Die Frage, ob Hans-Georg Maaßen seines Amtes enthoben werden muss, hatte sich bald zu einer anderen verschoben: Lohnt es, an dieser Frage die Große Koalition scheitern zu lassen? Manche CDU-Politiker suggerierten, es sei vor allem oder ausschließlich eine Frage, die sich die SPD stellen müsse. Aber ihr Argument war dünn: Da Maaßen angeblich immer hervorragende Arbeit geleistet habe, seien ein paar unglückliche Sätze kein Grund, eine Staatsaffäre daraus zu machen.
Maaßens Sätze waren genau das: eine Staatsaffäre. Sie bedeuteten nämlich, dass sich Staatsapparate gegeneinander verselbstständigten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz agierte gegen das Bundeskanzleramt. Innerhalb der Regierung stellte sich der Bundesinnenminister, von dem man ohnehin weiß, dass er das Kanzleramt zu schwächen versucht, auf Maaßens Seite. Und das sollte die SPD nicht beunruhigen? Noch mehr musste es freilich die Kanzlerin treffen. Doch die SPD ließ sich einreden, dass es ihre Aufgabe sei, die Koalition nicht platzen zu lassen. Einige ihrer Spitzenpolitiker konnten gar nicht schnell genug beteuern, dass Maaßen einen Koalitionsbruch nicht wert sei.
Die Lösung, die nun gefunden wurde, ist ein Sieg des Innenministers. Maaßen ist zwar nicht mehr Chef des Verfassungsschutzes, dafür aber zu Horst Seehofers Staatssekretär aufgerückt, in dem Ministerium, das die ihm nachfolgende Person an der Spitze des Bundesamtes für Verfassungsschutz beaufsichtigt. Statt ihn zu entmachten, hat die Koalition ihn mit mehr Macht und Gehalt ausgestattet. Die SPD hat es gebilligt.
Ihr ist offenbar nicht bewusst, wie sie immer weiter nach rechts rückt. Erinnern wir uns an die SPD von vor einem Jahr: Schon wie sie sich im Bundestagswahlkampf verhalten hatte, war empörend gewesen. Der Parteivorsitzende Martin Schulz hatte klare Umfragesignale erhalten, dass er im Fall einer Rückkehr zur Sozialpolitik vor Gerhard Schröder zum Kanzler gewählt werden würde: Er stellte sich taub. Aber dann trat er dafür ein, nicht von Neuem eine Große Koalition zu bilden, weil dann die AfD stärkste Oppositionspartei sein würde. Die SPD sei eine antifaschistische Partei und dürfe das nicht zulassen. Die Große Koalition wurde trotzdem gebildet. Nun konnte man erwarten, dass die SPD wenigstens in der Rolle des Koalitionspartners allem, was die Republik weiter nach rechtsaußen zieht, entgegentreten würde. Sie ließ sich aber herbei, die „Transitzentren“ des Innenministers zu billigen, die sie vorher aus gutem Grund abgelehnt hatte. Die AfD ist inzwischen nicht nur stärkste Oppositionspartei im Bundestag, sondern stärkste Partei in den Umfragen für ostdeutsche Bundesländer. Dann der Fall Maaßen. Der hat AfD-Politiker empfangen und ihnen mutmaßlich Informationen seines Amtes weitergegeben. Nach den Ereignissen in Chemnitz gab seine desinformierende Äußerung nicht bloß der AfD, sondern noch rechteren Tätern Flankenschutz, indem er die Menschenjagden leugnete. Die SPD aber ist schon so weit, dass sie seine Beförderung zum politischen Beamten hinnimmt.
Wie weit soll Deutschland denn noch nach rechts rücken? Man darf daran erinnern, dass schon die erste Große Koalition zwischen 1966 und 1969 die Rechten stärkte, eine Abspaltung des rechten Rands der Union zur Folge hatte. Aber sie hat doch die NPD, die „Republikaner“ nicht noch durch eigene rechte Politik gefördert. Heute geschieht genau das: Nicht genug damit, dass die GroKo erneuert wurde, wird die AfD von Teilen der Union unterstützt. Wenn der Innenminister an Maaßen nicht nur festhalten, sondern ihn sogar befördern darf, was sagt uns das, wenn nicht dass ein mutmaßlicher Helfer der AfD am Kabinettstisch sitzt?
Migration und Soziales
Die SPD sagt sich offenbar, dass sie doch vor allem der Sozialpolitik wegen an der Regierung teilnehme. Der Fall Maaßen sei wichtig vor dem Hintergrund der Migrationspolitik, Sozialpolitik sei aber noch wichtiger. Sehen wir einmal davon ab, dass die Sozialpolitik der SPD seit Gerhard Schröder nicht mehr sozialdemokratisch genannt zu werden verdient. Selbst wenn das nicht so wäre: Wer sieht denn nicht, dass heute vor allem die Migrationsfrage umkämpft ist und andere Fragen, gerade auch die der sozialen Gerechtigkeit, in sich aufgesogen hat? Die Migrationspolitik repräsentiert in den Augen vieler Menschen die Sozialpolitik. Auf diesem Feld erwarten sie große Entscheidungen. Demokratischer Respekt gebietet es, das hinzunehmen. Wenn man weiß, dass die AfD stark geworden ist, weil ihre Wähler glauben, an ihrer sozialen Misere seien die Flüchtlinge schuld, dann kann man das nicht so stehen lassen. Das heißt aber, dann kann Maaßen nicht bleiben. Hier war Rhodus, hier musste gesprungen werden – und notfalls aus der Koalition heraus.
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