Hier spricht die höchste Kunst

Musik Die Sopranistin Anna Prohaska setzt ein Zeichen gegen den Krieg. Und gegen das Frauenbild der romantischen Musik
Ausgabe 49/2014
Die 31-jährige Sopranistin Anna Prohaska
Die 31-jährige Sopranistin Anna Prohaska

Foto: Holger Hage/Deutsche Grammophon

Behind the Lines ist eine Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Form von 25 Kunstliedern, die vom Soldatenleben handeln. Aber es ist mitnichten nur eine Rückschau. Die englisch-österreichische Sängerin Anna Prohaska hat deutsche, englische, französische und russische Lieder zusammengestellt, das älteste von 1598 (Michael Cavendish), das jüngste von 1969 (Wolfgang Rihms op. 1,1). Die meisten sind aus dem 19. Jahrhundert, und so könnte man die CD geradezu als Einführung ins Kunstlied empfehlen, das damals seine größte Zeit hatte – Ludwig van Beethoven und Franz Liszt, Franz Schubert und Robert Schumann, Gustav Mahler, Hugo Wolf und Sergei Rachmaninow sind vertreten. Für sie alle gehörte der Krieg zum Alltag.

Obwohl Prohaska ein Zeichen gegen den Krieg setzen will, hat sie nicht Lieder gesammelt, die in dieser Absicht komponiert wurden, sondern lässt nur die Kunst sprechen, daher nur die höchste Kunst. Aber wie soll ihre Stimme durchdringen, wenn doch kein Komponist, der vor Mahler gelebt hat, den Krieg als solchen ablehnt?

Mit „Hosen und Hut“

Gleich am Anfang gibt sie ihre Antwort. Das zweite Lied ist Beethovens Die Trommel gerühret, Clärchens Lied aus der Bühnenmusik zu Goethes Drama Egmont, wo sie sich wünscht, sie hätte „Hosen und Hut“ und könnte mitmarschieren. Beethoven hat es mit Empathie komponiert, denn Clärchen liebt Egmont und denkt auch politisch wie der Freiheitsheld. Das Lied steht zwischen der pathetischen Egmont-Ouvertüre, die heute nur noch als Einzelstück aufgeführt wird, und einer ebenso pathetischen Zwischenaktmusik. Bei Prohaska indes folgt es einem düsteren deutschen Volkslied, Es geht ein dunkle Wolk herein, und ihm schließt sich Hanns Eislers groteskes Kriegslied an, in dem ein Kind fantasiert, seine Mutter werde Soldat und komme „ins Himmelsbett“.

Damit stellt sie ihre Perspektive klar, hält aber dennoch den Widerspruch aus, dass sie Clärchen sowohl bewundert als auch über sie entsetzt ist. Entsetzt ist sie, weil sie in Clärchens Hurra-Stimmung den Rausch wiedererkennt, mit dem deutsche Studenten und Gymnasiasten in den Ersten Weltkrieg zogen. Aber Clärchen ist auch ihr Zeuge gegen das Frauenbild der romantischen Musik, das nur die „leidende Mutter oder trauernd tröstende Gefährtin“ kenne. Für Anna Prohaska ist das kein Grund, die romantischen Lieder nicht zu singen, doch hat sie, um ihren Protest zu verstärken, auch Franz Liszts Johanna von Orléans auf dem Scheiterhaufen in die Sammlung aufgenommen. Da kann man ermessen, welche Stimme es braucht, unter all dem nicht nur zu leiden, sondern es auch mit Einfühlung, dennoch kritisch distanziert und in einem einzigen Bogen erzählen zu können.

Prohaska hat diese Stimme. Sie ist für feinste Gefühlsabtönungen gut, sodass ihre Version von Kriegers Ahnung aus Franz Schuberts Schwanengesang derjenigen Dietrich Fischer-Dieskaus in nichts nachsteht. Vergleicht man die Versionen von Wo die schönen Trompeten blasen aus Gustav Mahlers Des Knaben Wunderhorn, schneidet die Sängerin sogar noch besser ab als der Sänger, der sich ganz im Gefühlvollen verliert, während man bei Prohaska außerdem heraushört, dass ihr die analytische Kälte der Trauer nicht fremd ist. Der erst 31-jährigen Sopranistin dürfte eine große Karriere bevorstehen.

Behind the Lines Anna Prohaska (Sopran), Eric Schneider (Piano) Deutsche Grammophon

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden