In schlechtester Tradition

USA Was wie ein Gefühlsausbruch scheint, ist in Wahrheit eine eiskalte Strategie: Wie sich der US-Präsident der Lüge bedient
Ausgabe 10/2017
Das Phänomen der Verlogenheit wurde schon bei Ronald Reagan sichtbar
Das Phänomen der Verlogenheit wurde schon bei Ronald Reagan sichtbar

Foto: Matthew Lloyd/AFP/Getty Images

Der Umgang des neuen US-Präsidenten mit der Wahrheit ist atemberaubend. Bei Donald Trumps Behauptung, in Schweden habe der Terror zugeschlagen, konnte man sich noch fragen, ob er nur unfähig ist, bei einer Fernsehsendung richtig zuzuhören – was schlimm genug wäre. Seine Beschuldigung des Vorgängers Barack Obama, der habe ihn im Wahlkampf abhören lassen, ist aber offenkundig eine bewusste Lüge: Das FBI widerspricht und Trump nennt keine Quelle.

Beunruhigend ist, dass er selbst nicht im Zweifel gewesen sein kann, dass es in diesem Fall ein Nachspiel geben würde, eine Untersuchung im Kongress. Wenn der feststellt, dass Trump gelogen hat, wird der US-Präsident dann den Kongress zum „Feind des Volkes“ erklären, wie er so schon die Presse verunglimpft hat? Oder wird es im Kongress Kräfte geben, die seine Lügentaktik unterstützen? Oder ist es gar eine Strategie?

Man muss diese Fragen stellen, weil Trumps Verlogenheit nicht so einzigartig ist, wie es heute vielen scheint. Sie hat Tradition. George W. Bushs Lüge, der Irak verberge Massenvernichtungsmittel, wird so schnell nicht in Vergessenheit geraten. Diese Lüge teilt einen Zug, der bei Trump nur zugespitzt erscheint: Sie war als Lüge offensichtlich. Kaum jemand glaubte ihr, selbst verbündete Regierungen wie die deutsche widersprachen. Weniger zugespitzt als bei Trump war sie, weil die US-Geheimdienste sie sich zu eigen machten; es ist deshalb denkbar, dass der damalige US-Präsident annahm, mit der Lüge die Öffentlichkeit täuschen zu können.

Aber schon damals war der Haupteindruck, dass sie als Machtdemonstration eingesetzt wurde. Schaut her, schien Bush sagen zu wollen, ich bin der mächtigste Mann der Welt und kann behaupten, was ich will. Wenn ich mich entschließe, den Irak völkerrechtswidrig zu überfallen, bin ich euch dafür keine Begründung schuldig und gebe euch deshalb eine, die ihr als Lüge erkennt.

Damit verglichen war es geradezu harmlos, wie das Phänomen der Verlogenheit bei Ronald Reagan erstmals sichtbar wurde. Die Sprüche des US-Präsidenten zwischen 1981 und 1989 standen im deutlichsten Widerspruch zu seinem Verhalten: Er sprach vom Wert der Familie, als ob er nicht selber geschieden wäre; ging fast nie in die Kirche, forderte aber, dass in den Schulen gebetet werde; forderte Arbeitsethik, ohne sie selbst zu beherzigen; ließ sich wählen, um die Staatsverschuldung einzudämmen, und verdreifachte das Haushaltsdefizit.

Das alles wurde damals in den US-Medien diskutiert, und die Philosophin Karen Ruoff kam zu dem Schluss, dass sich auch Reagans Anhänger darüber nicht täuschten. Sie hat mehrere Erklärungen, eine davon ist wieder die Machtdemonstration: Die Anhänger wussten, dass Reagan unter Intellektuellen unbeliebt war, und begrüßten es, wenn diese provoziert wurden. Die Maßstäbe der Intellektuellen wurden lächerlich gemacht.

Vielleicht ist es auch bei Trump nur das, und wenn es nur das ist, wird er nicht weit kommen. Es könnte aber auch sein, dass er eine totalitäre Strategie verfolgt, wie Hannah Arendt sie beschrieben hat. Seine Lügen wären dann Schlussfolgerungen aus Prämissen, auf deren Befestigung es ankäme: Obama ließ ihn abhören, weil er „böse und krank“ ist – und auch wenn er ihn nicht abhören ließ, ist er böse und krank. Er ist kein demokratischer Konkurrent, sondern ein Volksfeind. Kann man zulassen, dass Volksfeinde Politik machen? Wir Zuschauer können im Moment nur hoffen, dass die checks and balances der US-Verfassung dem standhalten werden.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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