Hoffen auf Macht

Grünen-Parteitag An der Frage nach der Flüchtlingspolitik entscheidet sich, ob Schwarz-Grün ein Modell für die Zukunft sein kann. Das Problem der Grünen ist vor allem die Haltung der CSU
Ausgabe 48/2015
Potenzieller Spitzenkandidat für die Bundestagswahl: Winfried Kretschmann
Potenzieller Spitzenkandidat für die Bundestagswahl: Winfried Kretschmann

Foto: Felix Abraham/Imago

Wer der eigentliche Chef einer Partei ist, dafür gibt es ein Kriterium: die Mucksmäuschenstille, wenn er auf dem Parteitag redet. Daran gemessen ist Winfried Kretschmann der starke Mann der Grünen. Ministerpräsident in Baden-Württemberg wird er voraussichtlich nicht bleiben können – sollten die Grünen dann nicht auf die Idee kommen, ihn zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl zu nominieren? Jedenfalls wäre das sinnvoller, als Robert Habeck aufzustellen, auch wenn der als schleswig-holsteinischer Umweltminister ebenfalls einer Regierung angehört.

Kretschmann hat auch etwas zu sagen. Sein Schlüsselsatz in Halle war, dass der Asyl-Kompromiss im Bundesrat „ein Wert an sich“ sei, weil er den „Konsens der politischen Kräfte in Deutschland“ repräsentiere. Es ist ein Satz voller Bedeutungen. Der Anspruch des Ministerpräsidenten, im Namen aller zu regieren, steckt darin, und wie man weiß, wird er ihm abgenommen. Auch wird Deutschland schon seit Jahrzehnten im Konsens regiert, jedenfalls was das Verhältnis von CDU/CSU und SPD angeht – ob sie formell koalieren oder nicht, ist dabei nicht entscheidend. Wer diesem Kartell nun auch die Grünen zuordnet, erleichtert die schwarz-grüne Koalition auf Bundesebene. Wie man weiß, hat Kretschmann sie schon angestrebt, als es noch keine Flüchtlingskrise gab. Jetzt aber wird sein Satz vom Konsens vor deren Hintergrund verstanden: Die Kräfte der „Willkommenskultur“ müssen zusammenstehen, denn diese wird angefeindet.

In der letztgenannten Bedeutung wird die Konsenspolitik auch von den Vertretern des linken Flügels mitgetragen, weil sie doch eher eine Konfliktpolitik ist. Anton Hofreiter, der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, hat im Bericht aus Berlin gesagt, wenn sich die CSU gegen die Bundeskanzlerin durchsetze, werde das nichts mit der schwarz-grünen Koalition. Gegen seine Position kann man nichts haben. Denn es geht nicht um Schwarz-Grün überhaupt, sondern um die strategische Situation hier und jetzt: Setzt sich Angela Merkel gegen die CSU und Teile der eigenen Partei, ja der Bundesregierung – den Innenminister, den Finanzminister – durch oder umgekehrt? Weil das heute eine Frage von historischem Gewicht ist, ist es ganz richtig, wenn nun auch ein Linker mit der Koalition winkt.

Viele sehen zwar keine große Differenz zwischen Merkel und Seehofer. Und die Grüne Jugend meint, dass Merkel kein Lob verdiene, weil sie doch nur die geltenden Gesetze einhalte. Das stimmt aber nicht. Als die Union 1992 das Asylrecht schleifte, war es, auf heute übertragen, ihre Intention, über Österreich einreisende Asylbewerber an der Grenze zurückzuschicken, weil Österreich ein „sicheres Herkunftsland“ sei. Nun hat Merkel durchgesetzt, dass es so nicht mehr gilt. Der Sinn des Begriffs ist verschoben: Nicht wer ein solches Land durchquert, sondern nur wer in ihm beheimatet ist, wird zurückgewiesen. Selbst Seehofer kann die neue Deutung nicht mehr angreifen. Dabei bleibt sie schlimm genug, denn schwerlich sind die Balkanstaaten für Roma zum Beispiel eine wirkliche Heimat.

Aber dennoch dreht sich heute alles um die Restdifferenz, ob Seehofer „Obergrenzen“ durchsetzt oder Merkel recht behält, wenn sie sagt, ein Asylrecht gebe es nur, wenn es für alle Bewerber gelte. Denn man bedenke, alles, was noch rechter als Seehofer ist, wünscht seinen Sieg. Deshalb müssen alle, die linker als Merkel sind, Merkels Sieg wünschen.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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