Während derzeit in Deutschland das Thema Drohnen diskutiert wird, dürfte es auf der Münchner Sicherheitskonferenz an diesem Wochenende kaum eine Rolle spielen. Dort ist Smart Defence gefragt. Nach einem Aufsatz, an dem der Konferenzvorsitzende Wolfgang Ischinger mitgewirkt hat, haben wir uns darunter eine „verbesserte multinationale Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich“ vorzustellen, „um effektiver und kostengünstiger agieren zu können und langfristig Vertrauen aufzubauen“. Drohnen und Smart Defence – beide Themen sind weniger verschieden, als es aussieht.
Über unbemannte militärische Flugkörper wird seit langem gestritten. Was gerade jetzt die Debatte hochkochen lässt, ist ein Bekenntnis von Verteidigungsminister Thomas de Maizière: Die Bundeswehr, längst mit Aufklärungsdrohnen ausgestattet, könne auch bewaffnete Drohnen gebrauchen. Das hatten bislang nur Bundeswehroffiziere verlangt. Und doch sind Drohnen, wenn es nach de Maizière geht, gar nicht der Rede wert. Bemannte Militärmaschinen dürfen bewaffnet sein, warum nicht auch unbemannte? Sind sie nicht für die Genauigkeit zu loben, mit der man sie ins Ziel fernsteuern kann? Dadurch wird angeblich der Kollateralschaden gering gehalten, ja im Idealfall, so suggeriert man uns, werde nur ein „chirurgischer Eingriff“ vorgenommen.
Zu einem solchen kommt es bekanntlich, wenn Ärzte jemanden am Leben erhalten wollen. Schon dieses Harmlos-Tun verbindet das Thema Drohnen mit dem anderen Thema. Auch jene Aspekte von Smart Defense, die man uns vor der Sicherheitskonferenz erzählt: „Vertrauen aufbauen“ oder „kostengünstiger agieren“, sind geeignet, uns geneigt zu machen oder wenigstens einzuschläfern.
Synergie und Synthese
Was könnte langweiliger sein als ein Plan der Kostenersparnis, zumal er hier nicht einmal bedeutet, dass „Arbeitskräfte“ entlassen werden. Es geht ja gar nicht um den Abbau militärischer Kapazitäten, viel eher werden die Kosten einer Aufrüstung in Permanenz möglichst niedrig gehalten. Als einleuchtendes Mittel präsentiert man uns die Kooperation verschiedener Staaten beim Beschaffen und Nutzen von Waffensystemen. Die EU spricht gern von Pooling and Sharing, was – wenn man es so hört – allerliebste Assoziationen an Car Sharing weckt, den ökologisch zweckmäßigen Gebrauch weniger Autos, die von vielen abwechselnd gefahren werden.
Der Wahrheit kommen wir näher, wenn wir die offizielle Argumentation auf den Kopf stellen oder vielmehr auf die Füße. Kostenersparnis der Zweck, Kooperation das Mittel? Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wenn Kooperation der Zweck sein sollte, wäre Kostenersparnis ein erfreulicher Nebeneffekt. Als Strategie des zwischenstaatlichen Aufbaus und Gebrauchs von Waffensystemen ist Smart Defence nicht zuletzt ein Schritt auf dem Weg zur Europaarmee.
Und die Kosten sind gewiss nicht unwichtig für die Beteiligten. Zum Beispiel haben sich zwölf NATO-Staaten zur Strategic Airlift Capability-Initiative zusammengeschlossen, wonach drei Transportflugzeuge vom Typ C-17, die in Ungarn stationiert sind, mit multinational zusammengesetzten Crews betrieben werden. Die verfügbaren Flugstunden verteilen sich nach einem Schlüssel auf die Staaten, können aber auch fallweise verhandelt werden. Dadurch sind nicht nur die Kosten für jeden Staat niedriger, als wenn er die Flugzeuge allein besäße. Länder wie Litauen oder Slowenien können sie sich so überhaupt erst leisten. Auch der andere öffentlich in den Vordergrund gestellte Aspekt, dass „langfristig Vertrauen aufgebaut“ werde, ist ohne Zweifel bedeutsam. So gibt es ein anderes europäisches Lufttransportabkommen, den European Air Transport Command, auf das sich Belgien, Deutschland, Frankreich und die Niederlande geeinigt haben. Vertrauen wird hier dadurch aufgebaut, dass jedem teilnehmenden Staat trotz der Integration so viel Souveränität wie möglich gelassen wird. Er bestimmt selbst, wie viele und welche Flugzeuge er beisteuert, er kann sein Veto gegen einen gemeinsamen Auftrag einlegen und seine Flugzeuge auch im nationalen Alleingang einsetzen. Wie sonst sollten sich die Teilnehmer durch Kooperation und ihr Gefühl, dass auch dem Eigensinn Rechnung getragen wird, immer mehr aneinander gewöhnen?
Das gibt es ja alles bereits, wie man sieht. Und auch die Drohnen gehören dazu. Im September 2012 haben Frankreich und Deutschland ein Abkommen unterzeichnet, beim Betrieb und der Anschaffung so genannter MALE-Drohnen (Medium-Altitude Long-Endurance) zu kooperieren. Bevor eigene einsatzbereit sind, sollen Interimslösungen geprüft werden. Zur Zeit setzen beide Staaten noch israelische Heron 1-Drohnen ein, in Afghanistan nämlich. Das MALE-Abkommen ist Smart Defence at its best, weil diese Kooperation billiger kommt, als es die vom abgewählten Präsidenten Sarkozy angestrebte französisch-britische Kooperation gewesen wäre.
Was da vor unsern Augen geschieht, ist mit Begriffen wie „Vertrauen“ und „Kostensenkung“ doch nur eher am Rande erfasst. Um solche Tugenden geht es immer und überall, hier aber findet eine Integration statt, zunächst von Staatengruppen innerhalb der EU, dann von allen EU-Staaten. Deshalb wird Pooling and Sharing als Generalkonzept auf die Agenda gesetzt –, und am Ende hat man eine Europa-Armee. Das ist der Fluchtpunkt, auf den sich Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg schon im April 2003 geeinigt haben. Auslöser war der Kosovo-Krieg, wo die beteiligten westeuropäischen Mächte nicht nur sahen, dass sie trotz einiger Abstimmungsprobleme gut zusammenarbeiten, sondern auch ihre Erfahrung der überdominanten US-Operationsführung auffrischen konnten. Dann kam auch noch der von der Bush-Administration ausgelöste Irak-Krieg hinzu, den die genannten Staaten nur widerwillig unterstützten oder ganz ablehnten. Doch sollte nun ein Eurokorps als Kern einer europäischen Interventionstruppe gegründet werden.
Mehr aus dem Off
Da Europa insgesamt in der Frage des Irak-Kriegs gespalten war, nimmt es nicht wunder, dass andere Staaten, etwa Großbritannien und Spanien, den Weg zur Europa-Armee nicht mitgehen wollten. Auch die US-Präsidenten, erst Bill Clinton, dann George Bush, waren über die Entwicklung nicht erfreut. Ein Militärkonzept, das die ganze EU erfasst hätte, war deshalb nicht zu verwirklichen. Multinationale Abkommen, von denen einige oben genannt wurden, waren aber möglich.
Präsident Obama hat sich seit seiner Amtsübernahme 2009 dafür entschieden, die Dominanz seines Landes in der NATO nach außen hin weniger zu zeigen. Fast stellt man sich vor, der intelligente Mann habe Empire gelesen, den Bestseller von Michael Hardt und Toni Negri, der uns erklärt, dass die mächtigen Staaten des Westens, ja des ganzen Nordens bei aller Rivalität doch ein gemeinsames Herrschaftssystem bilden, in dem es Stufen der Dominanz, aber auch mehrere Säulen der Herrschaft gibt. Jedenfalls scheint es für die USA eine Option zu sein, die EU als relativ selbstständigen Akteur zu akzeptieren, der für die Sicherheit seines afrikanischen „Hinterhofs“ zu sorgen hat. Schon während des Eingreifen der NATO in den libyschen Bürgerkrieg ab März 2011 wirkten die USA mehr aus dem Off. Den jetzigen Krieg in Mali führt Frankreich allein, auch wenn sich möglicherweise bald Großbritannien beteiligt. In beiden Fällen wurde das deutsch-französische Lufttransportabkommen in Anspruch genommen.
Nicht nur unter Gerhard Schröder, auch unter Angela Merkel hat die deutsche Regierung für den Weg zur Europa-Armee geworben. Die EU müsse „eigenständig Krisenmanagement betreiben können“, meinte etwa Außenminister Westerwelle auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2010. Da war Obama schon US-Präsident. Seine Haltung zur Europa-Armee lässt sich gerade dem entnehmen, was unter dem Label Smart Defence verbreitet wird. Dazu haben alle Staats- und Regierungschefs im Mai 2012 auf dem Gipfel in Chicago eine politische Erklärung verabschiedet, mit der sie sich hinter den neuen Ansatz stellen. Wie wir sahen, folgte vier Monate später das deutsch-französische Drohnen-Abkommen. Und jetzt wird Smart Defence zum Hauptthema der Sicherheitskonferenz 2013. Wenn das Konzept als Kooperationsansatz auf dem Weg zur Europa-Armee aufgefasst werden kann, hat Obama ihm in Chicago seinen Segen gegeben.
Na und, werden manche sagen. Was ist denn gegen all das einzuwenden? Wenn die Mächte zusammenarbeiten, ist das nicht in Ordnung? Aber die EU könnte eine ganz andere Rolle in der Welt spielen. Wie oft hat man hervorgehoben, was das Aufregende an diesem Staatenbund ist: dass sich hier ehemalige Kriegsgegner zusammengetan haben. Es würde doch naheliegen, wenn „Frieden schaffen ohne Waffen“ nach außen hin die Maxime eines solches Bündnisses wäre, anstatt als neue Militärmacht aufzutreten und sich an immer neuen Aufrüstungsrunden zu beteiligen.
Wäre die EU eine Friedensmacht, könnte sie aus ihrer einmaligen Methode, sich fallweise auszudehnen, indem sie anderen Staaten den Beitritt in Aussicht stellt, großen Nutzen ziehen. Sei‘s direkt oder beispielgebend. Schon beim Zerfall Jugoslawiens in den frühen neunziger Jahren wäre es besser gewesen, Serbien wie Kroatien und Slowenien mit der Integration in die EU unter auszuhandelnden Bedingungen zu locken, wovon eine die Souveränität der Teilstaaten gewesen wäre, anstatt den Bürgerkrieg zu schüren. Auch Israel und Palästina könnte unter der Bedingung der Zweistaatenlösung der gemeinsame Beitritt angeboten werden. Und jetzt in Mali? Da wäre die europäische Autorität besser eingesetzt, wenn sie zuallererst Verhandlungen zwischen der malischen Regierung und den Tuareg-Rebellen erzwungen hätte. Stattdessen hieß es, am Anfang müsse die militärische Lösung stehen.
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