisse über so vieler Leute Lippen kommen. Sind sie denn ernst gemeint?
Die Verteidiger der Marktfreiheit weisen auf die Benachteiligung der Stromerzeugung aus Kohle hin. Sie sei teuer, unterliege in der Konkurrenz und rechne sich heute schon nicht mehr, müsse aber für den Fall gefördert werden, dass es einmal zu wenig Strom aus erneuerbaren Quellen gebe. Eben noch gab es zu viel davon, jetzt ist Strommangel zu befürchten; eben noch war die Marktfreiheit verletzt, wenn eine Strom-Art subventioniert wird, jetzt soll eine andere Strom-Art subventioniert werden. Und zwar nicht irgendeine, sondern eine sehr unökologische. Ganz unbekümmert teilt man uns daher auch mit, die Strompreise würden weiter ansteigen, weil ja möglichst bald eine Kohle-Umlage zu beschließen sei.
Das reime sich einer zusammen. Eine einfache Erklärung würde besagen, dass wir der Lobby der vier großen Konzerne bei der Arbeit zuschauen. Nachdem sie nun schon auf Atomenergie verzichten müssen, wollen sie nicht auch noch auf Kohleenergie verzichten. Für sie wie auch für etliche Politiker heißt „Energiewende“ anscheinend nur „Verzicht auf Atomenergie“. Die Klimakatastrophe interessiert sie offenbar weniger.
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