Irrwitzige Entwicklung

Grüne Opposition Übereinstimmungen mit der Linksfraktion werden verschleiert

Gerade hat der Grünen-Vorsitzende Bütikofer wieder einmal die Distanz seiner Partei zu Oskar Lafontaine behauptet. Kein Bündnis sei möglich, solange dieser Mann, der noch fundihafter agiere als die Kommunistische Plattform, in der Linkspartei den Ton angebe. Dort aber musste sich Lafontaine fast zur selben Zeit des Vorwurfs erwehren, er verrate mit seinem Interesse am skandinavischen Sozialstaats-Modell sozialistische Ideale. Bütikofer bedient das Showgeschäft. Man muss eben die Gründe an den Haaren herbeiziehen, wenn man über die vielen Überschneidungen zwischen der Politik der Linkspartei und derjenigen der Grünen einen Schleier legen will. Ich brauche nur am heutigen Tag die Zeitung aufzuschlagen und lese: Die Bundesregierung soll darauf hinwirken, dass der Vergabe von Weltbankkrediten zur Förderung der Atomtechnologie und ihrer Nutzung in Entwicklungs- und Transformationsländern grundsätzlich nicht zugestimmt werde, fordert ein Antrag der Linksfraktion im Bundestag; in einem weiteren Antrag fordert die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, dass Investitionen der Weltbank im Bereich Atomenergie eingestellt werden sollen.

Übereinstimmung zeigt sich immer wieder gerade in den Fragen, die der Linksfraktion besonders am Herzen liegen. Wenn die grüne Fraktionsvorsitzende Künast am 21. Juni die Missbrauchsdebatte bei Hartz IV geißelt und erregt ausruft: "Sie greifen in das Portemonnaie der kleinen Leute, um die großen Unternehmen steuerlich zu entlasten", hört man den Zwischenruf des SPD-Abgeordneten Schneider: "Das ist ja PDS light!" Ebenso wenn die grüne Steuerexpertin Scheel am 16. März vorrechnet: "Die Steuerquote in Deutschland liegt - das sollten Sie bitte einmal zur Kenntnis nehmen - bei knapp über 20 Prozent. Das ist fast der niedrigste Wert in Europa. Nur die Slowakei liegt mit 18,4 Prozent noch etwas darunter", und deshalb dürfen wir "nicht auf breiter Ebene Steuerentlastungen vornehmen", dann höhnt Guido Westerwelle, FDP: "Lafontaine klatscht! Das ist schon ein Vorteil! Wenigstens einer!" Aber das hören die Grünen nicht so gern. Am 26. Januar wägt Matthias Berninger das Investitionsprogramm der großen Koalition und ihre Mehrwertsteuer-Erhöhung gegeneinander ab: "In den nächsten vier Jahren wollen Sie den Leuten 75 Milliarden Euro aus der Tasche ziehen, 25 Milliarden Euro wollen Sie in Form eines Investitionsprogramms zurückgeben." Das schade der Binnenkonjunktur, fügt er noch hinzu. Als aber Lafontaine in einer Zwischenfrage auf "das deutsche Lohndumping", einen weiteren Faktor dieses Schadens, eingeht, und als er verallgemeinert, Deutschland lege "den Sprengsatz an das europäische Währungssystem, weil sich die anderen nicht mehr durch Abwertung zur Wehr setzen können", reagiert Berninger weitschweifig mit Angriffen gegen eine "populistische" Kritik an der Existenz des Euro, die niemand geäußert hat - klar, ihm wäre wohler, wenn Lafontaine sie geäußert hätte ...

Vom Standpunkt der Linksfraktion sollte man die Übereinstimmung nicht nur erfreulich finden. Sie wirft ja auch die Frage auf, ob die Linksfraktion in ihrer Politik nicht längst einen Schritt weiter hätte gehen müssen - worin noch ihr Anspruch begründet ist, grundsätzlicher zu denken als andere. Tatsächlich agieren beide Parteien im Bundestag ganz ähnlich: wenig Gesetzentwürfe, mehr Anträge und Anfragen, viele Reden; viel Reaktion auf die Bundesregierung, klassische Oppositionspolitik eben, immanente Kritik an den Regierungsvorgaben. Wenn man von der Linkspartei vielleicht mehr erwartet, für die Grünen ist es normal. Sie haben die jetzt kritisierte Regierungspolitik eben erst mitgetragen, den Anspruch, ganz anders zu sein, können sie nicht mehr haben.

So zeigt sich die Differenz zur Linksfraktion, wo sie nicht Show ist, oft nur in Detailfragen, über die man sich in einer Koalition wohl einigen könnte. Auch Brigitte Pothmer spricht am 17. Februar vom deutschen "Sozial- und Lohndumping", welches "die Substanz unserer Wirtschaftsordnung zu zerstören droht". Löhne von drei bis vier Euro für Gebäudereiniger seien eine "irrwitzige Entwicklung". "Da können Sie nicht einfach sagen: Die Marktwirtschaft wird es schon richten." Und sie hört die typische Reaktion des FDP-Abgeordneten Kolb: "Die Frage ist: Arbeit, ja oder nein?" Dagegen schlägt sie wie andere den gesetzlichen Mindestlohn vor, sieht aber Probleme: Ein zu hoher Mindestlohn kann zum Einstellungshindernis werden, ein zu niedriger wäre die unerwünschte staatliche Legitimation für den Niedriglohnsektor. In diesem Zusammenhang polemisiert sie gegen die Linksfraktion, die ihre ursprünglich genannte Zahl der Lohnhöhe schon gesenkt habe, aber auch jetzt noch die Gefahr, "dass ganze Branchen plattgemacht werden", heraufbeschwöre. Pothmer selbst will "regional- und branchenspezifisch differenzierte Lösungen". Nun gut, warum nicht? Denselben Gestus findet man auch in anderen Debatten. Der Anspruch, "die Regierung nicht nur zu kritisieren, sondern ein Szenario aufzuzeigen, wie man es besser machen könnte", wird immer wieder beschworen, zum Beispiel von Anja Hajduk am 20. Mai. Sie realisiert ihn mit der Forderung, beim Subventionsabbau mehr Konsequenz zu zeigen. Nach fleißigem Rechnen kommt sie auf einen Haushaltskonsolidierungsbeitrag in Höhe von sechs Milliarden Euro.

Hat die Fraktion ihre Strategie wirklich schon gefunden? In den ersten Monaten zieht sich der Vorwurf, die Regierung habe keine Strategie, ihre Politik sei Stückwerk und ihre Linie inkonsistent, wie ein grüner Faden durch die Reden. Aber erstens kann eine Opposition genau denselben Fehler machen. Wenn sie nur Regierungsbruchstück für -bruchstück immanente Gegenvorschläge macht, ist auch ihre Linie inkonsistent, man kann dann geradezu vom Verzicht auf eine eigenständige Strategie sprechen. Zweitens ist die Annahme, die Richtung von Merkels Politik sei nicht klar, wie sie der Fraktionsvorsitzende Kuhn schon am 30. November zum Dogma erhebt, im höchsten Grad zweifelhaft. Dahinter steht doch nur die Weigerung oder die Angst, den politischen Gegner zu interpretieren und ihm, wenn das geschehen ist, die eigene Melodie vorzusingen. Hat das etwa nicht "System", wenn das von der Regierung geförderte Lohndumping durch einen ihr gar nicht angehörenden FDP-Abgeordneten mit den Worten, die Frage sei Arbeit ja oder nein, verteidigt wird? Warum reden die Grünen nicht genauso grundsätzlich? Früher haben sie es getan; nach Joschka Fischers Abgang könnten sie es wieder neu beginnen.

In der vorigen Nummer (Freitag 26) bilanzierte Michael Jäger die Arbeit der Linksfraktion.


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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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